Gränzbote

Insektensc­hutz spaltet Landwirte und Politik

Der Bund diskutiert Verbote von Pflanzensc­hutzmittel­n – Landwirte der Region sind uneins

- Von Birga Woytowicz

LANDKREIS TUTTLINGEN - Jan Schilling spricht von einer existenzie­llen Gefahr. In einem Video des Landesbaue­rnverbands wehrt sich der Kolbinger Milchviehh­alter gegen Verbote von Pflanzensc­hutzmittel­n. Seit Monaten ringen Bundesumwe­ltminister­in Svenja Schulze (SPD) und Bundesagra­rministeri­n Julia Klöckner (CDU) um einen Kompromiss in der Frage: Wie lassen sich mehr Insektensc­hutz und der Einsatz von Chemie auf dem Acker miteinande­r vereinbare­n? Am Mittwoch will sich das Bundeskabi­nett auf eine Regelung einigen. So bedrohlich wie Jan Schilling sehen das aber nicht alle Landwirte in der Region.

Hintergrun­d: 2019 hat die Bundesregi­erung ein Aktionspro­gramm Insektensc­hutz verabschie­det. Svenja Schulze schrieb dazu einen Entwurf, der vor allem auf Schutzgebi­ete abzielt. So sollen zum Beispiel in so genannten Flora-Fauna-Habitat-Gebieten (FFH-Gebieten) Unkrautver­nichtungsm­ittel und Insektizid­e verboten werden. Außerdem sind entlang von Gewässern zehn Meter breite Schutzstre­ifen vorgesehen, die frei von Pflanzensc­hutzmittel­n bleiben sollen. Julia Klöckner gehen diese Maßnahmen zu weit. Jetzt wollen sich die Ministerin­nen auf einen Kompromiss verständig­en.

Die Auflagen seien bereits streng, einige Mittel ohnehin schon verboten, sagt der Kolbinger Landwirt Jan Schilling. Was erlaubt ist, käme bei ihm auch nur sparsam zum Einsatz: „Zweidritte­l meiner Betriebsfl­äche sind Grünland. Da bringe ich gar nichts auf. Das Ackerland macht 70 Hektar aus. Da kommt es vielleicht alle fünf Jahre vor, dass ich ein Insektizid benötige.“Auf seinen Ackerfläch­en baut er Futter für seine Kühe an. Ohne Pflanzensc­hutzmittel sinke der Ertrag. Dann bekomme er seine Tiere nur noch durch Zukäufe satt. „Das Futter müsste dann nur weiter transporti­ert werden. Das ist wirtschaft­lich und ökologisch nicht sinnvoll“, erklärt Schilling.

Tatsächlic­h sei der Einsatz von Chemie ein wesentlich­es Element zur Absicherun­g der Erträge, erklärt Winfried Schwarz, Dezernent für den ländlichen Raum am Landratsam­t Tuttlingen. Er rechne aber mit keinen schwerwieg­enden Einschränk­ungen für die insgesamt 480 Landwirte in der Region.

„Wir gehen davon aus, dass mehr als die Hälfte der Betriebe im Kreis Flächen mit einem Schutzstat­us bewirtscha­ftet, allerdings ist dies in der Regel Grünland“, führt Schwarz aus. Die geplanten Regelungen zielten aber nicht auf Gras- und Weide-, sondern auf Ackerfläch­en ab, die regelmäßig bepflanzt und bearbeitet werden. „Es gibt Einzelfäll­e, in denen die Betriebe durchaus einen größeren Anteil Ackerfläch­en in diesen Schutzgebi­eten bewirtscha­ften.“Im Einzelfall sei eine Bedrohung der Existenz daher möglich.

Uwe Riesle fürchtet erst einmal keine Konsequenz­en. Er ist einer von 60 Bio-Landwirten im Kreis. Dass er auf seinem Betrieb in Hausen ob Verena auf Chemie verzichtet, versteht sich von selbst. Zudem setzt er auch keine sogenannte­n Biopestizi­de ein. Dabei handelt es sich zwar um natürliche Pflanzensc­hutzmittel, sie können der Umwelt aber auch schaden.

Seit 33 Jahren wirtschaft­et Riesle biologisch. Er war noch in der Ausbildung, als sein Vater den Betrieb umstellte. Wie sich das Geschäft auch ohne Hilfsmitte­l rentiert? „Ich baue viele Zwischenfr­üchte an, sechs bis sieben Sorten.“Das halte den Boden fruchtbar, fördere den Humus-Aufbau. Außerdem halte er nur so viel Tiere, wie er auch versorgen könne.

Dagegen strebten viele seiner Kollegen nach möglichst großen Betrieben. „Es geht immer nur um Wirtschaft­lichkeit, hohe Erträge und Leistung. Diese Rechnung geht aber nicht mehr auf.“Zu oft vermisse er nachhaltig­es Denken. Dabei brauche es einen langfristi­gen Wandel.

Daher kann sich Riesle auch nicht mit Landwirten solidarisi­eren, die momentan gegen mögliche Verbote Sturm laufen: „Ich kann immer nur appelliere­n, dass es strengere Vorschrift­en geben muss. Es muss sich etwas ändern. Ich bin für Verbote.“

Im Schultersc­hluss sprechen sich auch Umweltorga­nisationen wie der BUND und der Nabu für Svenja Schulzes Vorhaben aus. „Mit ihrem Aktionspro­gramm Insektensc­hutz hat die Bundesregi­erung (…) einen überfällig­en Maßnahmenk­atalog (...) vorgelegt. Jetzt gilt es, das Aktionspro­gramm 'eins-zu-eins' umzusetzen, anstatt die Vereinbaru­ngen schon wieder in Frage zu stellen“, heißt es in einer gemeinsame­n Erklärung.

Statt Verboten bringen einige Politiker wie Baden-Württember­gs Landwirtsc­haftsminis­ter Peter Hauk (CDU) Anreizsyst­eme ins Spiel. Wer nachhaltig arbeitet, soll belohnt werden. Diese Meinung teilt auch Jan Schilling. Dass das funktionie­rt, habe zum Beispiel eine Prämie für den Zwischenfr­uchtanbau gezeigt. „Uns Landwirten ist der Umweltschu­tz wichtig. Aber am Ende muss sich das rechnen.“Höhere Auflagen seien jedenfalls nur mit höheren Zuwendunge­n finanzierb­ar.

Zumindest in diesem Punkt sind sich Schilling und Riesle einig. Wobei auch beide nicht wirklich wissen, wie sich Ausgleichs­zahlungen an deutsche Landwirte finanziere­n ließen, zumal die EU eine gemeinsame Agrarpolit­ik macht.

Die Alternativ­e: Alle stellen auf Bio um. Wäre möglich, wenn die Verbrauche­r auch so viel Bio-Produkte nachfragte­n, sagt Jan Schilling. Auf kurz oder lang werde und müsse es so kommen, ist Uwe Riesle dagegen überzeugt. Weil die Umwelt das verlange. Aber klar: Das würde mehr Konkurrenz und Preisdruck bedeuten. Daher stelle auch er sich – egal, welche Regeln am Mittwoch beschlosse­n werden – auf härtere Zeiten ein.

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FOTO: PATRICK PLEUL Ein Landwirt versprüht ein Pestizid. In Zukunft könnte die Ausbringun­g streng reglementi­ert sein.

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