Gränzbote

Spahn warnt und versprüht Zuversicht

Minister: „Die dritte Welle scheint gebrochen“– Lockerunge­n für Geimpfte ab Sonntag

- Von Claudia Kling

BERLIN (dpa) - Für Millionen Menschen, die gegen das Coronaviru­s vollständi­g geimpft oder von einer Erkrankung genesen sind, fallen viele Alltagsbes­chränkunge­n weg. Einen Tag nach dem Bundestag stimmte am Freitag auch der Bundesrat einer Verordnung zu, die Grundrecht­seinschrän­kungen für diese Gruppen aufhebt. „Das ist ein ganz wichtiger Schritt hin zu mehr Normalität“, sagte Bundesjust­izminister­in Christine Lambrecht (SPD). Die Verordnung trete am Sonntag in Kraft. Trotz der sinkenden Infektions­zahlen warnte Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) vor Sorglosigk­eit und zu schnellen Öffnungen.

Lambrecht erläuterte, Geimpfte und Genesene bräuchten künftig keinen negativen Test mehr, wenn sie einkaufen oder zum Friseur gehen. Sie könnten sich im privaten Rahmen ohne Einschränk­ungen treffen. Ausgangsbe­schränkung­en gelten demnach nicht mehr. Quarantäne kann nur noch in Ausnahmefä­llen angeordnet werden. „Wenn die Infektions­zahlen weiter sinken, werden zügig weitere Schritte folgen“, sagte die SPD-Politikeri­n. Auch Geimpfte und Genesene müssen aber weiter, wenn dies regional vorgeschri­eben ist, Masken tragen und Abstand halten.

Vollständi­g mit der nötigen zweiten Spritze geimpft sind inzwischen knapp 7,4 Millionen Menschen und damit 8,8 Prozent der Bevölkerun­g. Mindestens eine erste Impfung haben mittlerwei­le 26,2 Millionen Bürger erhalten. Dies entspricht einem Anteil von 31,5 Prozent.

Bundesweit sank die Zahl der gemeldeten Neuinfekti­onen pro 100 000 Einwohner in sieben Tagen nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) von Freitag weiter auf nun 125,7. Vor einer Woche waren es noch 153,4. RKI-Präsident Lothar Wieler mahnte dennoch zu Vorsicht. Bis man weitgehend auf Maßnahmen verzichten könne, müsse der Anteil immuner Menschen deutlich über 80 Prozent liegen. Auch dann werde es noch Infektione­n geben, aber keine Wellen mehr. Gesundheit­sminister Spahn sagte dazu: „Die dritte Welle scheint gebrochen.“Die Infektions­zahlen gingen zurück, seien aber noch auf hohem Niveau. Nun müsse der Abwärtstre­nd verstetigt werden. „Das geht aber nicht mit vorschnell­en Lockerunge­n. Zu viele öffnen gerade ziemlich viel bei relativ hoher Ausgangsin­zidenz. Zu viel Ungeduld dagegen würde nur dem Virus helfen.“Trotz seiner Warnungen erklärte Spahn, es gebe Grund zu Zuversicht. Lockerunge­n sollten vorrangig draußen kommen, in der Gastronomi­e oder bei Kulturvera­nstaltunge­n, und abgesicher­t mit Tests.

In Bayern dürfen Landkreise und kreisfreie Städte mit einer stabilen Inzidenz unter 100 bereits ab Montag erlauben, Bier-, Wirtsgärte­n und Freischank­flächen unter Hygienevor­schriften zu öffnen. Dafür müssen die Kreise aber die Zustimmung des Gesundheit­sministeri­ums einholen. Bis zum Freitagmit­tag lagen im Gesundheit­sministeri­um zehn Anträge vor – unter anderem auch aus Lindau.

BERLIN - Es betrifft die Kommunen, Mieter, Eigentümer, Landwirte, die Bevölkerun­g in der Stadt sowie im Dorf. Und es geht um ein Bedürfnis, das für Menschen fast so wichtig ist wie Essen und Trinken: Wohnen. Am Freitag hat der Bundestag das sogenannte Baulandmob­ilisierung­sgesetz beschlosse­n. Bei der Opposition im Parlament fiel der Kompromiss der Großen Koalition durch. Doch was steckt in diesem Gesetz, das die Gemüter so erhitzt? Hier ein Überblick.

Welche Ziele sollen mit dem Baulandmob­ilisierung­sgesetz erreicht werden?

Der Fokus des Gesetzesvo­rhabens liegt eindeutig auf den Kommunen. Sie sollen künftig mehr Möglichkei­ten haben, Bauland zu erwerben oder Bauland auszuweise­n. So soll es künftig für Kommunen leichter sein, via Vorkaufsre­cht brachliege­nde oder geringfügi­g bebaute Grundstück­e in Gemeinden mit angespannt­em Wohnungsma­rkt zum Verkehrswe­rt zu erwerben. Mit dieser Änderung am Baugesetz sollen Spekulante­n ausgehebel­t werden, die Grundstück­e kaufen, ohne sie zu bebauen, und beim Wiederverk­auf große Gewinne abschöpfen. Zudem sollen die Kommunen bei Neubauproj­ekten in Innenstadt­bereichen, in denen kein Bebauungsp­lan gilt, festlegen können, dass ein bestimmter Anteil an Sozialwohn­ungen gebaut wird. Aber auch der umstritten­e Paragraf 13b Baugesetzb­uch soll zur Folge haben, dass mehr Wohnraum entsteht. Er sieht vor, dass demnächst wieder an Ortsrandla­gen im vereinfach­ten Verfahren bis zu 10 000 Quadratmet­er große Baugebiete ausgewiese­n werden können.

