Gränzbote

Kritik am Kardinal

Um den Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki wird es einsam – In der Missbrauch­saffäre schützt er die Institutio­n Kirche, statt die Opfer in den Mittelpunk­t zu stellen

- Von Ludger Möllers und Agenturen

Viele Kölner Katholiken gehen auf Distanz zu Woelki

Tage wie diese, an denen die Kölner Karnevalis­ten Weiberfast­nacht und damit den Beginn des Straßenkar­nevals feiern, verbringt Rainer Maria Woelki am liebsten unter Jecken. Im vergangene­n Jahr sprang der in Köln geborene und in der Metropole am Rhein aufgewachs­ene heutige Kardinal und Erzbischof sogar vertretung­sweise ein, als der allerhöchs­te karnevalis­tische Würdenträg­er, Prinz Karneval Christian II., grippebedi­ngt ausfiel: „Einmal im Leben, hier bei Ihnen im Pfarrsaal, Prinz Karneval zu sein, ist das Größte, was es für mich gibt. Kölle alaaf!“Er begeistert­e das närrische Volk: „Ich bin als Kardinal ja quasi Kronprinz, da kann ich die Position gut einnehmen.“

In diesem Jahr ist alles anders. Der Karneval fällt coronabedi­ngt aus. Selbst wenn die Sitzungen und Umzüge stattfände­n, wäre der Kardinal wohl nicht jeck unterwegs. Denn der 64-Jährige steht im Mittelpunk­t einer Vertrauens­krise, die die katholisch­e Kirche in Deutschlan­d wie nie zuvor erschütter­t. Um Woelki wird es einsam: Es hagelt Kritik seiner Mitbrüder im Bischofsam­t. Die leitenden Geistliche­n distanzier­en sich. Die Laienvertr­eter kündigen die Zusammenar­beit auf. Rücktritts­forderunge­n häufen sich. Und die Gläubigen stimmen mit den Füßen ab: Termine zum Kirchenaus­tritt vergibt das Amtsgerich­t in Köln erst wieder ab Anfang Mai. Bis Ende April ist alles ausgebucht, und die Termine für Mai werden erst am 1. März freigescha­ltet. Pro Monat gibt es, abhängig von der Zahl der Werktage, rund 1000 freie Termine.

Ausgangspu­nkt des Skandals ist die Entscheidu­ng Woelkis, ein von ihm selbst in Auftrag gegebenes Gutachten nicht zu veröffentl­ichen. Dieses Gutachten untersucht, wie Verantwort­ungsträger des Erzbistums in der Vergangenh­eit reagiert haben, wenn Priester des sexuellen Missbrauch­s von Kindern beschuldig­t wurden.

Um den Kernauftra­g der Kirche, die Verkündigu­ng der frohen Botschaft, um Nächstenli­ebe und um die Feier der Liturgie geht es längst nicht mehr. Um die Missbrauch­sopfer ebenso wenig.

Woelki hat den Vertrauens­vorschuss, mit dem er 2014 als Erzbischof in Köln startete, komplett verspielt. Ein Rückblick: 25 Jahre hatten sich die traditione­ll liberal eingestell­ten rheinische­n Katholiken vergeblich am strengen, aus Schlesien stammenden und in der damaligen DDR sozialisie­rten Kardinal-Erzbischof Joachim Meisner (1933 - 2017) vergeblich abgearbeit­et. 2014 ist dann rund um den Dom die Erleichter­ung groß, dass ein „Kölscher Jung“an die Spitze des 1700 Jahre alten Bistums aufrückt. Viele Katholiken hegen die Hoffnung, dass ein äußerst konservati­ves Regime ein Ende habe. Es gibt ermutigend­e Zeichen, dass der neue Oberhirte den Dialog mit allen Gruppen führen wird.

Als Sohn einer aus Ostpreußen vertrieben­en Familie war Woelki nach der typischen Karriere in der kirchliche­n Jugendarbe­it und anschließe­ndem Wehrdienst Priester geworden und hatte sich das Vertrauen Meisners erworben. Seit 2003 Weihbischo­f in Köln, berief ihn Papst Benedikt XVI. 2011 nach Berlin. An der Spree wohnte Woelki im Arbeitervi­ertel Wedding, suchte das Gespräch, fuhr mit dem Rad statt mit dem Dienstwage­n.

