Abrechnung mit der Politik der Stadt
Karl-Henning Lichte tritt aus dem Stadtrat zurück und kritisiert viele Entscheidungen scharf
VILLINGEN-SCHWENNINGEN (sbo) - Paukenschlag bei den Freien Wählern im Gemeinderat von VillingenSchwenningen: Stadtrat Karl-Henning Lichte gibt am Dienstagnachmittag öffentlich seinen Rücktritt bekannt. Als Grund nennt er vor allem die Sozialpolitik der Stadt.
Die politische Frustration sitzt bei Karl-Henning Lichte seit der jüngsten Gemeinderatsitzung tief. Der Stadtrat der Freien Wähler erklärt, dass seine Zeit im Gemeinderat sowie im Jugendhilfeausschuss zu Ende sei. „Ich habe den Oberbürgermeister am Montag in einem Brief darüber informiert, dass ich als Gemeinderat zurücktrete.“Gleichzeitig stellt der 78-Jährige klar, dass er nicht aus Altersgründen aufhöre – „auch wenn man das in meinem Alter glauben könnte“.
Seine Beweggründe sind andere und daraus macht Lichte, der seit 2004 im Gemeinderat sitzt, keinen Hehl: „Meine Haupttätigkeit war immer die Anliegen von Kindern und Familien. Mit dem, was ich in meiner Zeit erkämpft habe, bin ich teilweise zufrieden. Aber mein Ziel, dass Villingen-Schwenningen eine kinderund familienfreundliche Stadt wird, kann ich nicht mehr erreichen.“
Lichte macht das an den jüngsten Beschlüssen des Gemeinderates fest, wonach sowohl die Kita-Gebühren als auch die Grundsteuer erhöht werden. „Das ist ein weiterer Beleg für eine nicht-familienfreundliche Politik, die der Oberbürgermeister und die Stadt betreiben“, kritisiert er. Er wirft OB Jürgen Roth vor, er habe diese Erhöhung längst angestrebt, beruft sich dabei auf dessen Zeit als Bürgermeister in Tuningen, als er die niedrigen Kita-Gebühren in VS stets beanstandet und als Konkurrenz gesehen habe, sowie auf Roths Neujahrsansprache von 2020. „Zu dieser Zeit war von Haushaltsproblemen oder Corona noch nicht die Rede“, bekräftigt Lichte.
Auch bei anderen sozialen Themen, wie beispielsweise der Jugendarbeit, in der sich der ehemalige Schwenninger Kinderarzt ebenso privat einbringt, sah Lichte seine Bemühungen in den Gremien in der Vergangenheit oft nicht ernstgenommen. Zuletzt hatte Lichte der Verwaltung vorgeworfen, dass sie den Jugendhilfeausschuss nicht oft genug einbeziehe. Dies wiederholte er auch im Gespräch mit unserer Zeitung nochmals. „Ich sehe da eine mehrfache Missachtung des Jugendhilfeausschusses.“
Gerade diese Wahrnehmung sorgte bei ihm schon einmal für Rücktrittsgedanken, die er zwischenzeitlich wieder verworfen hatte. Als er sich entschloss, 2019 erneut für die Freien Wähler anzutreten, bestätigte das Wahlergebnis seine Motivation: Denn er sicherte sich damals nicht nur souverän einen Platz im Gemeinderat, sondern ging auch als Stimmenkönig seiner Fraktion hervor. Die Reaktionen auf seinen nun angekündigten Rücktritt fielen laut Lichte intern allerdings »ganz unterschiedlich« aus – „von tiefem Bedauern bis hin zu keiner Reaktion“, berichtet er.
Seit Karl-Henning Lichte 2004, im selben Jahr als er seine KinderarztPraxis
aufgegeben hat, die Tätigkeit als Gemeinderat der Stadt VillingenSchwenningen aufnahm, war er in verschiedenen Ausschüssen und Gremien tätig. Sein Hauptengagement lag neben dem Gemeinderat natürlich im Jugendhilfeausschuss, stellvertretend wirkte er aber auch im Verwaltungs- und Kulturausschuss mit und war unter anderem
Mitglied des Integrationsbeirats, des ÖPNV-Beirats und im Aufsichtsrat des Schwarzwald-Baar-Klinikums.
Beenden wird Karl-Henning Lichte seine politische Karriere allerdings nicht: „Ich verlasse zwar die Gemeinderatsfraktion der Freien Wähler, keinesfalls aber die Partei.“So werde er auch weiterhin als Mitglied des Kreistags fungieren und im Jugendhilfeausschuss des Schwarzwald-Baar-Kreises mitwirken. Hier nämlich, so Lichte, habe er viel erreichen können.
Auch wenn er die städtische Politik kritisiere und der Meinung sei, dass er mit seinem Engagement und seinen Interessen nicht mehr weiterkomme, so gehe er nicht mit Groll, betont Lichte. „Aber ich muss nun mal die Gründe für meinen Rücktritt nennen und erklären.“