Hackerangriff auf deutsche Politiker
Deutschland wird wie kein anderer Staat von kremlnahen Medien mit Halbwahrheiten überzogen – Wie das Geschäft mit der Desinformation funktioniert
BERLIN (AFP/dpa) - Mehrere deutsche Abgeordnete sind nach Berichten des WDR und des Magazins „Der Spiegel“in den vergangenen Tagen das Ziel von Cyberangriffen geworden – vermutlich aus Russland. Die Rechner von mindestens sieben Bundestags- und 31 Landtagsabgeordneten seien angegriffen worden. Behörden schreiben demnach den Angriff der Gruppe „Ghostwriter“zu. Der Angriff sei allerdings nicht mit dem groß angelegten Hackerangriff auf den Bundestag aus dem Jahr 2015 vergleichbar.
BERLIN - Mitte der 1980er-Jahre erschienen in indischen und russischen Zeitschriften Leserbriefe, in denen anonyme Autoren über das Aids-Virus schrieben. Gespickt mit angeblichen Details des US-Biowaffenprogramms erklärten sie, dass HIV das Ergebnis eines amerikanischen Laborunfalls sei. 1992 gab der Leiter der russischen Auslandsspionage zu, dass es sich um eine Desinformationskampagne des sowjetischen Geheimdienstes KGB gehandelt hatte.
Kampagnen wie diese sind mit dem Ende des Kalten Krieges nicht ausgestorben. Inzwischen ist es das Internet, das zum Schauplatz eines regelrechten Informationskrieges geworden ist. Das Prinzip ist dasselbe geblieben: Verwirrung und Verunsicherung stiften, Zweifel und Zwietracht säen. Heute ist es das Corona-Virus, das ein US-Laborunfall sein soll, um nur eine der zahlreichen Verschwörungsmythen rund um Covid 19 zu nennen. Nach wie vor beherrscht die Kunst der Desinformation dabei niemand so perfekt wie die russische Regierung – wobei es sich im Zeitalter von Facebook, Twitter und Co. eher um eine Industrie der Lügen und Halbwahrheiten handelt.
So berichtet der „Spiegel“in seiner aktuellen Ausgabe, dass eine russische Hackergruppe, die bisher dafür bekannt war, Nachrichtenseiten oder Blogs zu kapern, um dort gefälschte Artikel oder Fotos zu veröffentlichen, mindestens sieben Bundesund 31 Landtagsabgeordnete angegriffen hat. Ihr Motiv ist bisher unbekannt. Klar ist aber, dass Deutschland wie kein anderes EULand im Fadenkreuz russischer Hacker, Trolle und Fake-Journalisten steht: Kein Staat in Europa werde so heftig mit Desinformation manipuliert, berichtet der Auswärtige Dienst der EU. 700 Fälle haben die Experten seit 2015 registriert. Die Beispiele geben Einblick in die Strategie des Kremls: Er macht geschickt Sollbruchstellen innerhalb der Gesellschaften aus und instrumentalisiert schwelende Konflikte wie die Flüchtlingskrise, den Brexit oder die Corona-Politik. Vor allem in der Pandemie, in der viele Menschen im Netz nach Antworten suchen, gibt es für den Kreml viel zu holen. Dank geringer Medienkompetenz hat er leichtes Spiel: Die Hälfte der Deutschen ist einer aktuellen Studie der „Stiftung Neue Verantwortung“(SNV) nicht in der Lage, vertrauensunwürdige Quellen zu erkennen.
Leicht zu durchschauende Falschinformationen, in denen Corona mal als amerikanischer Laborunfall, mal als leichte Grippe verkauft wird, gehören noch zur harmloseren Kategorie. Gefährlicher wird es, wenn es subtil wird. So versucht etwa das kremltreue deutschsprachigen Portal Newsfront immer wieder, mit Halbwahrheiten die Einstellungen des Lesers zu Bundesrepublik und EU negativ zu beeinflussen, während das russische Staatsmodell als überlegen dargestellt wird.
