Übersetzerstreit um Amanda Gorman
In Deutschland wurde ein diverses Team mit der Übertragung beauftragt
Darf eine weiße Person Texte einer schwarzen Autorin übersetzen, die über Rassismuserfahrungen schreibt? Die Übersetzung der Gedichte der schwarzen US-Poetin Amanda Gorman hat weltweit für Diskussionen gesorgt. In den Niederlanden hat eine weiße Person nach Kritik auf Social Media den Auftrag zurückgegeben. In Deutschland erscheint die deutsche Übersetzung am Dienstag beim Verlag Hoffmann und Campe. Mit der Übertragung beauftragt hatte der Verlag ein diverses Team.
Mit „The Hill We Climb“hatte Amanda Gorman bei der Amtseinführung Joe Bidens im Januar viel Eindruck hinterlassen und wurde weltberühmt. Barack Obama: „Ein historischer Tag. (…) Junge Menschen wie sie sind der Beweis, dass ,es immer Licht gibt, wenn wir nur mutig genug sind, es zu sehen, wenn wir nur mutig genug sind, es zu sein’.“Das Zitat stammt aus dem Gedicht der Poetin. Es handelt von Spaltung, Hoffnung und Mut und ist geschrieben aus ihrer Perspektive, also aus der Sicht einer „dünnen, schwarzen Nachfahrin von Sklaven“, wie Gorman sagt.
Schon bald rissen sich Verlage um Gormans Texte. In den Niederlanden hatte der Verlag Meulenhoff Marieke Lucas Rijneveld mit der Übersetzung beauftragt. Eine preisgekrönte, weiße, nicht-binäre Person – also ohne eine männliche oder eine weibliche Geschlechtsidentität.
Kurz nach der Bekanntgabe der Wahl kritisierte die schwarze Journalistin Janice Deul, dass es viele schwarze Frauen gebe, die geeigneter wären. Sie habe nichts gegen Rijneveld, aber die Wahl sehe sie kritisch. Eine Debatte entbrannte. Auch dem katalanischen Übersetzer Victor Obiols wurde der Auftrag wieder entzogen.
Der Schriftstellerin Mithu Sanyal zufolge wird die Debatte allerdings falsch geführt. Dass prinzipiell Schwarze nur die Texte schwarzer Autorinnen und Autoren übersetzen dürfen, habe Janice Deul nicht gefordert. „Ich glaube eher, es war ein Kommentar über den Literaturmarkt.“Der sei nämlich weder in den Niederlanden noch in Deutschland divers genug. Die Kunst habe den Anspruch, dass sie Neues denkbar macht und ein Spiegel der Gesellschaft ist, und das sei der Literaturbetrieb nicht, so die Autorin des neu erschienen Romans „Identitti“über Identität und Rassismus. Die Gorman-Debatte verdeutliche diesen Umstand.
Tatsächlich ist es schwer, den Anteil von nichtweißen Menschen in der Branche zu fassen. Eine Sprecherin des „Bundesverbandes für Dolmetscher und Übersetzer“erklärt, dass der Beruf nicht geschützt sei. „Das bedeutet: Jede Person, die gerne übersetzen möchte, kann es tun. (…) Niemand weiß genau, wie viele Kolleg/-innen jeglicher Herkunft in dem Bereich tätig sind.“Der Sprecherin nach sind „People of Color in der Tat die Ausnahme“. Gleichzeitig steige die Nachfrage nach ihnen und Verlage seien auf der Suche nach „Übersetzer/-innen mit einem bestimmten Erfahrungsschatz/soziokulturellen Hintergrund“.
Auch Sanyal zufolge sind Parallelen in der Identität zwischen der Autorin und der Übersetzerin ein wichtiges, aber eben nur eins unter vielen Kriterien. Im Falle Gorman aber wichtiger, weil sie sich in ihren Texten auch stark mit der Identität als schwarze Frau befasse.
Prinzipiell könne man also auf die Identität achten, aber nicht um ein politisches Zeichen zu setzen, sondern um gute Arbeit zu leisten. „Wer darf oder wer darf nicht übersetzen? Das ist ja die falsche Frage. Die Frage ist doch eher, was wäre die optimale Übersetzung, die wir uns wünschen?“
Der deutsche Hoffmann und Campe Verlag hat eine spezielle Lösung des Problems gefunden. Das Übersetzungsteam, bestehend aus der Literatur- und Lyrikübersetzerin Uda Strätling, der Autorin Kübra Gümüsay und der Journalistin und Rassismusforscherin Hadija Haruna-Oelker, hatte sich allerdings schon vor der Debatte formiert, wie das Team auf Anfrage mitteilten. Zudem kritisieren die drei ebenfalls wie Sanyal die Debatte als zu reflexhaft und verkürzt. „Es geht nicht darum, etwas wegzunehmen, sondern um eine Weitung des Blicks.“Also die etablierten Strukturen im Literaturbetrieb „machtkritisch infrage zu stellen, ohne sich und das eigene Dasein gleich in Gefahr zu sehen“, so die Übersetzerinnen. Gorman habe sich zudem von den europäischen Verlagen diversitätssensible Lösungen gewünscht. Für die drei Frauen sei dieser Auftrag ein „herausragendes und freudiges Experiment“gewesen.
Die Übersetzung sei im lebendigen und intensiven Austausch und Zeile für Zeile bearbeitet worden. Das sei nicht immer ganz einfach gewesen. Verhandlungen habe es gegeben, bei einigen Interpretationsfragen hätten sie Amanda Gorman sogar kontaktiert.
Auch der Verlag Meulenhoff aus den Niederlanden hat Medienberichten zufolge nach Rijnevelds Rückzug und der Kritik ein Team beauftragt. Rijneveld hatte mit einem Gedicht Stellung bezogen und Verständnis für die Kritik gezeigt. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“druckte das Gedicht „Alles Bewohnbar“, in dem Rijneveld schreibt: „Den Widerstand nie aufgegeben, und dennoch einsehen müssen, wenn es nicht an dir ist, wenn du vor einem Gedicht auf die Knie gehst, weil ein anderer es besser bewohnbar macht.“
The Hill We Climb – Den Hügel hinauf: Zweisprachige Ausgabe. Erscheint am Dienstag beim Hoffmann und Campe Verlag. 64 Seiten. 10 Euro.