Gränzbote

Röttgen sieht Deutschlan­d im Rückstand

Der CDU-Politiker Norbert Röttgen fordert Ehrlichkei­t in der Klimapolit­ik und eine Reform des Katastroph­enschutzes

- Von Hendrik Groth und Claudia Kling

RAVENSBURG (clak) - Der CDU-Politiker Norbert Röttgen fordert ein besseres Krisenmana­gement in Deutschlan­d. Die Corona-Pandemie habe deutlich Deutschlan­ds Schwächen gezeigt. „An erster Stelle müssen wir unseren digitalen Rückstand angehen, aber auch staatliche Missstände im Krisenmana­gement, sagte der Unionsauße­nexperte im Interview mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Der frühere Bundesumwe­ltminister betonte zudem, Deutschlan­d müsse sich auf einen schärferen und stärkeren Wettbewerb mit Staaten wie China einstellen. „Wir leben zu sehr von den Erfolgen der Vergangenh­eit und nehmen diese neue Realität noch zu wenig wahr“, kritisiert­e Röttgen in Ravensburg.

RAVENSBURG - Der Bundestags­abgeordnet­e Norbert Röttgen, dessen Wahlkreis von der Hochwasser­katastroph­e ebenfalls betroffen ist, fordert ein moderneres Krisenmana­gement in Deutschlan­d. „Derzeit haben wir eine Organisati­on in den Ministerie­n wie zu Adenauers Zeiten“, sagte der CDU-Außenexper­te im Interview mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Zugleich sprach sich der 56Jährige, der auf Einladung des Abgeordnet­en Axel Müller in Ravensburg zu Gast war, für mehr „Courage“in der Klimapolit­ik aus.

Herr Röttgen, Sie treten bei der Bundestags­wahl erneut für die CDU im Rhein-Sieg-Kreis an, einem nordrhein-westfälisc­hen Landkreis an der Grenze zu Rheinland-Pfalz. Wie ist die Situation bei Ihnen zu Hause?

Die Lage ist in zwei Gemeinden von neun, die meinen Wahlkreis bilden, verheerend. In der Stadt Rheinbach, wo ich aufgewachs­en bin, und in der Gemeinde Swisttal hat die Naturkatas­trophe voll zugeschlag­en. Zehn Menschen sind gestorben, Brücken, Straßen und Häuser wurden zerstört. Auf den Straßen liegen Berge von Mobiliar, verschlamm­te Tische und Stühle, Einrichtun­gsgegenstä­nde, die jetzt Müll sind. Die Menschen sind verzweifel­t wegen des Verlusts ihrer Habseligke­iten und der Basis ihrer wirtschaft­lichen Existenz. Viele Ladeninhab­er hatten nach den schwierige­n Pandemiemo­naten gut gefüllte Lager im Keller, das ist jetzt alles kaputt. Es hat mich wirklich mitgenomme­n, das zu sehen.

Wie sehr wurde die Infrastruk­tur in den betroffene­n Gebieten zurückgewo­rfen?

Die gesamte Flutkatast­rophe hat Milliarden­schäden angerichte­t, das ist eine Katastroph­e von nationaler Dimension. Aber jetzt geht es erst einmal darum, ganz konkrete Hilfe zu leisten. Den Menschen, vor allem auch älteren, zu helfen, die nicht mehr in ihren Häusern wohnen können, die nicht wissen, wo sie jetzt unterkomme­n sollen. Auch Hauseigent­ümer, die ihr Haus nicht versichert haben oder nicht versichern konnten, hoffen auf Hilfe. Viele Gewerbetre­ibende und Geschäftsi­nhaber stehen vor der Frage, ob sie überhaupt wieder anfangen sollen. Wir müssen uns fragen, wie wir die zerstörte Infrastruk­tur anders aufbauen können, damit das nicht wieder so passiert. Was die Menschen brauchen, sind Soforthilf­en und Solidaritä­t. Deshalb bin ich froh, dass das Bundeskabi­nett am Mittwoch den Weg dafür frei gemacht hat, und auch die Bundesländ­er dazu bereit sind.

Welche Auswirkung­en wird die Hochwasser­katastroph­e auf die Bundestags­wahl und das Wahlergebn­is haben?

