Wie geht es weiter mit der Donau?
Gemeinderat entscheidet heute über weitere rechtliche Schritte.
TUTTLINGEN - Am Donnerstagnachmittag kommt der Tuttlinger Gemeinderat zu einer Sondersitzung zusammen, und auf der Tagesordnung steht nur ein Thema: die Donau. Es wird darum gehen, ob die Stadt erneut rechtliche Schritte unternimmt, um den Fluss weiter voll aufstauen zu dürfen. Oder ob sie die Sache auf sich beruhen lässt. Spannend dabei: Oberbürgermeister und Gemeinderat sind sich diesmal so gar nicht einig.
„Ich bin der Auffassung: Es muss gut sein“, sagt Oberbürgermeister Michael Beck im Gespräch mit unserer Zeitung. „Den Vollaufstau wird es nach meiner Überzeugung nicht mehr geben.“
Die Vorgeschichte im Schnelldurchlauf: Das Landratsamt hat der Stadt Tuttlingen genehmigt, die Donau bis 2043 weiter im Sommerhalbjahr aufzustauen, allerdings nur auf 1,50 Meter statt wie bisher auf 2,50 Meter – wenn denn genug Wasser in der Donau fließt. Außerdem muss die Stadt eine neue Fischtreppe bauen. Die Stadt will allerdings den Vollaufstau beibehalten und klagte deshalb. Das Verwaltungsgericht Freiburg wies die Klage am 8. Dezember 2020 ab. In der Urteilsbegründung, die seit März vorliegt, heißt es, die Stadt müsse gemäß der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie weiter versuchen, die Wasserqualität in der Donau zu verbessern. Und dazu trügen die Bedingungen, die das Landratsamt stellt, bei.
„Es ist ein eindeutiges Urteil, wenn man es liest. Es gibt keinen einzigen Anhaltspunkt, den man inhaltlich angreifen könnte“, ist der Jurist und ehemalige Verwaltungsrichter Beck überzeugt. Das Gericht habe vieles abgewogen, diverse Stellungnahmen von Betroffenen sowie der Bürgerinitiative „Erhaltenswehrt“und deren Unterschriftenliste einbezogen. Auch zwei Gutachten zur Gewässergüte spielten eine Rolle.
Zudem heißt es im Urteil: „Ein Grund, die Berufung zuzulassen, liegt nicht vor.“Heißt also: Die Stadt müsste bis Ende der Woche einen Antrag stellen, um überhaupt Berufung einlegen zu können – deshalb die Sondersitzung. Wird dem Antrag stattgegeben, könnte sie die nächsthöhere Instanz, den Verwaltungsgerichtshof in Mannheim, anrufen. Beck schätzt, dass es mindestens ein halbes Jahr dauert, bis der Antrag überhaupt bearbeitet ist. Da es „seit Jahren keine Rechtssicherheit“beim Donau-Aufstau gebe, will der Oberbürgermeister diese Zeit nicht mehr ins Land gehen lassen. Stattdessen müsse man jetzt die Umgestaltung der Donau vom Ludwigstal bis zum Hirschbrünnele planen, sagt er – mit allen Beteiligten: Bürgern, Land, Landratsamt. Natürlich müssten Stadt und Land Geld in die Hand nehmen, aber er glaubt, „eine Donau mit Erlebnisqualität“schaffen zu können.
Deshalb wird er dem Gemeinderat in der Sondersitzung vorschlagen, keine weiteren rechtlichen Schritte zu unternehmen. Nur wird es nicht so leicht werden, den Gemeinderat
davon zu überzeugen. Schon im Vorfeld haben Stadträte aus mehreren Fraktionen, darunter der SPD, der Freien Wähler und der CDU, dem Oberbürgermeister einen Brief zukommen lassen. Genauso wie die FDP-Fraktion fordern sie darin, den Antrag auf Zulassung der Berufung zu stellen.
