Die SPD muss auf den Endspurt hoffen
Die Kür von Spitzenkandidat Olaf Scholz hat den Sozialdemokraten nicht aus dem Umfragetief geholfen – Worauf die Partei setzt
BERLIN - Vier Monate vor der Bundestagswahl will die SPD eine Aufholjagd starten. „Das Schattenboxen ist vorbei“, sagte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil in Berlin. Am Sonntag wollen die Sozialdemokraten auf einem Parteitag mit 600 digital zugeschalteten Delegierten ihr Wahlprogramm verabschieden und Olaf Scholz als Kanzlerkandidaten bestätigen.
Vor vier Jahren herrschte Euphorie im Willy-Brandt-Haus. In der „Kampa“, der SPD-Wahlkampfzentrale, arbeiteten junge Genossinnen und Genossen mit glühenden Gesichtern. Der hieß Martin Schulz, die SPD wirkte frisch, kämpferisch und lag kurzzeitig über 30 Prozent. Keiner wusste warum, aber der „SchulzZug“rollte. Und entgleiste kurze Zeit später. Schulz stürzte in der Wählergunst ab und führte die SPD zu historisch schlechten 20,5 Prozent.
Nun wird der aktuelle SPD-Spitzenkandidat im ZDF gefragt, was denn mit dem „Scholz-Zug“sei. Ach, das seien ja „immer so Begriffe“, entgegnet der Bundesfinanzminister und Vizekanzler. Aber: „Ich will Kanzler werden.“Wenn dieses Ziel mit einem Maximum an Auftritten zu schaffen wäre, hätte Scholz gute Karten. Er scheint überall zu sein, und stets hat er dieselbe Botschaft: Die Union komme kaum mehr über 30 Prozent, während die SPD im „oberen Bereich von 20 Prozent“landen werde. Dabei ist nichts stabiler als das Umfragetief der SPD. Die Werte liegen im Durchschnitt bei 15 Prozent. Zuletzt kratzte die SPD im Januar 2018 an der 20-Prozent-Grenze. Die anhaltenden Chaostage der Union hätte man als Vorlage für den eigenen Wahlkampfstart nutzen müssen, das habe die Parteiführung verpasst, kritisiert der SPD-Vorsitzende von Rheinland-Pfalz, Roger Lewentz. In der „Süddeutschen Zeitung“nahm er sich vor allem d SPDGeneralsekretär Lars Klingbeil vor. „In so einer Lage ist es wie im Fußball“, sagte Lewentz, „Wenn du 0:2 hinten liegst, kannst du doch nicht auf Ergebnis halten spielen.“Im Willy-Brandt-Haus
versteht man zwar den Unmut, hält aber am Plan fest. Schließlich habe man den Menschen in der Pandemiezeit keinen Dauerwahlkampf zumuten können. Lewentz wiederum sieht immerhin einen „Scholz-Effekt“in Bezug auf die eigene Partei. Dass ein solcher bei den Wählern nicht zu verzeichnen ist, steht auf einem anderen Blatt.
Mittlerweile machen aus dieser Not aber viele Genossen eine Tugend. Mit einem anfänglichen Hype um den Spitzenkandidaten habe man schließlich schlechte Erfahrungen gemacht – siehe Schulz-Zug. Die Heimat von Olaf Scholz dagegen ist eine sozialdemokratische Mutquelle. Die SPD machte dort aus einer ähnlich katastrophalen Startposition 2020 einen grandiosen Sieg. Und in Rheinland-Pfalz gewann Malu Dreyer auch erst auf den letzten Metern. „Wir können Schlussspurt“, sagt SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil.
„Zukunft, Respekt, Europa“– darum rankt sich das SPD-Wahlprogramm. Kampf gegen die Erwärmung des Planeten, moderne Mobilität, Digitalisierung, ein besseres Gesundheitswesen und bezahlbare Mieten gehören dazu. Aus Hartz IV soll ein „Bürgergeld“werden. Einkommensteuerund Vermögensteuerreform stehen ebenfalls im Programm. Seit dem Verfassungsurteil über das Klimagesetz verschärfen die Sozialdemokraten den Ton im Verhältnis mit der Union erheblich. Carsten Schneider, der Parlamentarische Geschäftsführer der Bundestagsfraktion, spricht von der „Stromlüge“des Wirtschaftsministers Peter Altmaier. Der würde den Energiebedarf dramatisch nach unten rechnen. Und „egal, worum es bei erneuerbaren Energien in der Vergangenheit ging“, das Wirtschaftsministerium habe „immer gebremst“.
Generalsekretär Klingbeil will allerdings keinen „Haudrauf-Wahlkampf“. Es komme darauf an, zu erklären, wie man das Land gestalten wolle. Aber auch Klingbeil weiß, dass es hinsichtlich der Wählerstimmen um einen „Aufholprozess“geht. Und Carsten Schneider sagt: „Das wird eine harte Nummer für uns.“