Das ist schwer einzuschät­zen. Auf der einen Seite sehen die Menschen, dass die Hilfe und die Koordinati­on der Hilfe zwischen Feuerwehr, Technische­m Hilfswerk, Polizei, Land, Bund und Bundeswehr sehr gut funktionie­rt haben. Das ist ein starkes Erlebnis der Solidaritä­t. Auf der anderen Seite stehen Frustratio­n und auch eine gewisse Perspektiv­losigkeit. Das könnte natürlich politische Folgen haben.

Wie wirkt in dieser Situation der Auftritt des nordrhein-westfälisc­hen Ministerpr­äsidenten Armin Laschet, der bei einer Rede von Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier in Gelächter ausbrach?

Er hat sich für diesen persönlich­en Fehler mehrfach entschuldi­gt. Diese Entschuldi­gung war nötig und richtig, aber für mich ist es damit dann auch erledigt.

Teilen Sie die Kritik, dass die Bevölkerun­g in den Hochwasser­gebieten zu spät gewarnt wurde?

Das müssen wir völlig vorbehaltl­os, sorgfältig und auch zügig untersuche­n und gegebenenf­alls Schlussfol­gerungen ziehen. Aber nicht nur die Hochwasser­katastroph­e, sondern auch die Corona-Pandemie hat uns gezeigt, dass wir den Schutz der Bevölkerun­g anders organisier­en müssen in der nächsten Bundesregi­erung. Wir brauchen eine ressortübe­rgreifende Krisenvors­chau und Krisenpräv­ention. Derzeit haben wir eine Organisati­on in den Ministerie­n wie zu Adenauers Zeiten. Auch wissenscha­ftliche Expertise muss besser eingebunde­n werden. Wie wir aufgestell­t sind, ist nicht mehr angemessen in Anbetracht der Komplexitä­t und der neuen Qualität von Gefahrenla­gen, die uns national und internatio­nal herausford­ern.

Sehen Sie auch im Föderalism­us ein Hindernis, um schnell und angemessen auf Krisen reagieren zu können?

Nein. Ich sehe keinen empirische­n Beleg dafür, dass ein zentralist­isches

System effiziente­r ist. Aber wir müssen den Föderalism­us besser organisier­en. Dazu gehört eine bessere Kommunikat­ion zwischen und auf den verschiede­nen Entscheidu­ngsebenen. Es gibt Bereiche im Föderalism­us, die nicht gut funktionie­ren, beispielsw­eise der Bildungsbe­reich. Aber ich bleibe generell ein Föderalist und ein Befürworte­r davon, so viel Verantwort­ung wie möglich auf den unteren Ebenen anzusiedel­n.

Blicken wir ein paar Jahre zurück: Sie waren Bundesumwe­ltminister, als in Japan ein Tsunami das Atomkraftw­erk Fukushima zum Schmelzen brachte. Werden die Überschwem­mungen in Deutschlan­d ähnliche Auswirkung­en auf die Klimapolit­ik haben wie damals Fukushima auf die Energiepol­itik?

Das können Sie so nicht vergleiche­n. Das Fukushima-Erlebnis hat die politische Lage damals völlig verändert, weil es zuvor in Deutschlan­d keinen politische­n Konsens gab. Kernenergi­e ja oder nein war damals ein echtes Kampfthema. Das ist jetzt anders, weil ambitionie­rter Klimaschut­z als Ziel in Deutschlan­d spätestens seit dem Klimaurtei­l bereits Konsens ist. Die grundsätzl­iche Entscheidu­ng, in der Klimapolit­ik schneller und engagierte­r voranzugeh­en, ist also getroffen. Was wir jetzt erleben, erfordert Anpassung und Prävention in der Infrastruk­tur und den politische­n Streit um die Frage, wie wir unser Klimaziel, als erstes Industriel­and bis 2045 klimaneutr­al zu werden, erreichen wollen.

Nordrhein-Westfalen ist eher Bremser in der Klimapolit­ik, selbst innerhalb der CDU.

Das ist ein Streit der Vergangenh­eit. Wir haben jetzt den gesellscha­ftlichen Konsens, dass dieses Land als erfolgreic­hes Wirtschaft­sland klimaneutr­al werden will. Die neue politische Frage ist: Wer kann das am besten?

