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Erst wenige Millionen vom Bund abgerufen – Corona bremst und beschleunigt zugleich
Kretschmann gibt noch vor Ostern grünes Licht
STUTTGART - Seit Oktober 2019 stehen Baden-Württemberg für die Digitalisierung der Schulen 650 Millionen Euro vom Bund zur Verfügung. Das Geld kam gerade recht vor der Corona-Pandemie, um der Bildung den lange verschlafenen Digitalisierungsschub zu verpassen – so scheint es zumindest. Tatsächlich ist bislang aber nur ein kleiner Teil der Mittel auch wirklich angekommen.
Wie viel Geld genau ist bislang in den Südwesten geflossen? Das wollte der Ravensburger FDP-Bundestagsabgeordnete Benjamin Strasser wissen und hat beim Bundesbildungsministerium nachgefragt. „Das ist eine mehr als magere Bilanz des Digitalpakts Bildung“, kommentiert er die Antwort, die der „Schwäbischen Zeitung“vorliegt. Darin erklärt Staatssekretär Thomas Rachel, dass von den fünf Milliarden Euro bundesweit 112 Millionen abgeflossen sind – davon nach Baden-Württemberg neun Millionen Euro. Die Zahlen, die dem Haushaltsausschuss des Bundestags Mitte März zugegangen sind, beziehen sich auf den Stichtag 31. Dezember 2020. Bewilligt waren zu dem Zeitpunkt allerdings schon mehr Mittel, nämlich bundesweit 743 Millionen Euro und für den Südwesten 79 Millionen.
Strasser hatte auch nach den Summen für einzelne Landkreise gefragt. Das Ergebnis: Der Bodenseekreis und der Kreis Sigmaringen hatten bis Ende vergangenen Jahres noch gar kein Geld bekommen, in die Kreise Ravensburg und Biberach waren rund 28 000 respektive 37 000 Euro geflossen. Bewilligt war derweil deutlich mehr – allein für den Kreis Sigmaringen 2,5 Millionen Euro. „Dafür ist nicht zuletzt die grünschwarze Landesregierung verantwortlich“, moniert Strasser, „denn sie hat die Förderrichtlinien viel zu bürokratisch angelegt.“Die Regeln müssten dringend überarbeitet und einfacher werden. „Das Corona-Jahr hat uns mehr als deutlich gemacht, dass wir mehr Tempo bei der Digitalisierung der Schulen brauchen.“
Ein Vierteljahr später sieht die Bilanz allerdings schon erfreulicher aus. Eine Sprecherin von Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) nennt Zahlen der L-Bank, die die Geldflüsse abwickelt, vom vergangenen Donnerstag. Demnach liegen dort Anträge in Höhe von insgesamt 130 Millionen Euro vor – 85,4 Millionen Euro davon sind bewilligt und 16 Millionen Euro ausgezahlt.
Dass auch diese Zahlen noch weit von den 650 Millionen Euro entfernt liegen, habe viele Gründe, erklärt die Sprecherin. Zum einen könne das Geld erst abgerufen werden, wenn die entsprechenden Maßnahmen vor Ort – etwa die Versorgung eines Schulhauses mit schnellem Internet – bereits abgeschlossen sind. Zum zweiten müssen sich viele Schulen und ihre Träger, die Kommunen, zunächst Gedanken dazu machen, was sie überhaupt brauchen. Eine Vereinfachung hierzu gab es bereits: Die Schulen müssen nicht mehr vorab in einem aufwendigen Prozess Medienentwicklungspläne erstellen, bevor sie Geld beantragen können. Inzwischen können sie die Pläne auch nachreichen. Und drittens, so die Sprecherin, hat Corona auch Einfluss auf Schulen und Behörden. Der Organisationsaufwand sei dadurch massiv gewachsen. Zudem habe die L-Bank mit diversen anderen Programmen wie der Auszahlung der November- und Dezemberhilfen reichlich zusätzliche Arbeit.
Vor diesem Hintergrund zeigt sich Oliver Hintzen sogar überrascht, dass bereits so viel Geld bewilligt und geflossen ist. „Viele Schulen wollen es richtig machen“, sagt der Digitalexperte beim Verband Bildung und Erziehung. „Denn sie wissen, so viel Geld bekommen sie erst mal nicht wieder.“Die Medienentwicklungspläne seien zwar eine „Riesenhürde“, sie ordentlich zu erstellen dauere sicher ein halbes Jahr. Sie seien aber auch wichtig, damit die Schulen nach Plan und nicht einfach irgendwie ausgestattet werden.
Die Kreismedienzentren seien hierfür unschätzbar wertvoll. Sein Plädoyer: „Da muss man mehr Personal reinbuttern.“Denn die Digitalisierung werde in Zukunft noch viel Unterstützung brauchen.
Viel Aufwand für gute Digitalisierung, Schulbetrieb in Corona-Zeiten – zwei Gründe dafür, dass noch viel Geld auf Abruf wartet. Norbert Brugger vom Städtetag nennt noch einen dritten: mehrere zusätzliche Förderprogramme. Während der Pandemie hat der Bund den Ländern nämlich zusätzlich Geld gegeben – zunächst um Endgeräte zu kaufen, um diese Schülern ohne eigenen Laptop auszuleihen. Diese 65 Millionen Euro hat das Land verdoppelt. Der Bund schoss weitere 65 Millionen Euro zu, um den Lehrern im Südwesten Laptops zur Verfügung zu stellen. Und nun noch mal 65 Millionen für IT-Experten, die sich um die Geräte und die digitale Infrastruktur kümmern – dieses Geld sollen die Schulträger ab April bei der L-Bank beantragen können, sagt Eisenmanns Sprecherin.
Zudem hat das Land den Schulen für 40 Millionen Euro Budgets gegeben, um ihnen wegen der Pandemie nötige Anschaffungen zu ermöglichen – etwa für Luftfilter, oder eben auch für Digitales. „Die Nachfolgeprogramme sind alle recht kurz und ungnädig, was Fristen angeht“, sagt Brugger. „Da liegt der Fokus natürlich erst mal auf dem Verbrauch der zusätzlichen Mittel.“
Ob jeder bedürftige Schüler nun ein digitales Endgerät zur Verfügung hat? Und jeder Lehrer ein Dienstgerät? Das ist nicht ganz klar. Brugger vom Städtetag glaubt das aber ebensowenig wie Hintzen vom Bildungsverband. Er sagt über seine eigene Schule: „Wir konnten nicht alle Lehrkräfte mit Endgeräten versorgen.“Das Geld reiche nicht, auch wenn keine Luxusgeräte angeschafft würden. Mancherorts packe der Schulträger, also die Kommune, noch Geld obendrauf, um jedem Lehrer ein Leihgerät anzubieten.
In der März-Ausgabe des Mitgliedermagazins der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft schreibt deren Vizevorsitzender Michael Hirn sehr deutlich: „Das Geld reicht nicht.“Er erinnert an ein Bekenntnis von Kultusministerin Eisenmann von Anfang Februar: „Sie hat ausdrücklich zugesagt, dass das Land bei Bedarf die Mittel ergänzen werde, sodass jede Lehrkraft ein digitales Endgerät bekomme.“
Zum Teil sind auch noch nicht alle bestellten Geräte da. Ein Grund: Die Hersteller kommen mit der Produktion gar nicht mehr nach. Nicht nur baden-württembergische Schulen brauchen viele neue IT-Geräte, sondern Schulen, Behörden und Betriebe in der ganzen Welt.