Aktien voll im Trend
Immer mehr junge Menschen investieren an der Börse – Der Reiz am Zocken treibt sie aber selten an
BERLIN - Auf der Suche nach einer guten Anlage für ihr Erspartes an der Börse wurde die Berliner Mathematikerin Jennifer Rasch nicht gleich fündig. „Die angebotenen Fonds waren mir nicht nachhaltig genug“, erinnert sie sich. Denn die Firmen, in die sie investiert, müssen sozial oder ökologisch korrekt arbeiten. Also tüftelte sie gemeinsam mit einer Kollegin an einer Software, die je nach Risikobereitschaft eines Anlegers bei der Zusammenstellung geeigneter Aktien hilft. Aus der Selbsthilfe wurde eine Geschäftsidee. „Goldmarie“nennt das Duo ihre neu gegründete digitale Finanzanlagenberatung.
Aktien liegen derzeit vor allem bei den Jüngeren voll im Trend. Offensichtlich wurde dies gerade beim „Zockerkrieg“zwischen Millionen meist jüngeren Händlern und finanzstarken Hedgefonds an der Wallstreet: Dabei stieg die Aktie der US-amerikanischen Einzelhandelskette für Computerspiele und Unterhaltungssoftware, GameStop, durch das Investment massenhafter Kleinanleger bis auf sagenhafte 468 Dollar an. Im Gegenzug mussten Profi-Hedgefonds, die auf sinkende GameStop-Kurse gesetzt hatten, ihre Wetten teuer zurückkaufen – und beschleunigten damit die Preisspirale nach oben. Doch die spektakuläre Auseinandersetzung, die Ende Januar Schlagzeilen machte, ist nur ein kleiner Ausschnitt der Entwicklung, dass sich immer mehr junge Menschen mit der Börse auseinandersetzen.
Denn es sind ganz unterschiedliche Motive, die den Aktienboom befördern. Wie ausgeprägt dieser ist, spüren Banken und Broker. Allein in den ersten sechs Monaten des vergangenen Jahres verzeichnete die ING Diba 210 000 neu eröffnete Depots, so viele wie noch nie. Bei der Comdirect Bank sah es 2020 ganz ähnlich aus. „Im Vergleich zum Vorjahr haben wir im ersten Quartal 2020 weniger in das Wachstum mit Neukunden investiert und trotzdem das stärkste Neukundenwachstum seit mehr als zehn Jahren erreicht“, sagte Frauke Hegemann, Vorstandsvorsitzende der comdirect bank AG. Insbesondere die Zahl der Depots sei mit 102 000 Neueröffnungen kräftig auf 1,66 Millionen zum Quartalsende gestiegen.
Und der Smartphone-Broker Trade Republic, der im vergangenen April von 150 000 Kunden sprach, handelt inzwischen für mehrere Hunderttausend Aktiensparer. „Der typische Kunde ist männlich und Mitte 30“, erläutert die Sprecherin des Brokers.
Den Trend zum Aktieninvestment beobachtet das Deutsche Aktieninstitut (DAI) schon seit 2014. Die Pandemie hat ihn offenkundig enorm beschleunigt. Die Anleger hatten mehr Zeit, um sich in die Materie einzuarbeiten. Gut jeder dritte Neukunde bei Trade Republic wagt sich zum ersten Mal an die Börse. Als zweiten Grund nennen Experten die für Sparer anderswo unattraktive Verzinsung. „Auch ist angekommen, dass die Geldanlage in Aktien
mit kleinen Beträgen möglich ist“sagte die Chefin des DAI, Christine Bortenlänger. Ganz oben auf der Wunschliste stehen laut ING Diba Indexfonds (ETF) und Aktien von Tech-Unternehmen.
Aber auch der Klimaschutz oder bessere soziale Bedingungen spielen bei den Engagements eine wachsende Rolle, wie Mathematikerin Rasch erklärt. „Ich bin der Überzeugung, dass man als Anleger eine gewisse Macht hat“, sagt sie. Wenn man das Umdenken finanziere, könne man etwas Gutes tun. Sie hofft auf möglichst viele Anleger, die ähnlich denken und die nicht nur auf die Rendite einer Anlage achten. „Das sind unsere potenziellen Kunden“, erläutert sie. Tatsächlich erleben nachhaltige Geldanlagen insgesamt einen enormen Aufschwung mit Wachstumsraten im hohen zweistelligen Bereich.
Laut einer Umfrage des Marktforschungsunternehmens Puls sind die Anleger auch bereit, für Nachhaltigkeit mehr zu zahlen. Die Aufpreisbereitschaft liege bei der nachhaltigen Geldanlage im Schnitt bei 4,2 Prozent. Die Umfrage zeigt außerdem, dass das Thema für Frauen noch eine größere Rolle spielt als für männliche Anleger. Während 61 Prozent der Bankkundinnen Wert auf Nachhaltigkeit legen, sind es bei den Männern nur 45 Prozent.
Angetrieben wird der allgemeine Trend zur Börse derweil auch durch Broker wie Trade Republic, Justtrade, Flatex oder Gratisbroker. Der Handel ist via Smartphone leicht möglich und die Formalitäten auf dem Weg zum eigenen Depot sind gering. Vor allem kostet der Handel bei diesen Brokern wenig oder gar nichts. Das macht den Handel schon beim Einsatz von geringen Summen attraktiv. „Positiv ist zunächst einmal, dass Zugangshürden abgebaut werden und mehr junge Menschen über diesen Weg die Börse für sich entdecken“, sagt Bortenlänger.
Doch sie sieht auch eine mögliche Kehrseite des leichten Handels. Die „Begleitmusik“in den Foren sozialer Medien könnten die Anleger zu kurzfristigen Wetten auf Kursentwicklungen verleiten. „Schnell kann dann über die App viel Geld verzockt werden“, befürchtet die DAIChefin. Ein Beispiel dafür lieferten Spekulanten in den vergangenen Tagen in den Foren, die sich mit dem Zockerkrieg um Aktien von GameStop befassten. Mit teils martialischen Formulierungen wurden dort immer wieder Durchhalteparolen veröffentlicht, obwohl der Kurs der Aktie dramatisch an Wert verlor.