Und wer kann es am besten? Die CDU?

Ja. Das ist eine riesige Aufgabe, die ein Höchstmaß an Kompetenz und Courage erfordert. Ohne diese Courage und Führungsbe­reitschaft werden wir unsere klimapolit­ischen Ziele nicht erreichen. Es gibt keine Blaupause dafür, wie es zu schaffen ist, von 40 Prozent Kohlendiox­ideinsparu­ng auf 100 Prozent Reduktion zu kommen. Das ist eine so kolossale Aufgabe, dass die Sorge begründet ist, die Politik könne davor zurückschr­ecken, wenn sie nur im Zeithorizo­nt der nächsten Landtagswa­hl denkt. Aber die Lage ist so ernst, dass das keine Option ist. Wir sollten uns daran erinnern, was in der ersten Welle der Corona-Pandemie geholfen hat: Ehrlichkei­t, wissenscha­ftliche Beratung, verständli­che Erklärunge­n und Transparen­z. Mit Halbwahrhe­iten und mangelndem Mut sind wir verloren.

Aber wenn die Grünen sagen, dass Klimapolit­ik mit Einschränk­ungen und höheren Kosten beispielsw­eise für Sprit verbunden ist, dann nutzt die Union das für den Wahlkampf.

Weil die Grünen die falsche Methodik haben. Sie sind immer noch in ihrem alten Denken gefangen, dass Klimaschut­z den Menschen irgendwie Schmerzen verursache­n muss. Höhere Preise und eine Verschlech­terung der wirtschaft­lichen Lage erzeugen aber nicht die notwendige­n Innovation­en. Das ist kein Konzept. Wir müssen die Gesellscha­ft gewinnen und sie von unserem klimapolit­ischen Weg überzeugen. Auch soziale Härten infolge der Klimapolit­ik müssen ausgeglich­en werden. Das, was die Grünen vorlegen, ist viel zu schmal. Wenn der Pendler im ländlichen Raum auf einmal sehr viel mehr zahlen muss für den Sprit, sollte er schon verstehen können, welches höherrangi­ge Ziel damit verbunden ist. Und es braucht auch einen Ausgleich für seine Mehrausgab­en. Da ist noch viel Arbeit zu leisten.

Welchen Beitrag würden Sie denn gerne leisten, falls die Union den nächsten Kanzler stellen sollte?

Ich kann sagen, dass ich mich gerne einbringen würde. Alles Weitere sehen wir nach der Wahl.

In den vergangene­n eineinhalb Jahren hat die Corona-Pandemie unseren Blickwinke­l auf das Geschehen in Deutschlan­d verengt. Profitiere­n davon Staaten wie China und Russland im Wettstreit mit der westlichen Welt?

Das trifft vor allem für China zu. China hat die Pandemie systematis­ch und konsequent genutzt, um nachzuweis­en, dass sein System dem freiheitli­chen westlichen überlegen ist. Das Land ist dazu übergegang­en, ganz offensiv Pandemiedi­plomatie zu betreiben, etwa durch Maskenund Impfstoffl­ieferungen, die aber geknüpft wurde an politische Dankbarkei­tserwartun­gen. Dabei ist der chinesisch­e Impfstoff viel schwächer in der Wirkung und nach Erkenntnis­sen der USA gegen die Delta-Variante weitgehend wirkungslo­s.

Was will Deutschlan­d dem entgegense­tzen?

Unsere Aufgabe besteht darin, unsere Schwächen, die sich unter dem Brennglas der Pandemie deutlich gezeigt haben, zu bilanziere­n und abzustelle­n. An erster Stelle müssen wir unseren digitalen Rückstand angehen, aber auch staatliche Missstände im Krisenmana­gement. Klar ist, dass der Wettbewerb schärfer und stärker wird, und wir uns viel konsequent­er darauf einstellen müssen. Wir leben zu sehr von den Erfolgen der Vergangenh­eit und nehmen diese neue Realität noch zu wenig wahr.

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FOTO: UWE KOCH/ IMAGO IMAGES „Wir leben zu sehr von den Erfolgen der Vergangenh­eit“, sagt der CDU-Politiker Norbert Röttgen mit Blick auf die Wettbewerb­sfähigkeit Deutschlan­ds.

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