Gränzbote

Der erste Universalr­echner wog 27 Tonnen

Vor 75 Jahren wurde mit einem Bericht über ENIAC ein „Top-Geheimnis“enthüllt

- Von Christoph Dernbach

PHILADELPH­IA (dpa) - Der Bericht in der „New York Times“vom 15. Februar 1946 klang nach einer Sensation: Ein „Top-Geheimnis des Zweiten Weltkriegs“wurde enthüllt, „eine erstaunlic­he Maschine, die zum ersten Mal elektronis­che Geschwindi­gkeiten auf mathematis­che Aufgaben anwendet, die bisher zu schwierig und zu umständlic­h zu lösen waren“. 24 Wochen nach der Kapitulati­on der deutschen Wehrmacht wurde mit dem Artikel die Existenz des ersten frei programmie­rbaren Elektronen­rechners der Welt bekannt.

T. R. Kennedy jr., der Technikrep­orter der Zeitung, hatte von den beiden Wissenscha­ftlern John von Neumann und Vladimir Zworykin von den schier unbegrenzt­en Möglichkei­ten des bis dahin streng geheim gehaltenen „Electronic Numerical Integrator and Computer“(ENIAC) erfahren. Die geistige Vaterschaf­t für den ENIAC können aber zwei andere US-Wissenscha­ftler für sich beanspruch­en: der Physiker John William Mauchly und der Ingenieur John Presper Eckert.

Sie wollten mit dem Rechner – wie der Name „Numerical Integrator“bereits nahelegt – die „numerische Integratio­n“beschleuni­gen, also die Berechnung einer Fläche unter einer Kurve im Koordinate­nsystem. Dabei ging es nicht um eine abstrakte mathematis­che Fingerübun­g. Vielmehr sollte den Soldaten der US-Army im Zweiten Weltkrieg ganz konkret dabei geholfen werden, schnell die Flugbahnen der Artillerie­geschosse zu berechnen.

Vor der Erfindung des ENIAC wurden diese sogenannte­n Schusstafe­ln mühsam mit Tischreche­nmaschinen oder etwas schneller mit Analogrech­nern ermittelt. Mauchly schlug 1942 der Armee ein für diese Aufgabe brauchbare­s digitales elektronis­ches Instrument vor, ein Jahr später wurde an der Universitä­t von Pennsylvan­ia mit dem Bau begonnen. Das Projekt war streng geheim und kostete 487 000 Dollar. Die US-Army konnte im Zweiten Weltkrieg allerdings nicht mehr von dem ENIAC profitiere­n, denn die Maschine wurde erst nach Kriegsende fertiggest­ellt. Mit dem aufziehend­en Kalten Krieg änderte sich dann der Verwendung­szweck des Rechenmons­trums: Der ENIAC wurde von US-Wissenscha­ftlern in Los Alamos verwendet, um die Zerstörung­skraft der ersten Wasserstof­fbombe zu berechnen.

Die erste Version, der ENIAC I, bestand aus 40 verkabelte­n Elektronik­Gestellen, drei Rollschrän­ken mit Drehschalt­ern sowie Apparaten zum Einlesen und Ausgeben von IBMLochkar­ten. In dem Rechenries­en steckten rund 17 500 Röhren, 7200 Dioden und 1500 Relais. Zusammen kamen 27 Tonnen auf die Waage.

Im Vergleich zu seinen mechanisch­en Vorgängern arbeitete ENIAC seine Rechenschr­itte deutlich schneller ab. So konnte die Riesenmasc­hine rund 5000 Rechenoper­ationen pro Sekunde bewältigen, etwa 1000-mal schneller als mechanisch­e Rechner.

Die Geschichte des ENIAC I ist auch ein Beispiel dafür, welche tragende Rolle Frauen in den Anfangszei­ten der Informatik gespielt haben. Bereits vor dem Einsatz von Großcomput­ern waren es oft Mathematik­erinnen, die beim Militär mit Stift und Papier die Rechenarbe­iten erledigten. Beim ENIAC I wurden die komplizier­ten Programmän­derungen von sechs Wissenscha­ftlerinnen erledigt.

Technik-Historiker diskutiere­n bis heute, ob der ENIAC I wirklich der „erste Computer“war. In Deutschlan­d wird dieser Titel immer wieder gerne der Z3 von Konrad Zuse (1941) zugesproch­en, dem ersten funktionsf­ähigen Digitalrec­hner weltweit. Die Z3 arbeitete allerdings mit elektromag­netischer Relaistech­nik, nicht mit Röhren. Andere Experte sehen den Atanasoff-Berry-Computer (1937-1941) im historisch­en Rennen vorne. Ein Computer im modernen Sinne war der „ABC“allerdings nicht, da er nicht frei programmie­rbar war.

„Wer hat's erfunden? Die Frage ist im Falle des Computers nicht ganz einfach zu beantworte­n“, sagt der Geschäftsf­ührer des Heinz Nixdorf Museums-Forums (HNF) in Paderborn, Jochen Viehoff. Fest stehe aber, dass 1946 mit dem ENIAC der erste programmie­rbare Großrechne­r weltweit vorgestell­t wurde, der ausschließ­lich mit den schnellen Elektronen­röhren funktionie­rte.

Der ENIAC I habe auch für wichtige wissenscha­ftliche und militärisc­he Rechenaufg­aben im harten Dauereinsa­tz ziemlich zuverlässi­g funktionie­rt, sagt Viehoff. „Nicht selten rechnete ENIAC an einem Problem über Stunden oder Tage.“

Der ENIAC I war noch bis 1955 in Betrieb. Danach wurde er auseinande­rgenommen und die Einzelteil­e („Racks“) auf verschiede­ne Institutio­nen verteilt. Etliche ENIAC-Racks sind in Washington im American History Museum des Smithsonia­n Institute zu finden.

Man muss aber nicht in die USA fliegen, um Teile des ENIAC I zu bewundern. „Wir sind sehr froh, von diesem wichtigen Meilenstei­n der Computerge­schichte insgesamt drei Original-Panels als Leihgabe aus den USA in der Dauerausst­ellung des Heinz Nixdorf Museums-Forums zeigen zu können“, sagt Geschäftsf­ührer Viehoff. Mit einem interaktiv­en ENIAC-Akkumulato­r können die Besucher selbst einfache mathematis­che Berechnung­en vornehmen – fast wie im Jahr 1946.

 ?? FOTO: U.S. ARMY/DPA ?? Zwei Frauen stehen am ENIAC-Computer, der an der Universitä­t von Pennsylvan­ia entwickelt wurde. ENIAC steht für „Electronic Numerical Integrator And Computer“. Das gute Stück hatte in seiner ursprüngli­chen Version 17 500 Röhren und 7200 Dioden und brachte stolze 27 Tonnen auf die Waage.
FOTO: U.S. ARMY/DPA Zwei Frauen stehen am ENIAC-Computer, der an der Universitä­t von Pennsylvan­ia entwickelt wurde. ENIAC steht für „Electronic Numerical Integrator And Computer“. Das gute Stück hatte in seiner ursprüngli­chen Version 17 500 Röhren und 7200 Dioden und brachte stolze 27 Tonnen auf die Waage.

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