In dem Brief, der unserer Zeitung vorliegt, heißt es: „Nachdem die Donau in Tuttlingen jetzt über Jahrhunderte an der Groß’ Bruck aufgestaut war und nachdem das Wehrmanagement der letzten Jahre deutliche Verbesserungen für die Ökologie der Donau in der Stadt brachte, wäre es unserer Meinung nach falsch, jetzt die letzten juristischen Möglichkeiten nicht auszuschöpfen.“
Anknüpfungspunkte für ein weiteres juristisches Vorgehen sehen die Stadträte bei den beiden Gutachten, die im Urteil behandelt werden. Dem älteren von Karl Wurm werde dabei mehr Gewicht eingeräumt als dem jüngeren von Eckhard Coring, das die Stadt für die Verhandlung in Auftrag gegeben hatte. Coring habe den speziellen Bezug zum Tuttlinger Schlauch erarbeitet, heißt es in dem Brief. Zudem halte er den Bau einer Fischtreppe – anders als Wurm – nicht für notwendig. Die Räte kommen zu dem Schluss: „Die Frage nach der Neutralität muss gestellt werden. Es entsteht der Eindruck, dass nur Aussagen von Dr. Wurm in die Urteilsfindung Eingang fanden.“
CDU-Fraktionsvorsitzender Joachim Klüppel hat sogar „das, zugegebenermaßen subjektive, Gefühl, dass mit der Verwaltungsgerichtsentscheidung zur „Causa Tuttlinginiensis“ein Exempel statuiert“werden soll. Warum, fragt er, sollte die Stadt dann nicht diesen zweiten Schritt Richtung Berufung gehen – auch um das Anliegen der 10 000 Bürger, die auf der Unterschriftenliste der Initiative „Erhaltenswehrt“stehen, nicht „wegzuwischen“. Die Kosten von 5000 Euro seien überschaubar.
Die Initiative selbst spricht sich ebenfalls für diesen Weg aus. „Natürlich gibt es irgendwo Grenzen, aber in die zweite Instanz sollten wir auf jeden Fall noch gehen“, sagt Thomas
Kienzle, einer ihrer Sprecher.
Die LBU-Fraktion dagegen will keine weiteren rechtlichen Schritte unternehmen: „Die Aussichten auf Zulassung der Berufung sind sehr, sehr gering“, begründet Fraktionsvorsitzende Ulrike Martin die Haltung gegenüber unserer Zeitung. „Sollte wider Erwarten eine Berufung zugelassen werden, wird das weitere Verfahren dauern und weiterhin über lange Zeit keine endgültige Planung für die Gestaltung der Donau und der Uferbereiche möglich sein, ganz abgesehen von weiter anfallenden Verfahrenskosten.“
„Den Vollaufstau wird es nach meiner Überzeugung nicht mehr geben.“
Oberbürgermeister Michael Beck
„In die zweite Instanz sollten wir auf jeden Fall noch gehen.“
Thomas Kienzle, Bürgerinitiative
Sevinc Camlibel von der Tuttlinger Liste sieht das ähnlich, AfD und Tierschutzallianz halten sich bedeckt. Klar ist also: Das Abstimmungsergebnis dürfte am Abend bunt ausfallen.
Indes bleibt fraglich, wie es nach dem Beschluss weitergeht. Während Beck Planungssicherheit möchte, haben sich SPD, CDU und Freie Wähler in einem Artikel im stadteigenen Magazin „Im Quadrat“kürzlich dafür ausgesprochen, „das eine zu tun, aber das andere nicht zu lassen“. Also bereits einen Plan B zu erarbeiten, sollte die Stadt gerichtlich nicht weiterkommen. Die Stadt hat erste Visualisierungen von einem Planungsbüro erstellen lassen (wir werden berichten), dabei handle es sich aber nur um erste Skizzen.
In diesem Sommer wird die Donau übrigens weiter frei fließen: Weil die Stadt der Forderung nach der Fischtreppe (Kostenschätzung: eine Million Euro) bisher nicht nachgekommen ist, darf sie nicht aufstauen.
Die Sitzung findet ab 16 Uhr im Videoformat statt und wird im Ratssaal im Rathaus Tuttlingen übertragen. Bürger können zuschauen, müssen sich aber vorher anmelden unter gemeinderat@tuttlingen.de oder 07461/ 99414. Der Zugang erfolgt über den Eingang Helfereistraße und um das Tragen eines Mund-/ Nasenschutzes wird gebeten. Die Abstimmung in Präsenz ist um 18 Uhr in der Alten Festhalle.