Wahlkampf leger
Kulturverfall überall, Gendersternchen hier, Anglizismen da. Und jetzt greift dieser besorgniserregende – sorry, jetzt kommt ein Anglizismus – Trend auch auf den – nochmal englisch Dresscode über. Heißt: Immer mehr Männer verzichten auf Binder, Schlipse, Krawatten, von Fliegen gar erst nicht zu reden. Selbst Banker laufen häufig casual herum und denken, sie wären weiterhin seriös.
Und jetzt natürlich auch Politiker. Beweise? Hängen an jedem Laternenmast und sind als Wahlplakate bekannt. Am Wochenende sind sie plötzlich aufgetaucht, über Nacht, an allen Einfalls- und Ausfallstraßen, mit Portraits und Parolen, wie sie seit Rilke kein Dichter mehr mit blauer Tinte auf Büttenpapier handverfasst hat. „Er weiß, was wir können“meint den grünen Chef, die Sozis denken an irgendwas mit „Autoland“, und die anderen preisen sich an, weil sie „Verbrecher von heute mit der Ausrüstung von morgen“jagen wollen.
Wo waren wir stehen geblieben? Ah ja, die Krawatte. Wer Kandidat und männlich ist, hat nämlich keine an, so sieht‘s aus. Guido Wolf vor einem diffusen Hintergrund, mit geöffnetem Hemdkragen, der schwer nach „locker“aussieht, weil das jetzt modern ist. Nico Reith von der FDP steht vor einem irren psychedelischen Farbrausch, über den wir dringend an anderer Stelle reden müssen – und hat keinen Schlips an. Dass der grüne Jungspund Jens Metzger keinen umschnürt – das war klar, in seinem Alter knapp über der Schulpflicht. Alle wollen sie also locker und jugendlich sein oder wirken. Frau Treublut von der SPD muss zwar einen mindestens genauso bleiernen Bild-Hintergrund wie Guido Wolf aushalten, aber nicht auf einen Binder verzichten, weil sie auch sonst keinen trägt.
Die Herren aber signalisieren klar und deutlich: Der Kulturwandel ist auch im Kreis Tuttlingen angekommen. Krawatten sind endgültig out und stehen für den Muff von tausend Jahren. Und dabei bleibt es nicht: Vermutlich tragen die Kandidaten bei der Bundestagswahl im Herbst auf ihren Plakatfotos Hawaiihemden. (leu)