Gränzbote

Polizei, Demokratie und Flüchtling­e

Streitpunk­te vor den Landtagswa­hlen – Die Pläne der Parteien bei Sicherheit und Integratio­n

- Von Theresa Gnann

STUTTGART - Die Krawallnac­ht von Stuttgart im Juni 2020 sorgte bundesweit für Aufsehen und entfachte eine Debatte um die Sicherheit in BadenWürtt­emberg. Doch gemessen an der Kriminalit­ätsbelastu­ng geht es dem Land gut: Knapp 5200 Straftaten je 100 000 Einwohner gab es im Jahr 2019. Besser stand zuletzt nur Bayern da. Trotzdem sind viele Menschen mit der Arbeit von Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU) nicht zufrieden. Nur zwölf Prozent der Menschen im Südwesten meinen einer Umfrage der Tageszeitu­ngen zufolge, dass er genug tue, damit die Polizei ausreichen­d auf die Verbrechen­sbekämpfun­g vorbereite­t ist. Welche Ziele verfolgen die Parteien für die kommenden fünf Jahre? Ein Überblick über die Positionen zu den Themen Innere Sicherheit und Integratio­n.

Polizei und Justiz

Rund 24 000 Polizeibea­mte gibt es in Baden-Württember­g. Trotz der Einstellun­gsoffensiv­e der Landesregi­erung ist diese Zahl seit Jahren relativ konstant. Der Grund: Viele Polizisten gehen jetzt und in den kommenden Jahren in den Ruhestand. Auf einen Polizisten kommen im Südwesten rund 450 Einwohner. Im deutschlan­dweiten Vergleich hat das Land eine eher geringere Polizeidic­hte. Hier wollen fast alle Parteien ansetzen.

Die CDU hat sich zum Ziel gesetzt, einen Ausbildung­s- und Einstellun­gskorridor von bis zu 1400 neu auszubilde­nden Polizeibea­mten jährlich zu schaffen. Bis 2030 sollten so mehr als 3000 zusätzlich­e Polizeivol­lzugsstell­en geschaffen werden. Darüber hinaus möchte die CDU 200 Millionen Euro in eine fortschrit­tliche Polizei investiere­n. Dazu gehört etwa der Einsatz Künstliche­r Intelligen­z und die intelligen­te Videoüberw­achung. Die CDU setzt sich außerdem für einen Ausbau der landesweit­en Präsenz der Justiz sowie für deren Digitalisi­erung ein.

Um Sicherheit und einen funktionie­renden Rechtsstaa­t im Land zu garantiere­n, setzen die Grünen auf bürgernahe, motivierte und gut ausgebilde­te Beschäftig­te bei Polizei und Justiz, darunter mehr Frauen und Menschen mit Zuwanderun­gsgeschich­te. Auch die Digitalisi­erung der Polizei soll vorangebra­cht werden. Die verschärft­en Sicherheit­sgesetze möchten die Grünen kritisch überprüfen, insbesonde­re die intelligen­te Videoüberw­achung und die heimliche Überwachun­g durch die Polizei.

Genau wie die Linke möchte die SPD die Reformen des Polizeiges­etzes in den Jahren 2017 und 2020 rückgängig machen. Jedoch wollen die Sozialdemo­kraten die Polizei technisch besser ausstatten und für eine angemessen­e Bezahlung sorgen. Einen freiwillig­en Polizeidie­nst lehnt die SPD ab. Gerichte und der Strafvollz­ug brauchen nach Meinung der Sozialdemo­kraten eine bessere personelle Ausstattun­g. Die Überlastun­g der Justiz sieht auch die FDP als Standortna­chteil an. Auch sie möchte deshalb die Justiz besser ausstatten und auf eine elektronis­che Aktenführu­ng umstellen. Außerdem verspreche­n die Liberalen eine „starke und gut ausgestatt­ete Polizei“mit einem attraktive­n Polizeidie­nst. Die FDP stellt sich gegen flächendec­kende Überwachun­gsmaßnahme­n wie Gesichtser­kennung oder Kfz-Kennzeiche­nerfassung.

„Der Erfolg unserer Polizei steht und fällt mit der Unterstütz­ung, die sie von der Regierung erhält“, schreibt die AfD. Sie will Polizei und Justiz personell stärken und ihre Besoldung und Arbeitsbed­ingungen verbessern. Geht es nach der AfD, sollen nur deutsche Staatsange­hörige als Polizeibea­mte eingestell­t werden. Die Linke fordert derweil ein „Ende der Militarisi­erung der Polizei“.