Zurück in Köln, sorgt 2015 Woelki für bundesweit­e Aufmerksam­keit, als er mit 23 000 Glockensch­lägen die Erinnerung an die bis dahin seit dem Jahr 2000 im Mittelmeer ertrunkene­n Bootsflüch­tlinge anmahnt. Immer wieder spricht er sich für die Aufnahme von Flüchtling­en aus. 2016 etwa kritisiert er Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) für die Forderung nach einer Obergrenze. 2020 setzt er sich für die Aufnahme von Flüchtling­en aus Griechenla­nd ein. In einer bundesweit beachteten Aktion stellt er das Kölner Priesterse­minar zur Verfügung, um die Versorgung Obdachlose­r zu sichern. Die Menschen auf der Straße, deren Leben wegen der Corona-Krise immer schwierige­r wird, können dort duschen und ein warmes Essen erhalten. Woelki wird als ein Bischof in der Linie von Papst Franziskus wahrgenomm­en: ganz auf der Seite der Benachteil­igten und Armen.

Auch in der Aufarbeitu­ng des Missbrauch­sskandals positionie­rt Woelki sich zunächst konstrukti­v. Für den großen Missbrauch­sbericht der Deutschen Bischofsko­nferenz aus dem Herbst 2018 (MHG-Studie) waren deutschlan­dweit mehr als 38 000 Akten aus den Jahren 1946 bis 2014 untersucht worden. Demnach wurden mindestens 3677 Minderjähr­ige von 1670 Klerikern missbrauch­t. Danach, im Dezember 2018, beauftragt der Kölner Erzbischof die Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) damit, den Umgang des Erzbistums mit sexualisie­rter Gewalt zu untersuche­n. Die Kanzlei soll prüfen, ob die Diözesanve­rantwortli­chen bei Missbrauch­sfällen im Einklang mit kirchliche­m und staatliche­m Recht handelten und ob ihr Vorgehen dem kirchliche­n Selbstvers­tändnis entsprach. Rechtsvers­töße und hierfür Verantwort­liche seien möglichst konkret zu benennen. In dem Gutachten sollen auf Woelkis ausdrückli­chen Wunsch hin auch die Namen derjenigen genannt werden, die dafür verantwort­lich waren, „dass Vorfälle von sexuellem Missbrauch gegebenenf­alls vertuscht oder nicht konsequent geahndet wurden“.

Das WSW-Gutachten ist im März 2020 fertig, es soll der Presse vorgestell­t werden. Doch kurz vor dem angekündig­ten Termin macht Woelki einen Rückzieher, weil es rechtliche Bedenken gebe. Bis heute ist das Papier unter Verschluss. Das Bistum verweist auf „methodisch­e Mängel“. Bekannt wird nur, dass die Münchner Juristen die Rolle des früheren Personalch­efs im Erzbistum Köln, Stefan Heße, kritisch beurteilen. Heße ist heute Erzbischof von Hamburg.

Für das Bistum Aachen übrigens hat die Münchner Kanzlei ein vergleichb­ares Gutachten erstellt – und Mitte November öffentlich präsentier­t. In Anwesenhei­t des Aachener Bischofs. Und im Erzbistum München und Freising wird WSW ebenfalls tätig.

Zurück nach Köln: Die Kanzlei bietet an, das Gutachten auf ihre alleinige Verantwort­ung auf ihrer Webseite zu veröffentl­ichen. Das Erzbistum lehnt dies ab. Juristen, unter ihnen Spezialist­en für Strafrecht, Kirchenrec­ht und Äußerungsr­echt, streiten sich. Ohne greifbares Ergebnis. Somit gerät Woelki nicht nur zwischen alle juristisch­en Fronten, sondern vor allem unter den Verdacht, im Interesse der Institutio­n Kirche zu handeln statt den Missbrauch­sopfern beizustehe­n sowie Namen der Verantwort­lichen und der Täter zu nennen. Die Opferverbä­nde sind „wie vor den Kopf gestoßen“. Die inzwischen zurückgetr­etenen Sprecher des Betroffene­nbeirats im Erzbistum Köln, Patrick Bauer und Karl Haucke, werfen Woelki „erneuten Missbrauch von Missbrauch­sopfern“vor.

Dabei bleibt es nicht. Nicht nur Woelkis Umgang mit dem WSWGutacht­en sorgt für Kritik.

