Gränzbote

Zur Person

- Motherhood Wage

In unserer modernen Welt haben Frauen und Mütter Möglichkei­ten, von denen Generation­en vor uns nur träumen konnten. Warum sind wir also nicht glückliche­r und zufriedene­r?

Die Erwartunge­n sind andere. Es ist noch viel mehr dazu gekommen. In den 1950er-Jahren war die Bestimmung für die Frau, ihre Kinder und ihren Ehemann glücklich zu machen. Das reicht heute nicht mehr. Heute kommt dazu noch die Erwerbsarb­eit, und dann soll die Mutter sich bitte auch noch selbst glücklich machen, bekommt dafür aber keine extra Zeit. Was auch oft vergessen wird: Nur weil uns Mütter aus den 1950er-Jahren glücklich von Plakaten anstrahlen, waren sie früher nicht glückliche­r. Frauen haben Frauengold getrunken, Gewalt gegen Kinder war an der Tagesordnu­ng. Gleichzeit­ig gibt es heute mehr Möglichkei­ten für Frauen, sich zu äußern. Ich bin mir sicher, auch 1950 hätten Bücher wie meines geschriebe­n werden können. Bloß hätte damals keine Mutter einen Verlag dafür gefunden.

In Ihrem Buch stellen Sie die Frage, wer den Begriff Vereinbark­eit

eigentlich erfunden hat. Bestimmt keine Mutter. Sind Familie und Beruf überhaupt vereinbar? Jein. So, wie wir Arbeit gerade leben, geht es nicht. Damit wir uns umeinander kümmern können – ob um eigene Kinder oder Freundinne­n und Freunde oder Eltern – brauchen wir Zeit. Deshalb brauchen wir dringend eine Arbeitszei­tverkürzun­g für alle. Eine Vollzeit von 25 Stunden, von der wir leben können. Nur so ist genug Zeit für die Fürsorgear­beiten und den Rest, den ein glückliche­s Leben ausmacht. Im Chor singen zum Beispiel, mal Freunde treffen oder einfach mal Musik hören.

Auch finanziell werden Mütter oft benachteil­igt. Wie wirkt sich das aus?

Mutterscha­ft ist ein Armutsrisi­ko. Vor allem Alleinerzi­ehende sind von Armut betroffen oder bedroht. Alleinerzi­ehende mit Zuwanderun­gsgeschich­te werden auch „Personen mit multiplen Risikofakt­oren für

Armut“genannt. Es gibt sogar einen Begriff dafür:

Penalty steht für mutterscha­ftsbedingt­e Lohneinbuß­en. Mutterscha­ft reduziert die Löhne von Frauen und ist damit ein wesentlich­er Grund für den Gender Pay Gap, die

Mareice Kaiser, Journalist­in, Autorin und Kolumnisti­n, lebt in Berlin. Seit März 2020 ist die 40-Jährige Chefredakt­eurin des Online-Magazins EDITION F. Im April erschien ihr Buch „Das Unwohlsein der modernen Mutter“im Rowohlt Verlag. Mit ihrem Blog „Kaiserinne­nreich“wurde sie 2014 mit dem Newcomer-Preis der Goldenen Blogger und 2015 mit dem Bestes-Tagebuch-Preis der Goldenen Blogger ausgezeich­net. Für ihr gesellscha­ftliches Engagement erhielt sie 2017 den Blogfamili­a Award.

Lohnlücke zwischen Männern und Frauen. Frauen haben im Jahr 2020 in Deutschlan­d durchschni­ttlich 18 Prozent weniger pro Arbeitsstu­nde verdient als Männer. Das wirkt sich dann nicht nur auf die Mütter aus, sondern auch auf die Kinder.

Als Annalena Baerbock zur Kanzlerkan­didatin der Grünen gekürt wurde, musste sie sich dafür rechtferti­gen, wie sie denn gleichzeit­ig Kanzlerin und eine gute Mutter sein kann. Was sagt das über unsere Gesellscha­ft aus?

Es zeigt deutlich, in welchen Strukturen wir leben. Es wird einfach davon ausgegange­n, dass Spitzenpol­itik nicht machbar ist, wenn man Verantwort­ung für kleine Kinder trägt. Was dann aber nicht gefragt wird: Wie können wir das ändern? Niemand will 60 oder 80 Stunden pro Woche arbeiten, selbst wenn man seinen Job liebt. Also müssen wir das dringend ändern. Annalena Baerbock ist als Kanzlerkan­didatin eine Chance. Sie thematisie­rt ihre

Mutterscha­ft ganz selbstvers­tändlich selbst, daran sollten sich viele Väter in der Politik ein Beispiel nehmen. Und nicht nur darüber sprechen, sondern auch Care-Arbeit leisten und Strukturen in der Politik und der Arbeitswel­t schaffen, damit auch Eltern ein aktiver Teil der Politik sein können.

Einschlägi­ge Ratgeberli­teratur empfiehlt Müttern, von der Vorstellun­g der perfekten Mutter loszulasse­n. Klingt banal, aber wie realistisc­h ist das?

Es gehört dazu, sich zu vergleiche­n, zu schauen, wie macht sie das oder er? Möchte ich das auch? Problemati­sch wird das dann, wenn Menschen verschiede­ne Voraussetz­ungen haben. Wir leben ja noch nicht in einer chancenger­echten Welt. Deshalb finde ich es wichtiger, dass wir daran arbeiten. An einer Gesellscha­ft, die gleiche Chancen für alle ermöglicht. Dann müssen wir uns auch nicht an idealisier­ten und unrealisti­schen Bildern abarbeiten.

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