Die Polizei setzt Super-Recogniser ein
Tatverdächtige sollen durch Wiedererkennen der Gesichter überführt werden – Erste Erfolge nach Stuttgarter Krawallen
Verdächtige sollen durch Wiedererkennung von Gesichtern überführt werden.
TUTTLINGEN - Das Gesicht kommt mir bekannt vor? Das haben sich schon viele Menschen gedacht. Die wenigsten haben aber die Begabung, sich Gesichter einzuprägen und wirklich wiederzuerkennen. 28 beim Polizeipräsidium Konstanz angestellte Frauen und Männer sind nun als „Super-Recogniser“zertifiziert worden und sollen bei Ermittlungen Hinweise auf Tatverdächtige geben. Dass es klappt, hat die Stuttgarter Polizei bereits in der Vergangenheit bewiesen.
„Nur ein bis zwei Prozent haben diese Fähigkeit, sich Gesichter überdurchschnittlich gut zu merken“, sagt Kriminalhauptkommissarin Liliane Rieder aus der Führungsgruppe der Direktion Rottweil. Sie hat das dortige Projektbüro „Super-Recogniser“geleitet. Die Aufgabe war, aus den rund 1500 Mitarbeitern des Polizeipräsidiums Konstanz mögliche „Super-Recogniser“herauszufinden. Für den freiwilligen Test haben sich 1275 von Rieders Kollegen angemeldet. „Ich glaube schon, dass es die Mitarbeiter interessiert hat“, meint sie, dass auch Neugier ein Grund für die hohe Quote der Teilnehmer sein könnte. Schließlich handelt es sich bei den Fähigkeiten des „Super-Recognisers“um eine angeborene Begabung, die man nicht erlernen oder anderswie erlangen kann.
Und dass es sich wirklich um etwas besonderes handelt, macht sie dann auch deutlich. In dem dreistufigen Verfahren, bei dem die Polizei durch die Londoner Universität von Greenwich unterstützt wurde, hätten die Probanten kaum etwas von den Personen zu sehen bekommen.
„Die Bilder waren zum Teil verschwommen, man hat manchmal nur die Augenpartie erkennen können“, sagt Rieder. Trotzdem haben 28 Polizei-Mitarbeiter die Fähigkeit, die Personen wiedererkennen zu können – davon zwei aus Tuttlingen. Dies würde sich auch nicht ändern, wenn die Menschen jetzt coronabedingt eine Maske tragen, älter oder zu- und abnehmen würden. „Den Super-Recognisern reichen nur wenige biometrische Merkmale.“
Die „Super-Recogniser“, die in Baden-Württemberg zuerst im Präsidium
Stuttgart ausgebildet worden sind, haben in der Landeshauptstadt schon wertvolle Arbeit geleistet. Bei der Aufarbeitung der Krawalle vom Juni 2020 wurden insgesamt 141 Tatverdächtige ermittelt, 63 durch die „Super-Recogniser“. Dabei, so schreibt die Polizei in einer Pressemitteilung, hätten die Wiedererkenner „trotz widriger Umstände wie unscharfer oder dunkler Videoaufnahmen“ihr Potential unter Beweis gestellt. „Es ist toll, dass der Mensch doch mehr als eine Maschine kann“, sagt Rieder und verspricht sich durch die scharfsehenden Kollegen Erfolge bei den Ermittlungen von Tatverdächtigen. „In Prozent lässt sich das nicht ausdrücken. Aber ich glaube, wir kommen schneller ans Ziel.“
Einsatzgebiete sind neben Krawallen oder Diebstählen auch Verbrechen, bei denen es Videomaterial gibt. In Stuttgart waren die „SuperRecogniser“nach Sichtung der Krawallbilder in der Innenstadt unterwegs, um Tatverdächtige aufzuspüren. Rieder ist wichtig, dass ein Wiedererkennen einer Person noch nicht die Identifikation als Täter darstellt.
„Sie sind keine Sachverständige, das Erkennen reicht nicht, um die Person festzunehmen. Aber wir haben eine Spur und können ermitteln.“
Die künftigen Wiedererkenner, die eine Gruppe innerhalb der Polizei bilden, verbleiben an ihrer Dienststelle und werden bei Bedarf angefragt. Den ersten Teil des Tests kann jeder im Internet (s. Infokasten) absolvieren. Wer dabei zehn von 14 Punkten erreichte, wurde zum Haupttest eingeladen. Von den 1275 Polizei-Mitarbeitern waren das nur noch 423. Dabei musste man in zwei bis drei Stunden Gesichter über Passfotos vergleichen, Personen aus Menschenmengen identifizieren und sich an Menschen erinnern, die man zuvor nur kurz gesehen hatte.
Nur noch 49 Mitarbeiter erreichten den Abschlusstest, der wie der Haupttest aufgebaut war. Für den Fall, dass man den Eingangstest im Internet besteht, kann man sich dann bei der Polizei als potentieller „Super-Recogniser“melden. „Wenn Sie unter 35 Jahren sind und sich bei der Polizei beworben haben“, sagt Rieder und lacht. Auf Bürger außerhalb der Polizei wird man noch nicht zurückgreifen. Aber vielleicht ist nach Ermittlungserfolgen die Nachfrage bald größer.
Der Test, ob man zum SuperRecogniser taugt, ist im Internet zu finden unter: ●» https://bit.ly/36TsLHs
Unsere Volontärin Maike Daub hat ihn gemacht. Ein Video finden Sie auf unserer Internetseite unter
●» www.schwaebische.de/SuperRecogniser