Auf einen Kaffee am Jugendstiltischchen
Karl-Heinz und Christa Reiser haben ein Café geschaffen, das wegen seiner historischen Details einzigartig ist
SPAICHINGEN - Eigentlich keine Schönheit, diese Geschäfts-Glasfront, in der mal ein Juwelier, ein Bestatter, ein italienischer Lebensmittelladen waren. Aber wer die Türschwelle überschreitet, ist in einer anderen Welt: Teetische aus einer Fabrikantenvilla, aus einem Pfarrhaus, aus großbürgerlichen oder bürgerlichen Haushalten samt den passenden antiken Stühlen mit Schnitzereien, Einlegearbeiten und anderen Dekoelementen stehen da, geschmückt mit Väschen. Ein Café wartet fast fertig gestaltet, dass die Menschen wieder beisammen sitzen können.
„Das Bedürfnis, sich zu treffen ist riesengroß“, sagt Karl-Heinz Reiser. Er führt gleich nebenan ein Antiquitätenund Trödelgeschäft. Die Liebe zu alten Dingen, die alle Geschichten erzählen könnten, die Menschen gehört haben, die längst nicht mehr leben, die ist ihm auf Schritt und Tritt anzumerken. Er hat vieles gesammelt, umgibt sich mit den Dingen längst vergangener Zeiten, greift beim Rundgang durch sein Reich immer wieder nach einem Bild, einem Kruzifix, einer Schranktür oder einem Teddybären, der uralt ist, aber vor lauter Kinderliebe kein bisschen Fell mehr hat und X Mal gestopft wurde. Nicht immer kennt Reiser die Geschichte, kann aber in etwa das Alter einschätzen. Oft aber, vor allem bei den Spaichinger Zeugen der Vergangenheit, weiß er es ganz genau. Und obwohl er natürlich kauft und mit den Dingen neben seinem Beruf handelt, verkauft er viele, sehr viele Herzensstücke nicht, egal wie viel ihm geboten wird.
„Die kannst du gleich wieder abhängen“, habe ihm ein neugieriger Besucher in dem neu entstehenden Café gesagt und auf die BrauereiLampe in der Küche gedeutet. Aber das macht Reiser nicht. Die Verknüpfung zum Laden soll zwar auf jeden Fall sein, aber eher durch manche Deko an der Wand, vor allem aber in dem großen Massivholzregal an der Seite, wo die Dinge angeboten werden. Das Regal ist zwar keine Antiquität, aber trotzdem Spaichinger Wertarbeit – aus dem früheren Laden der Schreinerei Kupferschmid.
Das Café ist ein Gemeinschaftsprojekt der Eheleute Christa und Karl-Heinz Reiser. „Wir wollten was schönes machen so auf die Rente hin“, sagt er. Da ist zwar noch ein, zwei Jahre Zeit, aber nicht viel. Drei Tage die Woche soll geöffnet sein. „Sobald es erlaubt ist, machen wir auf“, sagt Christa Reiser. In welcher Woche ist noch nicht ganz klar – aber auf jeden Fall am Samstag.
Sie hatte erst mit dem Gedanken an eine Suppenküche oder ähnliches gespielt. Aber eine Verbindung von beidem: Kommunikation und der Antiquitätenladen nebenan – das ist es jetzt geworden. Stilvoll wollten die beiden Eheleute das Café gestalten, es gibt auch keinen Alkohol. Kaffee, Getränke und Hausmacherkuchen, den Christa Reiser selber backen wird. Im Gespräch wird klar, dass es Christa und Karl-Heinz Reiser nicht ums Geschäftemachen geht, sondern darum, etwas Schönes und Sinnvolles anzubieten in der Stadt, in der sie sehr verwurzelt sind. „Es muss sich tragen“, sagen sie. Das reicht ihnen.
Wenn man in dem Raum steht, fühlt man sich wohl. Aber man weiß nicht so ganz genau, warum. Es sind die vielen Details: eine alte Kinolampe aus Spaichingen, das Geschäftsschild der früheren „Rose“: „BrotFeinbäckerei K. Kraft“, bunte Bleiglasfenster, eine 200 Jahre alte Ofenplatte, eine Kieninger Standuhr, eine Kirchenfigur, Kruzifixe, ein Emailleschild der Feuersozietät der Provinz Brandenburg“. Die Zeiten und Stile sind bunt durcheinander gemischt. An der Wand hängen Cottendorf Wandmasken, Keramik, die vor allem in den 50er-Jahren „in“war, im Regal ebenfalls 50er- und 60er-Jahre Schalen und Vasen. „Es muss halt passen“war das Leitmotiv bei der Gestaltung und obschon keinem Thema folgend, passt es wirklich.
Modern ist die Küche. Den WKD haben die beiden ganz am Anfang eingebunden, um nichts falsch zu machen. Und bei all den Notwendigkeiten der Installationen, die dann unter einer Stuckleiste verschwanden, kam schließlich doch einiges zusammen. „Wir waren blauäugig“, ob des Aufwands. Aber von den Details absehen wollten sie auch nicht. „Er hat einen Hang zum Perfektionismus“, lacht Christa Reiser. „Und sein Bruder auch.“
Michael Reiser ist Schreiner und hat großen Anteil an der schönen Atmosphäre: Er hat den vorgeschriebenen Vorbau vor den Eingang zur Toilette gebaut. Der gleicht aber eher einem charaktervollen mittelalterlichen Hauserker mit echten alten Ziegeln und echtem alten Holz (vom Abriss der Gebäude in der Angerstraße kürzlich). Das Holz ist gewachst, drum duftet es in dem renovierten Raum und stinkt nicht nach Chemie. Der Clou ist aber die große Holzbank am Fenster. So etwas kennt man aus Großstadtcafés. Auch diese Fensterbank und der Überbau, in den kleine Kirchen-Bleiglasfenster eingelassen sind, sind sorgfältig gestaltet und gewachst. „Es ist, als ob man auf der Straße sitzen würde“, sagt Karl-Heinz Reiser.
Das ist übrigens auch ganz wörtlich geplant. Reiser will eine Reihe Tische und Stühle als Außencafé einrichten und hofft auf das Ende der Pandemie: „Die Leute warten richtig drauf.“
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