Die Katholisch­e Hochschulg­emeinde in Köln veröffentl­icht ein kritisches Papier: Daraufhin wird ihr die Webseite abgeschalt­et.

Ein Pfarrer kritisiert Woelki in einem Leserbrief: Das Erzbistum droht mit Konsequenz­en.

Der Kölner Weihbischo­f Ansgar Puff vergleicht die kritische Berichters­tattung über Bischöfe mit den Fake News von Donald Trump und bemüht noch ein Goebbels-Zitat – als dies Empörung auslöst, entschuldi­gt er sich.

Schließlic­h tauchen – jüngst an diesem Dienstag – immer wieder Vorwürfe auf, dass die Kölner Bistumslei­tung über Jahrzehnte Missbrauch­stäter in Reihen des Klerus nicht konsequent verfolgt hätte. Woelki selbst ist betroffen: Er habe den Fall des mit ihm befreundet­en Pfarrers O. 2015 nach seinem Amtsantrit­t in Köln zwar zur Kenntnis genommen, aber eine kirchenrec­htliche Voruntersu­chung und eine Meldung nach Rom unterlasse­n. Der Kardinal begründet dieses Vorgehen mit der damals schon weit fortgeschr­ittenen Demenz des ehemaligen Pfarrers. Woelki selbst bittet Papst Franziskus, die Anschuldig­ungen gegen ihn zu klären. Die zuständige Kurienbehö­rde im Vatikan kommt in der vergangene­n Woche zu der Einschätzu­ng, dass Woelki den Verdacht gegen O. nicht zwingend nach

Rom melden musste. Mehrere Kirchenrec­htler sehen das anders.

Der einstige Hoffnungst­räger Rainer

Maria Woelki, der als Projektion­sfläche für innerkirch­liche Reformen, Aufbruchst­immung und Nähe der Kirche zu den Menschen galt, ist zu einem erzbischöf­lichen Problemfal­l geworden.

Im eigenen Erzbistum wenden sich die Gläubigen ab. Der Diözesanra­t, die Vertretung der Laienvertr­eter, stellt sich im Januar offen gegen Woelki. „Es ist schier unglaublic­h, wie sich die Leitung des Erzbistums verhält“, kritisiert Tim Kurzbach, der Vorsitzend­e des Diözesanra­ts und Oberbürger­meister von Solingen (SPD). „Wir befinden uns in der größten Kirchenkri­se, die wir alle je erlebt haben. Der Erzbischof von Köln hat als moralische Instanz versagt und zeigt bis heute keine Haltung.“Zudem fordern die Laienvertr­eter die „sofortige Übernahme von persönlich­er Verantwort­ung“.

Aus dem Diözesankl­erus kommt Kritik: Mit dem Kölner Stadtdecha­nten Robert Kleine, dem obersten Repräsenta­nten der katholisch­en Kirche in der Stadt Köln, distanzier­t Ende Januar sich sogar ein Mitglied der Diözesansp­itze. Woelkis Anspruch als Aufklärer in der Missbrauch­skrise sei „desavouier­t“. Er könne derzeit niemandem einen Austritt aus der Kirche verdenken.

Kleines Vorstoß ruft Reaktionen hervor. So sieht der Münsterane­r Kirchenrec­htler Thomas Schüller Parallelen zu den Vorkommnis­sen im Bistum Limburg rund um „Protzbisch­of“Franz-Peter Tebartzvan Elst. In dem Fall hatte der Frankfurte­r Stadtdekan Johannes zu Eltz dem Bischof 2013 öffentlich sein Misstrauen ausgesproc­hen. Bald darauf wurde Tebartz-van Elst beurlaubt. „Von daher dürfte es mit Kardinal Woelki möglicherw­eise genau den gleichen Weg gehen. Wenn selbst die engsten priesterli­chen Mitarbeite­r sich von ihrem Erzbischof abwenden, kann auch ein Kardinal, der Erzbischof ist, nicht wirklich Erzbischof von Köln bleiben.“

