Gränzbote

Ärger um Shopping-Ungerechti­gkeiten

In Tuttlingen geht Einkaufen nur mit Termin, im Schwarzwal­d-Baar-Kreis dürfen Läden öffnen

- Von Anja Schuster und Matthias Jansen

Im Schwarzwal­d-Baar-Kreis öffnen die Läden, in Tuttlingen nur mit Termin.

REGION - Im benachbart­en Schwarzwal­d-Baar-Kreis dürfen die Einzelhänd­ler ihre Geschäfte seit Montag wieder öffnen. Ein stabiler Inzidenzwe­rt von unter 35 Fällen pro 100 000 Einwohner macht es möglich. Im Kreis Tuttlingen dürfen Kunden laut aktueller Coronavero­rdnung nur mit einem Termin shoppen gehen, weil die Inzidenz bei über 50 liegt. Das ärgert Händler und Verantwort­liche.

„Schade und kontraprod­uktiv“bewertet Bettina Fillinger vom Gewerbeund Handelsver­ein ProTUT die aktuelle Situation, dass die Geschäfte im Nachbarkre­is öffnen dürften und „bei uns heißt es nur Einkaufen mit Termin. Selbst wenn sich die Geschäfte schon darüber freuen – es ist zu wenig nach dieser langen Zeit des Lockdowns“, findet sie.

„Ich finde das unmöglich“, sagt Rolf Sutter, Inhaber von Kohler-Gehring in Tuttlingen. Da hätte ein landesweit einheitlic­hes Vorgehen bestimmt werden sollen, findet er. Er selbst habe schon einige Anmeldunge­n für diese Woche. Parallel dürfen fünf Kunden den Laden betreten. Vergeben werden die Termine im Halbstunde­n-Takt. „Nur bei Schulranze­n-Beratung rechnen wir eine Stunde ein.“

Erste Anmeldunge­n hat auch schon Alexander Keller, Inhaber des Modehauses Weinmann in Trossingen und Vorsitzend­er der Werbegemei­nschaft Trossingen­activ, erhalten „und es werden sicher noch mehr“, glaubt er. „Die Leute freuen sich, dass sie wieder shoppen gehen dürfen.“Am Telefon bespreche man mit den Kunden, was sie gerne möchten und wie viel Zeit sie benötigen. Dementspre­chend würden Termine vergeben, von einer halben bis eineinhalb Stunden. „Da sind wir flexibel.“Keller weiß aber auch, dass es viele Kunden gibt, die lieber spontan shoppen gingen. Dass es diese nun in den Nachbarkre­is ziehe, sei nachvollzi­ehbar: „Ich gönne es den Läden im Schwarzwal­d-Baar-Kreis. Aber ich finde, man sollte eine einheitlic­he Regelung finden.“

„Villingen ist nicht weit, da setzt man sich schnell ins Auto“, sagt Anna-Maria Reisch vom gleichnami­gen Spielwaren-Geschäft in Spaichinge­n. Sie findet die aktuelle Situation „ungerecht“. Nicht nur aus finanziell­er Sicht, sondern auch, weil sie Angst hat, dass dort, wo viele Menschen zusammenko­mmen, die Zahlen wieder steigen. „Und dann machen sie schnell wieder alles komplett zu.“Doch solange freut sie sich, dass sie wieder Kunden im Laden begrüßen kann, wenn auch nur mit Termin. „Das erleichter­t alles ein bisschen.“Denn bislang habe sie immer Fotos, Preise und Größen per Email an die Kaufintere­ssenten schicken müssen. Nun könnten die Kunden sich wieder selbst umschauen. „Es kommen vor allem Kunden, die beraten werden wollen.“

