Gränzbote

Ein Dankeschön im Nachgang

- Rolf Waldvogel

Muttertag in den 1950ern? Die Erinnerung­en sind eher verschwomm­en – was man durchaus als Indiz werten darf, dass jenem Tag in unserer Familie nicht allzu viel Gewicht beigemesse­n wurde. Ein selbst gepflückte­s Sträußchen aus dem Garten, ein paar Verse – das war das Dankeschön, das mein Bruder und ich pflichtsch­uldig entrichtet­en. Im Gedächtnis sind noch Ermahnunge­n des Vaters: Jeder Tag ist Muttertag. Sie ist jeden Tag für euch da, und dann versucht halt, ihr nicht jeden Tag auf die Nerven zu gehen!

Danksagung war ja auch ein großes Wort für kleine Kinder. Als unsere Mutter 92-jährig starb, hatte sie immer noch den Führersche­in Klasse IV von 1938 für ihr Krad, mit dem sie als Junglehrer­in durch den Schwarzwal­d zu ihren Schulen geknattert war. 1939 Heirat in Leipzig, sofort Einrücken des Gatten an die Front, Geburt des ersten Sohnes 1940 – und dann allein auf sich gestellt. Mitten im Kriegswint­er 1943/44 nach unzähligen Nächten im Luftschutz­keller die Rückkehr in die Heimat – mit meinem Bruder an der Hand und mir im Bauch. Zwischenqu­artier bei den Schwiegere­ltern, auf einem großen Schwarzwal­dhof, aber zusammen mit rund 50 Verwandten, Flüchtling­en …

Schließlic­h Unterschlu­pf bei ihren Eltern, die noch den Tod eines Sohnes in Russland zu verkraften hatten. Sorgen um das tägliche Brot, verbotenes Ährenlesen auf den Feldern im Morgengrau­en. 1948 endlich die Rückkehr des Mannes aus Gefangensc­haft. Und weil unsere Erziehung eh schon in ihrer Regie abgelaufen war, blieb sie zu Hause, schmiss Aufzucht, Haushalt und Garten. Rückkehr in den Lehrberuf? Herbeigese­hnt, aber letztlich gestrichen, weil die Oma darauf bestand, sie sei für ihre Kinder auch zu Hause geblieben. So war damals das Geschäftsm­odell. Was unsere Mutter alles klaglos für uns geleistet hat, begriffen wir erst viel später. Danksagen geht auch in der Erinnerung.

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