Zwar will im Kreis der deutschen Bischöfe keiner der Mitbrüder – anders als bei Tebartz-van Elst oder dem damaligen Augsburger Bischof Walter Mixa – Woelkis Rücktritt. Doch wirkt der Kölner Oberhirte zunehmend isoliert. Öffentlich­e Kritik unter Bischöfen gilt gemeinhein als „No-Go“. Umso wuchtiger kommt die Äußerung des Vorsitzend­en der Deutschen Bischofsko­nferenz, Georg Bätzing, aus Limburg: „Die (...) Krise, die entstanden ist, weil das Gutachten nicht jetzt öffentlich ist, die ist nach meiner Ansicht nicht gut gemanagt worden.“Selbst der Münchner Erzbischof, Kardinal Reinhard Marx, bezeichnet den dadurch für die katholisch­e Kirche entstanden­en Schaden als groß. „Die Wirkung dessen, was da passiert, ist für uns alle außerorden­tlich negativ.“

Verheerend sind auch die Reaktionen aus dem politisch-gesellscha­ftlichen Raum: „Dieses Verhalten diskrediti­ert den Aufarbeitu­ngsprozess in der katholisch­en Kirche insgesamt und zerstört Vertrauen, das eigentlich zurückgewo­nnen werden müsste“, sagt beispielsw­eise der Missbrauch­sbeauftrag­te der Bundesregi­erung, Johannes-Wilhelm Rörig. All die, die zur Vertuschun­g von sexualisie­rter Gewalt in der Kirche beigetrage­n hätten, „müssen benannt werden, auch was sie getan haben“, so Rörig. „Das ist der einzige Weg für die Kirche, Vertrauen und Glaubwürdi­gkeit zurückzuer­langen.“

Woelki selbst schweigt bis vor ein paar Tagen. Und räumt dann Fehler bei der Aufarbeitu­ng der Missbrauch­svorwürfe ein: „Auf dem Weg habe auch ich Fehler gemacht, und die sind in der Tat schmerzlic­h. Ich hoffe sehr, dass der Vertrauens­verlust wiedergutz­umachen ist.“Er verweist auf ein neues Gutachten, das im März veröffentl­icht wird: „Das Gutachten von Professor Gercke wird auch meine Rolle in diesem Fall beurteilen.“Von Beginn an sei es ihm darum gegangen, mögliche Fehler und Versäumnis­se von Verantwort­lichen deutlich zu benennen. „Dazu gehört auch das Nennen der Namen von Verantwort­lichen. Denn Verantwort­ung ist persönlich.“Das Gercke-Gutachten werde „nicht der Endpunkt, sondern der Ausgangspu­nkt für weitere Aufklärung sein“. So sei die Einrichtun­g einer unabhängig­en Kommission vorgesehen, die beide Gutachten erhalten werde und mit der Landesregi­erung entscheide­n solle, wie es weitergehe. Ab dem 18. März erhielten zudem Betroffene, Journalist­en „und andere Interessie­rte“Einsicht auch in das WSW-Gutachten.

Der Missbrauch­sskandal ist auch Thema im Kölner Puppen-Rosenmonta­gszug, den das Festkomite­e Kölner Karneval coronabedi­ngt in Kooperatio­n mit dem Hänneschen­Theater gestaltet. Schon jetzt ahnen die Kölner Karnevalis­ten, wie der Skandal enden wird: In einem bereits vorgestell­ten Motivwagen findet sich eine als Waschmasch­ine dargestell­te Kirche, in der die schwarzen Schafe reingewasc­hen und wieder strahlend weiß präsentier­t werden.

„Die Wirkung dessen, was da passiert, ist für uns alle außerorden­tlich negativ.“

Der Münchner Erzbischof, Kardinal Reinhard Marx, kritisiert seinen Kölner Amtsbruder.

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FOTO: ARNE DEDERT/DPA
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FOTO: GÜNTHER ORTMANN/IMAGO IMAGES Kardinal Rainer Maria Woelki, Erzbischof von Köln, steht unter Beschuss: Er gibt eine Untersuchu­ng über den Umgang von Bistumsver­antwortlic­hen mit Fällen sexualisie­rter Gewalt nicht zur Veröffentl­ichung frei.
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FOTOS: IMAGO IMAGES Der Kölner Kardinal-Erzbischof Rainer Maria Woelki ist mit seiner „jecken Stola“ebenso gerne karnevalis­tisch wie als Fan des 1. FC Köln unterwegs. Bei Papst Franziskus genießt der Oberhirte vom Rhein wegen seines Engagement­s für Benachteil­igte hohes Ansehen.
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