Die Welt ist lächerlich
Vor 90 Jahren wurde der Dramatiker Thomas Bernhard geboren – Sprachvirtuose und Österreichhasser
Große Projekte und banales Scheitern: Thomas Bernhard versuchte, der Lächerlichkeit der Welt mit den Mitteln der Groteske zu begegnen. Er zählt zu den bedeutendsten österreichischen Schriftstellern – und haderte zeitlebens mit seinem Land. Am 9. Februar wäre der österreichische Schriftsteller und Dramatiker 90 Jahre alt geworden, er starb 1989 mit 58 Jahren.
„Alle Kindheiten sind gleich. Nur erscheinen die einen in einem alltäglichen, die anderen in einem milden, die dritten in einem teuflischen Licht“, heißt es in Thomas Bernhards 1963 erschienenem Romanerstling „Frost“. Es ist die Schilderung einer düsteren, gescheiterten Künstlerexistenz, mit der Thomas Bernhard (19311989) der Durchbruch gelingt.
Der Dramatiker Carl Zuckmayer erkannte sofort, dass mit Bernhard eine Stimme in die deutschsprachige Literatur eintrat, die mit Vorbildern kaum vergleichbar war: Bernhard erschließe „dem ,Abgrund' Mensch“neue Perspektiven. „Frost“, schrieb Zuckmayer, entwerfe die „Szenerie einer Vorhölle“.
Eine Szenerie, die Bernhard mit seinem unverwechselbaren monologisierenden Stil in Prosawerken und Theaterstücken immer wieder umkreiste. Einen „Katastrophen-Kosmos“nannte das „Der Spiegel“einmal.
Als eine „Vorhölle“muss Thomas Bernhard auch seine Kindheit und Jugend empfunden haben. Er kam 1931 im niederländischen Heerlen als uneheliches Kind zur Welt, seinen Vater lernte er nie kennen. Herta Bernhard schickte ihren Sohn zu den Großeltern nach Wien. Von der Mutter, die 1950 an Krebs starb, fühlte er sich abgelehnt: „Ein Schreckenskind! Ein Fehltritt!“lässt er sie in „Ein Kind“(1982) ausrufen.
Ein geliebtes und bewundertes Vorbild findet Bernhard in seinem Großvater, dem erfolglosen Schriftsteller Johannes Freumbichler. Eine ähnlich enge Bindung hatte er später nur zu seinem „Lebensmenschen“, der mehr als 30 Jahre älteren Hedwig Stavianicek, die ihn schon früh förderte.
Bernhards bedrückende Erfahrungen in einem NS-Erziehungsheim im thüringischen Saalfeld gingen ebenso in seine fünfteilige Jugendautobiografie ein wie die abgebrochene Schullaufbahn und die Lehre als Einzelhandelskaufmann in einem Kolonialwarenladen in der Salzburger Scherzhauserfeldsiedlung,
in der heute eine Straße seinen Namen trägt. Er absolvierte eine Gesangs-, Schauspiel- und Regieausbildung am Mozarteum und war zeitweise journalistisch tätig, unter anderem für das sozialistische „Demokratische Volksblatt“.
Hatte der junge Bernhard Salzburg noch hymnisch als die „Königin der Städte“gefeiert, nennt er die Stadt in „Die Ursache“(1975) einen „durch und durch menschenfeindlichen architektonisch-erzbischöflich-stumpfsinnig-nationalsozialistisch-katholischen Todesboden“. Der Wunsch nach Anerkennung ist in Bernhards Hassliebe zu Österreich nicht zu übersehen, ebenso wenig sein Hang zur Selbstinszenierung.
Es sei „alles lächerlich, wenn man an den Tod denkt“, sagte er anlässlich der Verleihung des Österreichischen Staatspreises für Romane im Jahr 1968. Seit seiner Jugend litt er an einer seltenen, lebensbedrohlichen Lungenkrankheit. Vor allem sein dramatisches Werk ist der Versuch, der Lächerlichkeit der Welt mit den Mitteln der Komödie und der Groteske zu begegnen. Viele seiner Stücke – einige im geschmähten Salzburg uraufgeführt – handeln von großen Projekten und ihrem banalen Scheitern.
„Morgen Augsburg“, lautet der Schlachtruf des Zirkusdirektors Caribaldi in „Die Macht der Gewohnheit“(1974). Mit vier seiner Artisten will er in der „Lechkloake“Schuberts „Forellenquintett“aufführen, was schon daran scheitert, dass nicht einmal eine Probe zustande kommt. Zum Schiffbruch verurteilt ist im Stück „Der Theatermacher“auch der Versuch des Prinzipals einer Schauspieltruppe, sein Drama „Das Rad der Geschichte“im Dorf Utzbach („wie Butzbach“) auf die Bühne zu bringen. Ein Blitzeinschlag vertreibt die Zuschauer noch vor Beginn aus dem Saal.
Zum 100-jährigen Bestehen des Wiener Burgtheaters fand im Herbst 1988, wenige Monate vor Bernhards Tod, die Uraufführung seines letzten Stücks „Heldenplatz“statt. Es war eine Abrechnung mit der österreichischen Gegenwart, die „noch viel schlimmer als vor 50 Jahren“sei. Das Stück wurde unter Regie von Claus Peymann unter Polizeischutz uraufgeführt, es handelt von einer jüdischen Emigrantenfamilie, die nach ihrer Rückkehr nach Österreich mit Gleichgültigkeit und Antisemitismus konfrontiert wird.
„Eine hirnlose österreichische Rechtspresse“habe die gefeierte Aufführung noch als „Möchtegernskandal“zu stilisieren vermocht, schrieb der Kritiker Peter von Becker. Dabei war der Büchnerpreisträger Bernhard längst einer der meistgespielten zeitgenössischen Dramatiker.
Die Welt eine „Schule des Todes“, die Menschheit eine „auf die fünf
Kontinente verteilte Sterbensgemeinschaft“, heißt es in dem Roman „Verstörung“(1967). Dieser Pessimismus hat Bernhard zuweilen Bezeichnungen wie „Unterganghofer“oder „Alpen-Beckett“eingetragen.
Der Kritiker Marcel Reich-Ranicki betonte demgegenüber: „Gewiss, er schwelgt im Krankhaften und häufig auch im Abstoßenden, doch soll das Pathologische das Wesen des Menschen schlechthin erkennbar machen und das Anormale die Fragwürdigkeit dessen vergegenwärtigen, was wir für normal zu halten gewohnt sind.“Thomas Bernhard starb am 12. Februar 1989 in Gmunden im Salzkammergut an den Folgen seiner chronischen Krankheit. In seinem Testament untersagte er jegliche Aufführung oder Drucklegung seiner Werke in Österreich. (epd)
Eine Werkausgabe in 22 Bänden ist bei Suhrkamp erschienen.