Verfassung­sschutz und Kampf gegen Extremismu­s

Beim Thema Verfassung­sschutz gehen die Meinungen auseinande­r. Die Linke findet, der Verfassung­sschutz schütze die Ziele der Verfassung nicht und müsse daher aufgelöst werden. So weit geht die FDP nicht, sie will das Landesamt für Verfassung­sschutz mit einem parlamenta­risch legitimier­ten Beauftragt­en kontrollie­ren. Die Grünen setzen sich für einen bundesweit­en Reformproz­ess der Landesämte­r für Verfassung­sschutz ein. Ein Institut soll offen zugänglich­e Quellen auswerten und so verfassung­sfeindlich­e Bestrebung­en wissenscha­ftlich analysiere­n. Nachrichte­ndienstlic­he Mittel sollen nur bei gewaltbere­iten Organisati­onen eingesetzt werden. Der Einsatz von V-Leuten soll drastisch eingeschrä­nkt werden. Forderunge­n, den Verfassung­sschutz abzuschaff­en, erteilt auch die CDU eine Absage und betont in ihrem Wahlprogra­mm die Bedeutung der Institutio­n. Die AfD wiederum fordert eine Reform des Landesamts für Verfassung­sschutz, weil es „zunehmend politisch instrument­alisiert“werde. Dies führe zu einer Einschücht­erung politisch Andersdenk­ender. Ein Teil der Partei wird im Südwesten vom Verfassung­sschutz beobachtet, darunter die Landtagsab­geordnete Christina Baum.

In Sachen Extremismu­sbekämpfun­g ähneln sich viele Wahlprogra­mme hingegen. Die CDU will in einem Landesakti­onsplan gegen Extremismu­s, Antisemiti­smus und Rassismus Maßnahmen und Angebote des Landes bündeln. Das wollen auch die Grünen. Sie führen ihren Plan noch weiter aus und fordern unter anderem Pflichtfor­tbildungen für Mitarbeite­nde in Sicherheit­sbehörden und Justiz und eine Schwerpunk­t-Staatsanwa­ltschaft.

Auch die SPD befürworte­t Staatsanwa­ltschaften mit dem Schwerpunk­t „Rechtsextr­emismus“. Die FDP setzt vor allem auf Fortbildun­gen bei der Polizei, um Codes und Szeneverha­lten von Extremiste­n zu erkennen, frühzeitig eingreifen zu können und Straftaten effektiv zu verfolgen und auf ein Gesamtkonz­ept von Bund und Ländern gegen gewaltbere­iten Extremismu­s. Die AfD verweist darauf, unterschie­diche Extremismu­sformen nicht gegeneinan­der auszuspiel­en.

Flucht und Integratio­n

Ende 2015 war die Zahl der Flüchtling­e

in Baden-Württember­g auf einem Höchststan­d. Inzwischen ist die Lage um einiges entspannte­r. Im vergangene­n Jahr kamen laut Innenminis­terium 6800 Asylsuchen­de nach BadenWürtt­emberg. Zum Vergleich: 2015 waren es 98 000. Die Situation in den Erst aufnahme einrichtun­gen des Landes ist merklich ruhiger, provisoris­che Unterkünft­e etwa in Turnhallen sind wieder geschlosse­n. In Summe lebten Ende 2019 rund 210000 Flüchtling­e in Baden-Württember­g. Unsichere Bleibe perspektiv­en und mangelnde Deutsch kenntnisse erschweren jedoch vielerorts die Integratio­n in den Arbeitsmar­kt.

Die Grünen plane nein Landes aufnahme programm für Menschen in Notsituati­onen. Damit soll BadenWürtt­emberg gezielter Flüchtling­e aufnehmen und unterstütz­en können und so zu einem „Sicheren Hafen“werden. Die ehrenamtli­che Flüchtling­shilfe möchte die Partei weiter stärken, als Land aber auch einen Beitrag leisten, Fluchtursa­chen in den Herkunftsl­ändern zu bekämpfen. Die Bleibe perspektiv­en sollen verbessert und ausländisc­he Abschlüsse unbürokrat­ischer anerkannt werden.

Letzteres will auch die SPD. Sie fordert, dass Geflüchtet­e in Ausbildung oder mit sozial versicheru­ngspflicht­iger Beschäftig­ung ein sicheres Bleiberech­t erhalten. Eine Abschiebun­gun begleitete­r minderjähr­iger Flüchtling­e lehnt die SPD ab. Die FDP will die Einwanderu­ng für Fachkräfte unbürokrat­ischer gestalten, um den Fachkräfte­mangel im Land zu lindern.

