Nähen und Malen boomen
Im Lockdown haben viele Menschen ihre Lust an der Handarbeit entdeckt
Darum sind kreative Hobbys aktuell besonders beliebt.
TUTTLINGEN - Mützen, Halstücher, Hosen für die Tochter – Ute Zarak beschäftigt sich in letzter Zeit häufig mit ihrem neuen Hobby, dem Nähen. Für sich entdeckt hat sie die Arbeit mit Stoff und Nähmaschine im ersten Lockdown im Frühjahr. Seitdem hat sie etwa 30 verschiedene Teile genäht. Damit ist sie nicht allein: Viele Menschen haben während des Lockdowns ein neues Hobby begonnen.
Kreativ war Ute Zarak schon immer, in ihrer Freizeit bemalt sie unter anderem Keramik. „Im ersten Lockdown habe ich dann gedacht, ich mag mal was anderes machen“, erzählt sie. Spontan kauft sie eine gebrauchte Nähmaschine im Internet und legt los. Schnell sind die ersten Kleidungsstücke fertig, viele davon für Zaraks Tochter, die im Oktober geboren wurde. „Alle Läden haben zu und die Kleine wächst so schnell. Da ist es super, dass ich die Kleidung selbst nähen kann“, so die junge Mutter.
Über 250 Stunden hat sie schon in ihre großen und kleinen Nähprojekte gesteckt. Die alte Nähmaschine wurde gegen ein neueres Modell ausgetauscht und eine kleine Ecke im Wohnzimmer hat sich Ute Zarak ebenfalls für ihr Hobby eingerichtet. Ihr anspruchsvollstes Projekt bisher: eine Krabbeldecke in Form einer Sonne, bestehend aus mehreren Schichten Stoff. „Das mache ich so schnell nicht nochmal“, sagt Zarak und lacht. Die Ideen werden ihr aber so schnell nicht ausgehen, mittlerweile haben schon Freundinnen gefragt, ob Zarak ihnen nicht auch etwas nähen könne. Alle zwei, drei Wochen stöbert sie daher online bei Sabrina Münch im „Stoffeffekt“nach neuem Material.
Etwa ein Viertel ihrer derzeitigen Kundinnen hätten während Corona mit dem Nähen begonnen, schätzt Sabrina Münch. „Viele sind auch durchs Maskennähen wieder dazu gekommen“, erzählt die Inhaberin des Tuttlinger Geschäfts „Stoffeffekt“. Im Lockdown beliefert sie ihre Kundinnen mit Stoffen und anderen Nähutensilien. Doch der Einstieg fällt manchen schwer: „Hilfe, ich brauche wieder Nähkurse – das habe ich jetzt schon öfter gehört“, erzählt Münch. Einsteigern empfiehlt sie daher, mit einfachen Projekten wie zum Beispiel kleinen Kosmetiktäschchen oder Wimpelketten zu beginnen.
Grundsätzlich glaubt Münch, dass der derzeitige Boom von Handarbeiten
Corona überdauern wird. „Grundsätzlich ist Nähen eine tolle Beschäftigung“, sagt sie. Trotzdem gäbe es eine gewisse Fluktuation. Im Sommer würden sich viele anderen Hobbys wie Gartenarbeit zuwenden, erst an kalten und regnerischen Tagen werde wieder mehr genäht.
Einen ähnlichen Trend beobachtet auch Carina Schäfer. Sie leitet den Fachbereich Kunst und Kultur an der Volkshochschule Tuttlingen. Kurse zum Thema Handarbeiten,
Nähen oder Malen sind aktuell sehr beliebt. Die Volkshochschule hat im vergangenen Jahr zwar kurze Präsenzphasen
erlebt, musste aber immer wieder wechselnde Auflagen umsetzen, die Veranstaltungen vor Ort schwierig gemacht haben. Seit Mai 2020 gibt es daher auch OnlineKurse.
„Auch viele Ältere haben sich auf das Online-Experiment eingelassen“, freut sich Schäfer. Vor allem die Nachfrage nach „freien künstlerischen Arbeiten“wie Aquarell und Keramik sei gestiegen. Natürlich seien nicht uneingeschränkt alle Kurse auch online durchführbar. „Aber alle sind da sehr kreativ geworden - im doppelten Sinne“, erzählt Schäfer. Um etwa die Technik in Malkursen möglichst gut erklären zu können, haben die Dozenten mit Dokumentenkameras gearbeitet. So hatten die Kursteilnehmer die Möglichkeit, dem Dozenten bei einzelnen Arbeitsschritten digital über die Schulter zu schauen. Und statt einer Abschluss-Ausstellung werden Fotos der Werke auf einer extra eingerichteten Homepage präsentiert.
Vollständig auf digitale Kurse zu setzen war jedoch nicht möglich. Die Nachfrage nach klassischen Präsenzkursen wie etwa Goldschmieden ist ungebrochen. „Es gab aber mehrfach den Wunsch, die Online-Kurse beizubehalten“, so Schäfer. Der kam unter anderem von wenig mobilen Teilnehmern oder aber Menschen, die weit weg von Tuttlingen wohnen. „Wir hatten auch schon Teilnehmer aus Paris. Die haben sich online informiert und sind so zu uns gekommen“, sagt Schäfer und ergänzt: „Online-Kurse eröffnen jedenfalls viele neue Möglichkeiten.“