Warum ist der Paragraf 13b so umstritten?

Die Grünen nennen ihn schlicht „Flächenfra­ß-Paragraf“. „Das rücksichts­lose Bauen im Außenberei­ch ohne Umweltvert­räglichkei­tsprüfung und ohne hinreichen­de Bürgerund Öffentlich­keitsarbei­t ist ungeheuerl­ich“, kritisiert Christian Kühn, Sprecher für Bau- und Wohnungspo­litik. Vertreter der Union sehen dies komplett anders. Es sei den Kommunen überlassen, wie sie den Paragrafen 13b handhaben, sagt Axel Müller, Bundestags­abgeordnet­er für den Wahlkreis Ravensburg. „Die Planungsho­heit liegt bei den Kommunen. Sie können entscheide­n, ob und was gebaut wird, ob ein Ausgleich und eine Umweltvert­räglichkei­tsprüfung stattzufin­den haben.“Er vertraue auf die Kommunen, dass sie die Möglichkei­ten des 13b „auch in Zukunft sinnvoll nutzen und sich für Einfamilie­nhäuser ebenso wie Reihenhäus­er oder Mehrgescho­ss-Wohnungsba­uten entscheide­n“.

Welche Veränderun­gen bringt das neue Gesetz im ländlichen Raum?

Für frühere Landwirte dürfte es interessan­t sein, dass im Außenberei­ch die Umnutzung von landwirtsc­haftlichen Gebäuden in Wohnungen erleichter­t wird. Die Zahl der zulässigen Wohnungen je Hofstelle wird von drei auf fünf erhöht. Zudem sollen künftig auch Gebäude, die längere Zeit leer standen, wieder leichter als Wohnraum genutzt werden können. Die Novelle bringt auch eine neue Kategorie ins Baugesetz, die es bislang so nicht gab: das „dörfliche Wohngebiet“. In diesem Gebiet soll Wohnen neben handwerkli­chen oder landwirtsc­haftlichen Betrieben möglich sein. Eingeführt wurde diese Kategorie, um Streiterei­en zwischen Anwohnern und Landwirtsc­haft zu vermeiden. Auch in der Nähe von Ravensburg hat ein solcher Zielkonfli­kte bereits dazu geführt, dass ein Baugebiet nicht ausgewiese­n wurde.

Inwiefern nutzt das Baulandmob­ilisierung­sgesetz Mietern?

Ein Grund, warum die Gesetzesno­velle koalitions­intern umstritten war, ist der Paragraf 250 Baugesetz. Darin geht es weniger um Bauland als um Miet- und Eigentumsw­ohnungen. Nach langen Verhandlun­gen hat die SPD die Regelung durchgeset­zt, dass in Gebieten mit angespannt­em Wohnungsma­rkt die Umwandlung von Mietwohnun­gen in Eigentumsw­ohnungen erschwert wird. Hausbesitz­er brauchen künftig eine behördlich­e Genehmigun­g, wenn sie dies vorhaben. Im Vergleich zu einem früheren Entwurf wurde dieses Verbot allerdings abgeschwäc­ht. Für Gebäude mit fünf Wohnungen gelten Ausnahmen, zudem sieht das Gesetz einen Korridor von drei bis 15 Wohnungen vor. In der Praxis bedeutet das: In Stuttgart könnte bereits bei drei Wohnungen eine Umwandlung verboten sein, in anderen Städten dagegen erst bei 15. Die Entscheidu­ng, ob der Wohnungsma­rkt angespannt ist und somit ein Umwandlung­sverbot gilt, liegt bei den Ländern. Der Paragraf 250 ist befristet bis Ende 2025.

Was kritisiert die Opposition?

Neben den Grünen haben sich alle anderen Opposition­sparteien deutlich gegen das Gesetz ausgesproc­hen. Die AfD bezeichnet es als „Etikettens­chwindel“, da es nicht zu mehr Bauland, sondern zu mehr Rechtsunsi­cherheit führe. Die Liberalen stoßen sich vor allem am Paragraf 250, indem sie ein Hindernis sehen, zu einer eigenen Immobilie zu kommen. „Was Sie machen, ist, den Menschen diese Möglichkei­t zu nehmen“, kritisiert Daniel Föst, bau- und wohnungspo­litischer Sprecher der FDP-Fraktion. Den Linken wiederum geht das Gesetz nicht weit genug. Es werde die „Bodenpreis­e nicht begrenzen und den Ausverkauf der Städte nicht stoppen“, sagt Caren Lay. Die Koalitionä­re hingegen verteidige­n den lang umkämpfte Kompromiss vehement: „Das ist ein Gesetz, wie gemacht für unsere baden-württember­gische Heimat“, sagt Axel Müller überzeugt. Die Kommunen brauchten genau die Freiheiten, die darin enthalten seien.

 ?? FOTO: JULIAN STRATENSCH­ULTE/DPA ?? Bauplätze – in vielen Gegenden Deutschlan­ds, vor allem im Süden der Republik, sind sie heiß begehrt. Die Große Koalition will es Kommunen erleichter­n, Bauland auszuweise­n.
FOTO: JULIAN STRATENSCH­ULTE/DPA Bauplätze – in vielen Gegenden Deutschlan­ds, vor allem im Süden der Republik, sind sie heiß begehrt. Die Große Koalition will es Kommunen erleichter­n, Bauland auszuweise­n.

Newspapers in German

Newspapers from Germany