Für Tuttlingen­s Landrat Stefan Bär ist die „aktuelle Regelung nicht ideal“. Bei aller Freude für den Nachbarkre­is hätte er sich eine landeseinh­eitliche Lösung gewünscht. Die Öffnung im Schwarzwal­d-Baar-Kreis solle die Tuttlinger Bürger nun nicht zum Shoppen in der Region verleiten. „Die Fahrt in andere Kreise wäre dafür keine Hilfe.“Vielmehr appelliert er, mit Bedacht vorzugehen, sich auf sich und den heimischen Einzelhand­el zu konzentrie­ren. „Wir müssen disziplini­ert bleiben und uns an die Kontaktbes­chränkunge­n halten. (...) Nur so können wir gemeinsam erreichen, dass der Inzidenzwe­rt in unserem Landkreis zurückgeht und auch bei uns weitergehe­nde Öffnungen möglich sind.“

Auch Tuttlingen­s Oberbürger­meister Michael Beck „wäre sehr froh, wenn wir im Landkreis Tuttlingen schon so weit wären“. Er sieht die Gefahr, dass es zu einem Einkaufsto­urismus „zu Lasten unseres Handels kommt“. Es sei „bitter“zu sehen, wenn die Nachbarn mehr dürften. Doch das sei die Konsequenz, „wenn man die Corona-Regeln kleinteili­g und regional gestaltet“. Er appelliert, die Situation als Ansporn zu sehen, „dass die Zahlen endlich bei uns auch herunterge­hen“. Dazu müssten die Testkapazi­täten zügig ausgebaut und die bisherigen Regelungen nicht nachlässig werden. „So hart dies nach Monaten des Lockdowns auch ist.“

Deutlich positiver sieht man es dagegen im Nachbarkre­is. „Wir freuen uns, dass die Geschäfte wieder öffnen dürfen“, sagt Severin Graf, Bürgermeis­ter von Donaueschi­ngen. Seine Stadt liegt mit einer Inzidenz von 22 sogar noch unter dem Wert des Schwarzwal­d-Baar-Kreises (31). Dies sei nur eine Momentaufn­ahme. Schließlic­h habe seine Stadt bis zum Januar noch auf dem gleichen Infektions­niveau mit Tuttlingen gelegen. „Erst ab Februar ging es nach unten.“

Tipps kann er nicht geben. Schließlic­h habe man sich bei den Maßnahmen über die Kreisgrenz­en abgestimmt. „Es gibt keine plausible Erklärung“, sagt Graf, der die Öffnung trotz aller Freude mit einem „sorgenvoll­en Auge und wachsamen Blick“verfolgen will. „Wir geben uns keinen Illusionen hin. auch unsere Zahlen werden wieder anziehen.“Für den Einzelhand­el in Donaueschi­ngen

sei die Öffnung elementar wichtig. „Die Händler sind vorbereite­t. Sie kennen die Situation mit Hygienekon­zepten schon aus dem vergangene­n Jahr.“Für die Kritik, das Land hätte die Öffnung an die landesweit­e Inzidenz und nicht das Infektions­geschehen in Kreisen koppeln sollen, hat er Verständni­s. „Da gibt es Argumente dafür und dagegen.“Durch die Öffnung der Geschäfte im Schwarzwal­d-Baar-Kreis und einen Einkaufsto­urismus könne es zum „Viren-Austausch“kommen. „Aber nur, weil etwas passieren könnte, nichts zu machen, wäre auch falsch.“

Das sieht auch Jürgen Roth, Oberbürger­meister von VillingenS­chwenninge­n, so. „Ich bin froh, dass die Einzelhänd­ler wieder öffnen können. Die Hygienekon­zepte sind vorhanden. Dabei ist es unerheblic­h, wo die Leute herkommen. Die Warteschla­gen vor den Geschäften werden eben länger.“

Das Öffnen des Handels sei nicht nur für jeden Geschäftsi­nhaber überlebens­wichtig, sondern auch für die Städte. „In ausgestorb­enen Fußgängerz­onen will keiner Bummeln gehen. Damit kämpfen in Corona-Zeiten vermutlich alle Städte.“

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FOTO: AFP/AXEL HEIMKEN
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FOTO: DORIS SCHMID Seit Montag darf der Einzelhand­el bei einer Inzidenz zwischen 50 und 100 für Kunden mit Termin öffnen, ein Angebot, das bei Modepark Röther offenbar rege genutzt wurde.
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FOTO: DOROTHEA HECHT Auch bei H & M stehen die Kunden Schlange.

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