Debatte um Impfreihenfolge
Kretschmann und Söder für Astra-Zeneca-Freigabe
BERLIN (AFP) - Aus den Bundesländern kommen Forderungen nach einer Lockerung der Impfreihenfolge, um die Verschwendung von liegen gebliebenem Corona-Impfstoff zu vermeiden. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) schlug vor, Hunderttausende ungenutzte Dosen des Astra-Zeneca-Impfstoffs aus den Depots der Bundesländer zur Impfung für alle freizugeben. „Bevor er liegen bleibt: impfen, wer will. Es darf keine Dose von Astrazeneca
übrig bleiben oder weggeschmissen werden. Denn jeder Geimpfte schützt sich und andere.“
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sprach sich ebenfalls dafür aus, den Zugang zu Impfstoff für alle Bevölkerungsgruppen zu öffnen, solange bestimmte Vakzine auf Vorbehalte stoßen. Der Corona-Impfstoff von Astra-Zeneca stößt in Deutschland bislang auf Akzeptanzprobleme.
SILVER SPRING/BERLIN (dpa) - In den USA ist der Corona-Impfstoff des US-Konzerns Johnson & Johnson zugelassen – in der EU und somit auch in Deutschland wird eine Zulassung Mitte März erwartet. Derzeit wächst in Deutschland der Stau an bereits vorhandenem Impfstoff.
Die US-Arzneimittelbehörde FDA erteilte am Samstag eine Notfallzulassung für das Präparat von Johnson & Johnson. In den USA ist es das dritte zugelassene Vakzin. Die EU-Arzneimittelbehörde EMA erwartet das Ergebnis der bei ihr laufenden Prüfungen für Mitte März. Laut Bundesgesundheitsministerium bekommt Deutschland 36,7 Millionen Johnson & Johnson-Dosen über die EU.
Das Präparat entfaltet seine volle Wirkung schon nach Verabreichung einer Dosis und muss – anders als die übrigen genutzten Impfstoffe – nicht zweimal gespritzt werden. In den USA werden bisher nur die Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna gespritzt, in der EU auch das von Astra-Zeneca.
In Deutschland stapeln sich weiter große Mengen Astra-Zeneca in den Kühlschränken der Bundesländer. Bis Freitag waren laut RobertKoch-Institut nur 364 000 Dosen davon verimpft. Laut Bundesgesundheitsministerium wurden mehr als 1,4 Millionen Dosen geliefert.
Gleichzeitig gab es in den vergangenen Tagen eine heftige Debatte darüber, wer die insgesamt immer noch knappen Impfstoffe bekommen soll. Die Länder verfahren hierbei unterschiedlich. Warum große Mengen Astra-Zeneca-Impfstoff ungenutzt sind, ist seit Tagen unklar. Die einen sehen die Hauptgründe in einer mangelnden Organisation der Impfungen in den Ländern – die anderen in einer ablehnenden Haltung vieler Menschen diesem Präparat gegenüber. Es hat mit einer Wirksamkeit von 70 bis 80 Prozent niedrigere Werte als die Impfstoffe von Moderna und Biontech/Pfizer. Der Prozentwert gibt an, wie stark eine Impfung das Risiko für die Erkrankung senken kann, sodass keinerlei Symptome auftreten. Die übrigen 30 Prozent der Geimpften sind aber nicht ungeschützt, wenn sie sich infizieren – das Vakzin senkt auch bei ihnen das Risiko einer sehr schweren Erkrankung.
Der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission (Stiko), Thomas Mertens, hatte am Freitagabend angekündigt, den Impfstoff von AstraZeneca
schon bald auch für ältere Menschen empfehlen zu wollen. Die Stiko hatte den Impfstoff zunächst mangels ausreichender Daten nicht für Menschen ab 65 Jahren empfohlen.
Deutschlands Kassenärzte fordern unterdessen, dass die Länder die niedergelassenen Ärzte so früh wie möglich einbinden. Diese Aufstockung der Impfkapazitäten wird laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung noch dringender, wenn in Deutschland die Impfstoffe von Johnson & Johnson sowie des Herstellers Curevac zugelassen werden. Sonst könne das Serum in den Impfzentren nicht rasch genug verabreicht werden.
Die EU-Kommission hat von Johnson & Johnson Impfdosen für 200 Millionen Menschen bestellt. Zudem hat sie eine Option auf ausreichende Mengen für noch einmal 200 Millionen Personen. Anfang Februar hatte Johnson & Johnson die Notfallzulassung für den von seiner Pharmasparte entwickelten CoronaImpfstoff bei der FDA beantragt. Mitte Februar folgte der Antrag bei der EU-Arzneimittelbehörde EMA.
Laut einem Zwischenergebnis der Phase-III-Studie mit rund 44 000 Probanden bietet der Impfstoff von Johnson & Johnson vier Wochen nach Verabreichung des Vakzins einen 66-prozentigen Schutz vor mittleren oder schweren Covid-19Krankheitsverläufen. Die Wirksamkeit gegen schwere Erkrankungen wurde mit 85 Prozent angegeben. Die Prozentzahlen bedeuten, dass es in der geimpften Probandengruppe entsprechend weniger Fälle gab als in der Probandengruppe, die keinen Wirkstoff bekam.