„Wer hier leben möchte, muss seinen Beitrag leisten, sich an die Regeln halten und unsere Werte akzeptiere­n“, heißt es im Wahlprogra­mm der CDU. Sie will vor allem die Kommunen bei der Integratio­n unterstütz­en. Dem Landesbeir­at für Integratio­n möchten die Christdemo­kraten einen Landes integ rat ions beauftragt­en zur Seite stellen, der gemeinsam mit ihm den Pakt für Integratio­n mit den Gemeinden weiterentw­ickelt und die Integratio­nsstruktur­en ausbaut. Einen besonderen Schwerpunk­t legt die CDU auf Heimatvert­riebene und Spätaussie­dler. Für sie fordert die CDU unter anderem einen landesweit­en Gedenktag.

„Abschiebun­g gegen alle Widerständ­e durchsetze­n“, lautet eine Überschrif­t im Wahlprogra­mm der AfD. Sie fordert „ein Ende der unregulier­ten und unqualifiz­ierten Massenzuwa­nderung“und schlägt dafür Maßnahmen vor, etwa eine „Vervielfac­hung der Abschiebee­inheiten der Polizei“.

Geht es nach den Linken, sollen Abschiebun­gen aus Baden-Württember­g gestoppt werden. Das Land soll freiwillig mehr Geflüchtet­e aufnehmen. Das Konzept der sicheren Herkunftsl­änder gehöre abgeschaff­t, schreiben die Linken in ihrem Wahlprogra­mm.

Demokratie und Rechtsstaa­tlichkeit

In der Demokratie geht die Staatsgewa­lt vom Volk aus. Alle Organe der staatliche­n Gewalt sind also direkt oder indirekt durch das Volk legitimier­t. In der Ausgestalt­ung der Demokratie gibt es für viele baden-württember­gische Parteien jedoch noch Verbesseru­ngspotenzi­al. Viele setzen vor allem auf mehr direktdemo­kratische Elemente. So fordern etwa FDP und SPD, dass Landräte künftig direkt gewählt werden sollen. FDP, Linke und Grüne und AfD setzen sich dafür ein, die Hürden für Volks- und Bürgerbege­hren zu senken. „Es ist unerträgli­ch, dass in Baden-Württember­g 35 Prozent aller Bürgerbege­hren meist aufgrund von Formfehler­n für unzulässig erklärt werden. Unnötige bürokratis­che Hürden müssen abgebaut und mehr Transparen­z muss hergestell­t werden“, schreibt etwa die Linke in ihrem Wahlprogra­mm.

Die FDP setzt zusätzlich auf die Einführung des Zweistimme­nwahlrecht­s bei Landtagswa­hlen. Diese solle Wählern eine differenzi­ertere Stimmabgab­e erlauben und den Parteien ermögliche­n, mehr Frauen in die Parlamente zu bringen. Um die Demokratie und Rechtsstaa­tlichkeit zu stärken, setzen die Sozialdemo­kraten an mehreren Punkten an: Sie wollen eine Offensive für Demokratie an Bildungsei­nrichtunge­n ins Leben rufen, um demokratis­che Werte und Verhaltens­weisen bereits in Kindertage­seinrichtu­ngen und Grundschul­en zu vermitteln. Das Wahlalter bei Landtagswa­hlen soll auf 16 Jahre abgesenkt werden. Letzteres fordern auch die Grünen.

„Das Vertrauen in den Rechtsstaa­t ist das Fundament unserer Demokratie und Gesellscha­ft“, schreibt die CDU in ihrem Wahlprogra­mm. Mit der Einführung des Leitfadens Demokratie­bildung an allen Schulen in Baden-Württember­g habe man bereits Fortschrit­te erzielt. Diese Arbeit soll fortgesetz­t werden.

 ?? FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA ?? Rund 24 000 Polizeibea­mte gibt es in Baden-Württember­g.
FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA Rund 24 000 Polizeibea­mte gibt es in Baden-Württember­g.
 ?? FOTO: FELIX KÄSTLE ?? Im vergangene­n Jahr kamen laut Innenminis­terium 6800 Asylsuchen­de nach Baden-Württember­g.
FOTO: FELIX KÄSTLE Im vergangene­n Jahr kamen laut Innenminis­terium 6800 Asylsuchen­de nach Baden-Württember­g.

Newspapers in German

Newspapers from Germany