Ärger um Shopping-Ungerechtigkeiten
In Tuttlingen geht Einkaufen nur mit Termin, im Schwarzwald-Baar-Kreis dürfen Läden öffnen
Im Schwarzwald-Baar-Kreis öffnen die Läden, in Tuttlingen nur mit Termin.
REGION - Im benachbarten Schwarzwald-Baar-Kreis dürfen die Einzelhändler ihre Geschäfte seit Montag wieder öffnen. Ein stabiler Inzidenzwert von unter 35 Fällen pro 100 000 Einwohner macht es möglich. Im Kreis Tuttlingen dürfen Kunden laut aktueller Coronaverordnung nur mit einem Termin shoppen gehen, weil die Inzidenz bei über 50 liegt. Das ärgert Händler und Verantwortliche.
„Schade und kontraproduktiv“bewertet Bettina Fillinger vom Gewerbeund Handelsverein ProTUT die aktuelle Situation, dass die Geschäfte im Nachbarkreis öffnen dürften und „bei uns heißt es nur Einkaufen mit Termin. Selbst wenn sich die Geschäfte schon darüber freuen – es ist zu wenig nach dieser langen Zeit des Lockdowns“, findet sie.
„Ich finde das unmöglich“, sagt Rolf Sutter, Inhaber von Kohler-Gehring in Tuttlingen. Da hätte ein landesweit einheitliches Vorgehen bestimmt werden sollen, findet er. Er selbst habe schon einige Anmeldungen für diese Woche. Parallel dürfen fünf Kunden den Laden betreten. Vergeben werden die Termine im Halbstunden-Takt. „Nur bei Schulranzen-Beratung rechnen wir eine Stunde ein.“
Erste Anmeldungen hat auch schon Alexander Keller, Inhaber des Modehauses Weinmann in Trossingen und Vorsitzender der Werbegemeinschaft Trossingenactiv, erhalten „und es werden sicher noch mehr“, glaubt er. „Die Leute freuen sich, dass sie wieder shoppen gehen dürfen.“Am Telefon bespreche man mit den Kunden, was sie gerne möchten und wie viel Zeit sie benötigen. Dementsprechend würden Termine vergeben, von einer halben bis eineinhalb Stunden. „Da sind wir flexibel.“Keller weiß aber auch, dass es viele Kunden gibt, die lieber spontan shoppen gingen. Dass es diese nun in den Nachbarkreis ziehe, sei nachvollziehbar: „Ich gönne es den Läden im Schwarzwald-Baar-Kreis. Aber ich finde, man sollte eine einheitliche Regelung finden.“
„Villingen ist nicht weit, da setzt man sich schnell ins Auto“, sagt Anna-Maria Reisch vom gleichnamigen Spielwaren-Geschäft in Spaichingen. Sie findet die aktuelle Situation „ungerecht“. Nicht nur aus finanzieller Sicht, sondern auch, weil sie Angst hat, dass dort, wo viele Menschen zusammenkommen, die Zahlen wieder steigen. „Und dann machen sie schnell wieder alles komplett zu.“Doch solange freut sie sich, dass sie wieder Kunden im Laden begrüßen kann, wenn auch nur mit Termin. „Das erleichtert alles ein bisschen.“Denn bislang habe sie immer Fotos, Preise und Größen per Email an die Kaufinteressenten schicken müssen. Nun könnten die Kunden sich wieder selbst umschauen. „Es kommen vor allem Kunden, die beraten werden wollen.“
Für Tuttlingens Landrat Stefan Bär ist die „aktuelle Regelung nicht ideal“. Bei aller Freude für den Nachbarkreis hätte er sich eine landeseinheitliche Lösung gewünscht. Die Öffnung im Schwarzwald-Baar-Kreis solle die Tuttlinger Bürger nun nicht zum Shoppen in der Region verleiten. „Die Fahrt in andere Kreise wäre dafür keine Hilfe.“Vielmehr appelliert er, mit Bedacht vorzugehen, sich auf sich und den heimischen Einzelhandel zu konzentrieren. „Wir müssen diszipliniert bleiben und uns an die Kontaktbeschränkungen halten. (...) Nur so können wir gemeinsam erreichen, dass der Inzidenzwert in unserem Landkreis zurückgeht und auch bei uns weitergehende Öffnungen möglich sind.“
Auch Tuttlingens Oberbürgermeister Michael Beck „wäre sehr froh, wenn wir im Landkreis Tuttlingen schon so weit wären“. Er sieht die Gefahr, dass es zu einem Einkaufstourismus „zu Lasten unseres Handels kommt“. Es sei „bitter“zu sehen, wenn die Nachbarn mehr dürften. Doch das sei die Konsequenz, „wenn man die Corona-Regeln kleinteilig und regional gestaltet“. Er appelliert, die Situation als Ansporn zu sehen, „dass die Zahlen endlich bei uns auch heruntergehen“. Dazu müssten die Testkapazitäten zügig ausgebaut und die bisherigen Regelungen nicht nachlässig werden. „So hart dies nach Monaten des Lockdowns auch ist.“
Deutlich positiver sieht man es dagegen im Nachbarkreis. „Wir freuen uns, dass die Geschäfte wieder öffnen dürfen“, sagt Severin Graf, Bürgermeister von Donaueschingen. Seine Stadt liegt mit einer Inzidenz von 22 sogar noch unter dem Wert des Schwarzwald-Baar-Kreises (31). Dies sei nur eine Momentaufnahme. Schließlich habe seine Stadt bis zum Januar noch auf dem gleichen Infektionsniveau mit Tuttlingen gelegen. „Erst ab Februar ging es nach unten.“
Tipps kann er nicht geben. Schließlich habe man sich bei den Maßnahmen über die Kreisgrenzen abgestimmt. „Es gibt keine plausible Erklärung“, sagt Graf, der die Öffnung trotz aller Freude mit einem „sorgenvollen Auge und wachsamen Blick“verfolgen will. „Wir geben uns keinen Illusionen hin. auch unsere Zahlen werden wieder anziehen.“Für den Einzelhandel in Donaueschingen
sei die Öffnung elementar wichtig. „Die Händler sind vorbereitet. Sie kennen die Situation mit Hygienekonzepten schon aus dem vergangenen Jahr.“Für die Kritik, das Land hätte die Öffnung an die landesweite Inzidenz und nicht das Infektionsgeschehen in Kreisen koppeln sollen, hat er Verständnis. „Da gibt es Argumente dafür und dagegen.“Durch die Öffnung der Geschäfte im Schwarzwald-Baar-Kreis und einen Einkaufstourismus könne es zum „Viren-Austausch“kommen. „Aber nur, weil etwas passieren könnte, nichts zu machen, wäre auch falsch.“
Das sieht auch Jürgen Roth, Oberbürgermeister von VillingenSchwenningen, so. „Ich bin froh, dass die Einzelhändler wieder öffnen können. Die Hygienekonzepte sind vorhanden. Dabei ist es unerheblich, wo die Leute herkommen. Die Warteschlagen vor den Geschäften werden eben länger.“
Das Öffnen des Handels sei nicht nur für jeden Geschäftsinhaber überlebenswichtig, sondern auch für die Städte. „In ausgestorbenen Fußgängerzonen will keiner Bummeln gehen. Damit kämpfen in Corona-Zeiten vermutlich alle Städte.“