Von der Leyen sagt Mutationen den Kampf an
EU-Kommissionspräsidentin plant eine gemeinsame europäische Gesundheitspolitik
BRÜSSEL - Mit der genaueren Erforschung von Coronavirus-Mutationen, einem besseren Informationsaustausch der europäischen Forscher und der beschleunigten Zulassung mutationswirksamer Impfstoffe, will EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihren Kritikern den Wind aus den Segeln nehmen.
„Hera Incubator“heißt der Aktionsplan. Bei einer ihrer selten gewordenen Pressekonferenzen stellte sich von der Leyen am Mittwoch zwischen die für Gesundheitsfragen zuständige Kommissarin Stella Kyriakides und Industriekommissar Thierry Breton, der die Impfproduktion im Blick behalten soll. Der Franzose betonte mehrmals, dass seit seinen persönlichen Besuchen in den Produktionsstätten die Liefermenge deutlich erhöht werden konnte. Der Streit mit Astra-Zeneca sei weitgehend beigelegt. In den Mitgliedsstaaten hat man von dieser positiven Wendung noch wenig bemerkt.
Im internationalen Vergleich, so von der Leyen, stehe Europa gut da. Die Massenproduktion der Impfstoffe sei eine Herausforderung, die von Politik und Industrie gleichermaßen unterschätzt worden sei. Weltweit seien bislang 178 Millionen Dosen hergestellt worden, davon 50 Millionen für die USA, 41 Millionen für
China und 33 Millionen für die EU. 22 Millionen Menschen seien in der EU geimpft, davon sieben Millionen bereits mit der zweiten Dosis. Für einen technologisch völlig neuen Impfstoff sei das eine großartige Leistung, so Breton. „Ich würde nicht so weit gehen wie manche, die das mit Kriegsproduktion vergleichen, aber wir investieren gewaltige Anstrengungen, um die Produktion hochzufahren.“
Während sich Bretons Taskforce mit den aktuellen Problemen in der Lieferkette wie fehlenden Trägersubstanzen
oder Abfüllbehältern befasst, soll die neue Agentur Hera derartige Engpässe in der Zukunft gar nicht erst entstehen lassen. Hera ist die Abkürzung des englischen Ausdrucks für „Agentur zur Abwendung von Gesundheitsnotfällen und anderen biologischen Gefahren“und soll – wenn es nach Ursula von der Leyen geht – der erste Schritt auf dem Weg zu einer gemeinsamen europäischen Gesundheitspolitik werden.
Nach den Erfahrungen in der Corona-Krise dürfte die Bereitschaft der Mitgliedsstaaten allerdings gering sein, weitere Kompetenzen nach Brüssel abzugeben. Da hilft es auch nicht, wenn die Kommission ankündigt, weitere 75 Millionen Euro in die Verbesserung der Virusanalyse und nochmals 150 Millionen Euro in die Erforschung der CoronavirusMutationen zu stecken. Mit einer zusätzlichen Bestellung von 300 Millionen Dosen des Moderna-Impfstoffes hat sich die EU theoretisch Zugriff auf insgesamt 2,6 Milliarden Impfdosen verschafft, deren Lieferung aber auf sich warten lässt.
„Vaccelerate“heißt der neue Zusammenschluss aus 16 EU-Forschungseinrichtungen plus den Instituten in fünf außereuropäischen Ländern, darunter Israel, in dem Daten aus den klinischen Tests umfangreicher und schneller geteilt werden sollen.
Erneut warb von der Leyen am Mittwoch um Verständnis, dass eine derartige innovative Kraftanstrengung nicht innerhalb weniger Wochen zu schaffen sei. Sie machte aber Hoffnung, dass es mit Blick auf die Virusvarianten deutlich schneller gehen wird. Man plane ein Zulassungsverfahren wie beim Grippeimpfstoff, der ja auch in seinen Grundbausteinen gleich bleibt, aber jährlich an neue Mutanten angepasst werden muss und dann rasch eine Genehmigung der europäischen Arzneimittelagentur EMA erhält.