Gränzbote

„Daddy Cool“am Mekong

Die Vietnamese­n sind verrückt nach deutscher Disco-Musik – Ein Ende ist nicht in Sicht

- Vonn Chris Humphrey, Bac Pham und Carola Frentzen

HANOI (dpa) - Wenn in Vietnam geheiratet wird, darf Boney M. so gut wie nie fehlen. Ob „Daddy Cool“oder Dieter Bohlen, die Menschen am Mekong sind bis heute verrückt nach deutscher Disco-Musik aus den Siebzigern und Achtzigern. Der Boom hat auch mit Migration und einer Fußball-WM zu tun.

Das National Convention Center in Hanoi ist bis zum letzten Platz gefüllt. 4000 Vietnamese­n klatschen und recken ihre Arme in die Luft, als die Boney-M.-Leadsänger­in Liz Mitchell den Evergreen „Rivers of Babylon“anstimmt. „Ihr werdet mich noch zum Weinen bringen, das ist großartig!“, ruft sie der Menge zu, die lautstark den Refrain mitsingt.

Das war 2016. Mittlerwei­le wurde der YouTube-Clip zu dem Auftritt der in den 1970er-Jahren von Frank Farian gegründete­n Disco-Formation mehr als 50 000-mal geklickt. Das zeigt den Erfolg, den die Band bis heute in Vietnam genießt. Die Begeisteru­ng für Songs von „Daddy Cool“über „Ma Baker“bis „Rivers of Babylon“ist in dem Land am Mekong ungebroche­n.

Noch zwei Beispiele: Bei einem weiteren Boney-M.-Konzert im März 2019 sprangen gleich mehrere freudestra­hlende Fans auf die Bühne und tanzten ausgelasse­n zusammen mit der Band zu den Klängen des Ohrwurms „Rasputin“. Auch der HanoiGig von Thomas Anders mit den Superhits von Modern Talking war vor fünf Jahren komplett ausverkauf­t, obwohl die Tickets rund 40 Euro kosteten – eine stolze Summe in dem südostasia­tischen Land.

Als Anders den Superhit „Cheri Cheri Lady“anstimmt, gibt es im Saal kein Halten mehr. Ganz jung ist das Publikum nicht mehr, es sind eher Menschen gekommen, die mit den Hits von Dieter Bohlen und Thomas Anders aufgewachs­en sind. Der Clip dazu wurde schon mehr als 150 000mal angesehen.

„Ich bin ganz verrückt nach Modern Talking“, sagt Pham My An, eine 47-jährige Modedesign­erin, die die Konzerte beider Bands in ihrer Heimat erlebt hat. „Thomas Anders wieder in Hanoi zu sehen …“, strahlt sie verträumt. „Er hat immer noch die Macht, mir gute Laune zu machen und mich zu dieser vertrauten, leidenscha­ftlichen Musik tanzen zu lassen.“

Boney M. sei hingegen eine der einzigen internatio­nalen Bands gewesen, deren Musik es in den 1980erJahr­en bis nach Vietnam geschafft habe. „Sie waren die Pioniere, die den vietnamesi­schen Markt erobert und die Herzen vietnamesi­scher Musikliebh­aber gestohlen haben“, erzählt

Pham My An. Dann kamen andere deutsche Popgrößen hinzu, neben Modern Talking etwa auch Sandra („Maria Magdalena“). Auch die glänzenden, extravagan­ten Disco-Outfits aus dieser Zeit fanden damals eine ungewöhnli­ch große Anhängersc­haft.

Aber wie gelangten die westlichen Klänge an den Mekong? Nach einem jahrelange­n, blutigen Krieg mit mehreren Millionen Toten war Vietnam erst 1976 wiedervere­inigt worden. In den 1980er-Jahren litten viele Menschen in dem kommunisti­schen Land noch immer unter den Folgen des Konflikts. Viele in den 1960er-Jahren geborene Vietnamese­n gingen damals zum Studium in die Sowjetunio­n und andere osteuropäi­sche Länder, wo sie erstmals mit westlicher Musik konfrontie­rt wurden – vor allem auch aus Deutschlan­d.

1978 traten Boney M. dann sogar in Moskau auf – das Lied „Rasputin“durften sie dort aber nicht spielen, erinnern sich noch manche an Erzählunge­n. „Die Studenten brachten die Musik dann mit zurück nach Vietnam und ließen sie ständig laufen. Bis heute ist es Tradition, diese Musik bei fast allen Hochzeiten zu spielen“, sagt Bui Xuan Loc, der Sänger einer populären Indieband aus Hanoi.

Lokalen Medien zufolge geht gerade Boney M.’s riesige Fangemeind­e in Vietnam aber vor allem auf die Fußball-WM in Spanien im Jahr 1982 zurück. Die Rundfunkst­ationen spielten damals immer wieder „Rasputin“ in den Halbzeitpa­usen oder vor Beginn der Partien. Millionen vietnamesi­scher Fußballfan­s kamen so auf den Geschmack, was dazu führte, dass Disco – vor allem aus Deutschlan­d – eine ganze Generation geprägt hat.

Laut den Angestellt­en eines Plattenlad­ens in Hanoi gab es in den 1990ern kaum einen Club in der Hauptstadt, in dem nicht auf „Rasputin“getanzt wurde. Die Vinyl-Version des Albums „Nightfligh­t to Venus“, auf dem der Song zu finden ist, ist mit einem Preis von mehr als 30 Euro eine der teuersten Schallplat­ten im Geschäft.

Pham My An erzählt derweil vom Boney-M.-Konzert 2019. „Es war wunderbar, die Träume unserer Jugend in der Realität noch einmal zu erleben. Ich war so glücklich, dass ich all meine Sorgen vergessen habe und mich nur im Takt der Musik bewegt habe“, erinnert sie sich. „Und es war noch überwältig­ender zu sehen, wie diese Emotionen an diesem Abend vom Publikum um mich herum gespiegelt wurden.“

Die 28-jährige Tran Ngoc glaubt, dass ein Ende des vietnamesi­schen Disco-Fiebers nicht in Sicht ist. Auch, oder vielleicht gerade weil das Genre und seine eingängige­n Gassenhaue­r für viele untrennbar mit Erinnerung­en an die Jugend verbunden sind. „Noch heute reicht es für mich, die Melodien von Modern Talking zu hören – und plötzlich bin ich wieder Kind.“

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FOTO: CHRIS HUMPHREY/DPA Hung, ein Mitarbeite­r des LP Clubs, hält die Schallplat­te „Oceans of Fantasy“von Boney M. in den Armen. Wenn in Vietnam geheiratet wird, darf Boney M. so gut wie nie fehlen.
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FOTO: CHRIS HUMPHREY/DPA In einem Plattenlad­en in Hanoi wird die Schallplat­te von Boney M. „Oceans of Fantasy“angeboten.

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