Jetzt bloß nicht beleidigt sein
Der bekannteste deutsche Whistleblower (eine Person, die für die Öffentlichkeit wichtige Informationen aus einem geheimen oder geschützten Zusammenhang veröffentlicht) ist aktuell wöchentlich zu erleben – und das live im Fernsehen. Schwer zu glauben, aber wenn man bedenkt, was
Lothar Matthäus als Sky-Experte an Herrschaftswissen aus den innersten Kreisen der Macht samstäglich unter die Menschen streut, dann gibt es keine andere Bezeichnung. Bereits eine Woche zuvor verkündete der Rekordnationalspieler Hansi
Flicks bevorstehenden Abschied und erste Gespräche des BayernUmfeldes mit Leipzigs Trainer Julian Nagelsmann. Nach dem FlickBeben legte der 60-Jährige direkt nach und verkündete das, was alle anderen erst in einigen Wochen sicher wissen: „15 Millionen würde der FC Bayern sofort für Julian Nagelsmann bezahlen“, sagte Matthäus oder auch „Er hat allen gedankt heute außer Hassan, das ist auch ein Grund, warum das so passiert ist. Er will mit Freude arbeiten. Die waren nicht auf einer Wellenlänge, und das hat ihm den Spaß genommen, den Hansi zum Arbeiten braucht.“
Damit ist eigentlich alles gesagt, was es zu dieser Causa zu sagen gibt. Die Wege der Zukunft sind klar. Denn dass Flick bald Bundestrainer ist und
Joachim Löw nachfolgt, hat nicht nur Matthäus längst verraten, sondern auch Ex-Bundestrainer Rudi Völler: „Wenn nach so einer Aktion von Hansi Flick heute jemand denkt, dass er es nicht wird, dann ist er selber schuld.“Wenn auf diesen Pfaden so viel Klarheit herrscht, ist es umso schöner, sich mit den Begleiterscheinungen, dem Warum, Weshalb, Wie
und Wieso auseinanderzusetzen. Dann steht nach der Verkündung – egal wie genau die Ränke abgelaufen sind – Flick als moralischer Sieger da. Als Erfolgstrainer, der aus freien Stücken den Stern des Südens verlässt. Schuld ist Sportvorstand Hasan Salihamidžic, der dem Trainer Transfers verweigerte, dessen Lieblinge rasierte und generell in Kaderfragen immer das Gegenteil von dem machte, was der nette Herr Flick wollte.
Dem reicht es nun, er sucht Ruhe, und gerade deshalb bröckelt die Fassade der heimeligen Bayern-Familie mit Herbergsmutter und Schutzpatron Uli Honeß im Hintergrund, der seine Hand schützend über seinen „Brazzo“hält. So dürfte es innerhalb des Kokons mächtig brodeln. Denn dass eben jener Flick am Tag nach dem Abschiedsknall wieder ganz normal auf dem Trainingsplatz stand und eingepackt in eine dicke FC-Bayern-Jacke
das Übungsprogramm der Reservisten überwachte, war ein trügerisches Bild. Etwa gleichzeitig schickten seine zuvor überrumpelten Bosse eine Reaktion in die Welt, die kaum eine gütliche Trennung der bis vor Kurzem noch idealen Partnerschaft nach dem programmierten siebten gemeinsamen Titelgewinn erwarten lässt. „Der FC Bayern missbilligt die nun erfolgte einseitige Kommunikation durch Hansi Flick“, hieß es in der kurzen, kühlen Stellungnahme. Der Rekordmeister kündigte zugleich an, die Gespräche mit Flick „wie vereinbart nach dem Spiel in Mainz fortsetzen“zu wollen. Dann geht es um die vom Trainer gewünschte Vertragsauflösung. Der Verein könnte theoretisch auf Erfüllung bis Mitte 2023 pochen – Flick also zumindest für den DFB-Posten im Sommer sperren. Doch stellt sich die Frage, ob sich der Rekordmeister nach dem ganzen Bohei noch mehr Imageverlust leisten möchte. Dass ein angesehenes Familienmitglied wie Miroslav Klose sagt: „Was mich wirklich nachdenklich macht, ist aber, wie hier gerade miteinander kommuniziert wird“, lässt tief blicken. Wenn es dem Club ab sofort darum geht, dem DFB die für die Nagelsmann-Verpflichtung fälligen Millionen als Flick-Ablöse aus dem Kreuz zu leihern, wäre es noch die nachvollziehbarste Variante. Sollte sich der Rekordmeister allerdings in seiner Eitelkeit als Eliteverein gekränkt sehen und eine Schlammschlacht starten, kann er nur verlieren – zumindest im Ansehen. Bald-Boss Oliver Kahn und Vorsitzender KarlHeinz Rummenigge wären gut beraten, die Situation geräuschlos und zeitnah zu Ende zu moderieren. Falls sie noch Rat benötigen, können sie ja bei Lothar Matthäus nachfragen.