Um diesen Eindruck zu erwecken, hat Russland in den vergangenen Jahren ein Mediennetzwerk aufgebaut. Die bekanntesten staatlich finanzierten Akteure heißen RT (ehemals Russia Today) und Sputnik (seit kurzem SNA). Auf ihren Seiten präsentieren sie ein Dauerfeuer der Kritik an EU, Nato und den deutschen Medien, die angeblich die „Wahrheit“verschweigen würden. Der Tenor ihrer Berichterstattung ist immer derselbe: Russland ist das Opfer eines russophoben Westens. Ihr Ziel sei es, „eine Gegenöffentlichkeit herzustellen sowie Medienmanipulationen aufzuzeigen“, heißt es beim Internetsender RT Deutsch.
Tatsächlich gelang es ihnen vor allem in ihrer Anfangszeit, Schlaglichter auf soziale Missstände zu rücken, die von etablierten Medien nicht immer genug Aufmerksamkeit bekommen. Sie waren auch mit die Ersten, die über die Umweltbewegung Fridays for Future berichteten.
In einem Interview beschreibt die ehemalige RT-Redakteurin Lea Frings aber die eigentliche Arbeit der Kanäle: Sehr geschickt werde subtile Propaganda für Menschen gemacht, die das Vertrauen in die Presse verloren haben. „Sie glauben, dass sie sich dort eine alternative Meinung abholen können, die sie aber definitiv nicht bekommen“, sagte die Aussteigerin im Medienmagazin „Zapp“. Das Ziel der russischen Medien besteht nicht in Aufklärung, sondern in der Vertiefung von Konflikten: „Bestehende Zweifel in der Gesellschaft wie EU-Skepsis, eine weit verbreitete Medienverdrossenheit oder antiamerikanische Ressentiments werden geschickt aufgenommen und instrumentalisiert“, schreibt die Politologin Susanne Spahn.
Die Pro-Kreml-Desinformationskanäle beherrschen die Kunst, mit der Verbreitung von Halbwahrheiten „fast nicht zu lügen“, wie es ein FakeNews-Aufklärungsdienst der EU schildert. Vor allem während der Flüchtlingskrise lief die Propagandamaschinerie auf Hochtouren – mit dem Ziel, ein schlechtes Licht auf Migranten und negative Folgen der Migration zu werfen. So kursierte etwa die Meldung, dass Schweden aus Rücksicht auf Muslime ein Weihnachtskonzert im Fernsehen abgesagt habe. Die Sendung wurde tatsächlich abgesagt, aber wegen eines Vertragsproblems mit den Veranstaltern. Muslime waren nicht beteiligt.
Besonders in Erscheinung getreten ist dabei die berühmt-berüchtigte Sankt Petersburger Trollfabrik „Internet Research Agency“. Als Trolle werden in diesem Fall bezahlte Aktivisten bezeichnet, die Stimmung in den sozialen Medien für ein bestimmtes Anliegen machen sollen. International bekannt wurden die wahrscheinlich rund 400 Mitarbeiter durch ihre Einmischung in die US-Wahl 2016, für die US-Präsident Biden jüngst ernste Konsequenzen angekündigt hat. Ganze Arbeit wurde auch im Vorfeld der Bundestagswahl 2017 geleistet: Die Trolle heizten die Stimmung auf, indem sie mit unzähligen Social-Media-Accounts vor allem extreme Pro- und ContraFlüchtlinge-Argumente posteten und so zur Polarisierung beitrugen. Man darf gespannt sein, welche Strategie die Infokrieger des Kremls dieses Jahr fahren.
Deutschland hat auf dieses Dauerfeuer keine Antwort. Die Ankündigung von Außenminister Heiko Maas (SPD), mit einer „Positivagenda“zu reagieren, damit falsche Informationen über Deutschland nicht mehr auf fruchtbaren Boden fallen, wirkt eher hilflos, der deutsche Auslandssender Deutsche Welle im Vergleich wie ein jesuitischer Klosterschüler. RT versucht indes, seine Aktivitäten in Deutschland noch auszuweiten und bemüht sich um eine TV-Lizenz. Und auch die Chinesen haben die russischen Methoden seit Kurzem für sich entdeckt.