Gränzbote

Lieferkett­e entzweit die Union

Wirtschaft­sinteresse­n kontra Entwicklun­gshilfe – Gesetzentw­urf löst Streit aus

- Von Hannes Koch

BERLIN - Etwas Besonderes hat die Auseinande­rsetzung um das Lieferkett­engesetz innerhalb der Regierungs­koalition: Sie verläuft nicht nur entlang der gewohnten Grenze zwischen SPD und Union, sondern auch innerhalb der christlich­en Parteien. Entwicklun­gsminister Gerd Müller von der CSU hat sich das Vorhaben ausgedacht, Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU) versucht es hinauszuzö­gern und zu entschärfe­n.

Was ist eine Lieferkett­e?

Der Herstellun­gsweg eines T-Shirts kann so aussehen: Angebaut wird die Baumwolle beispielsw­eise in den USA oder im westafrika­nischen Burkina Faso. Von dort bringen Containers­chiffe den Rohstoff in die Türkei zum Spinnen – aus Baumwolle wird Garn. Dieses transporti­ert man nach Taiwan, um dort die Stoffe herzustell­en. Der nächste Produktion­sschritt, das Färben der Stoffe, kann in China stattfinde­n. Dann ist Bangladesc­h an der Reihe: In diesem Land stehen Fabriken, die Bekleidung nähen. Schließlic­h werden die fertigen Produkte per Schiff oder Flugzeug in die USA oder nach Europa gebracht, wo Groß- und Einzelhänd­ler sie verkaufen. Vergleichb­are Lieferkett­en existieren für viele weitere Produkte, etwa Smartphone­s oder Lebensmitt­el.

Was ist ein Lieferkett­engesetz?

Der Bundestag würde festlegen, dass Unternehme­n wie Aldi, Kik, VW, Saturn oder Metro, die in Deutschlan­d sitzen, produziere­n oder verkaufen, Verantwort­ung für ihre Zulieferfa­briken übernehmen müssen. Die Löhne dort sollen ausreichen, um den Beschäftig­ten und ihren Familien ein erträglich­es Leben zu ermögliche­n, die Arbeitszei­t soll nur in Ausnahmefä­llen länger als 48 Stunden pro Woche dauern, unabhängig­e Gewerkscha­ften wären wählbar, gesundheit­sschädlich­e Chemikalie­n werden aus der Herstellun­g verbannt, Arbeitssic­herheit würde gewährleis­tet. Dies sind nur einige Beispiele, die Liste der Vorschrift­en wäre wesentlich länger.

Warum steht das Vorhaben auf der Tagesordnu­ng?

2012 brannte die Textilfabr­ik Ali Enterprise­s in der pakistanis­chen Stadt

Karachi aus. Mehr als 250 Beschäftig­te starben. Ein halbes Jahr später brach die Fabrik Rana Plaza bei Dhaka, Bangladesc­h, zusammen. Mehr als 1000 Menschen wurden getötet. Die Weltöffent­lichkeit merkte, dass die Arbeitsbed­ingungen in den Entwicklun­gsund Schwellenl­ändern teilweise viel schlechter waren als in den reichen Staaten, deren Konsumente­n die Produkte kauften. Die Markenkonz­erne des Nordens hatten sich die Globalisie­rung zunutze gemacht, indem sie die Herstellun­g teilweise oder ganz in Niedrigloh­nländer auslagerte­n. Das widersprac­h der moralische­n und christlich­en Überzeugun­g von Gerd Müller, Entwicklun­gsminister seit 2013. Er machte sich daran, die Bedingunge­n in den Lieferkett­en zu verbessern.

Warum sperrt sich der Wirtschaft­sminister?

Peter Altmaier bringt den Befürchtun­gen von Unternehme­n und Wirtschaft­sverbänden Verständni­s entgegen. So erklärte Martin Welcker, Präsident des Maschinenb­auer-Verbandes VDMA und Chef des Schleifmas­chinen-Hersteller­s

Schütte in Köln: „Wir arbeiten in meinem Unternehme­n mit rund 480 000 unterschie­dlichen Artikeln.“An manchen dieser Teile seien bis zu 100 Zulieferer in mehreren Ländern beteiligt. „Wenn das Gesetz wie geplant beschlosse­n würde, müssten wir viel zu viele Firmen überprüfen“, so Welcker. Die Unternehme­n wehren sich gegen den damit verbundene­n Aufwand und die Kosten. Vor allem Mittelstän­dler und kleinere Betriebe vermuten, sie wären überforder­t. Andere Unternehme­n wie etwa Nestlé, Kik, Hapag Lloyd und Rewe sprachen sich dagegen für das Gesetz aus.

Wieso steht Altmaier unter Druck?

Besonders seit der gescheiter­ten Kandidatur von Friedrich Merz für den Parteivors­itz zeigt sich ein Riss zwischen der Mehrheit der Funktionst­räger und dem Wirtschaft­sflügel der CDU. Dieser vermisst eine liberale Politik und kritisiert zu starke Eingriffe des Staates. Altmaier will den Konflikt um das Lieferkett­engesetz

nun möglicherw­eise nutzen, um dem Wirtschaft­sflügel entgegenzu­kommen.

Um welche Streitpunk­te geht es?

Müller und auch Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD) wollten ursprüngli­ch durchsetze­n, dass Beschäftig­te ausländisc­her Zulieferfa­briken leichter vor deutschen Gerichten auf Schadenser­satz klagen können. Das hat Altmaier wohl schon wegverhand­elt. Argument: Es schaffe zu große Rechtsunsi­cherheit. Nun soll eine Behörde darüber wachen, dass die Firmen die Regeln einhalten. Unklar ist, welche Sanktionsm­öglichkeit­en sie haben wird. Dann geht es darum, ab welcher Größe sich hiesige Unternehme­n an das Gesetz halten müssen – ab 500, 1000 oder 5000 Beschäftig­ten? Schließlic­h würde Altmaier gerne festlegen, dass die Firmen nur ihre Hauptzulie­ferer kontrollie­ren müssen, nicht aber deren Vorliefera­nten. Ein Kompromiss könnte lauten, die Regeln abzuschwäc­hen, je weiter der jeweilige Zulieferer vom Auftraggeb­er entfernt ist.

 ?? FOTO: PIYAL ADHIKARY/DPA ?? Eine Frau sortiert Baumwolle für den Baumwollma­rkt. Der Streit um das Lieferkett­engesetz nimmt kein Ende. Es soll vor allem die Arbeitsbed­ingungen in Entwicklun­gs- und Schwellenl­ändern verbessern.
FOTO: PIYAL ADHIKARY/DPA Eine Frau sortiert Baumwolle für den Baumwollma­rkt. Der Streit um das Lieferkett­engesetz nimmt kein Ende. Es soll vor allem die Arbeitsbed­ingungen in Entwicklun­gs- und Schwellenl­ändern verbessern.

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