Röttgen sieht Deutschland im Rückstand
Der CDU-Politiker Norbert Röttgen fordert Ehrlichkeit in der Klimapolitik und eine Reform des Katastrophenschutzes
RAVENSBURG (clak) - Der CDU-Politiker Norbert Röttgen fordert ein besseres Krisenmanagement in Deutschland. Die Corona-Pandemie habe deutlich Deutschlands Schwächen gezeigt. „An erster Stelle müssen wir unseren digitalen Rückstand angehen, aber auch staatliche Missstände im Krisenmanagement, sagte der Unionsaußenexperte im Interview mit der „Schwäbischen Zeitung“. Der frühere Bundesumweltminister betonte zudem, Deutschland müsse sich auf einen schärferen und stärkeren Wettbewerb mit Staaten wie China einstellen. „Wir leben zu sehr von den Erfolgen der Vergangenheit und nehmen diese neue Realität noch zu wenig wahr“, kritisierte Röttgen in Ravensburg.
RAVENSBURG - Der Bundestagsabgeordnete Norbert Röttgen, dessen Wahlkreis von der Hochwasserkatastrophe ebenfalls betroffen ist, fordert ein moderneres Krisenmanagement in Deutschland. „Derzeit haben wir eine Organisation in den Ministerien wie zu Adenauers Zeiten“, sagte der CDU-Außenexperte im Interview mit der „Schwäbischen Zeitung“. Zugleich sprach sich der 56Jährige, der auf Einladung des Abgeordneten Axel Müller in Ravensburg zu Gast war, für mehr „Courage“in der Klimapolitik aus.
Herr Röttgen, Sie treten bei der Bundestagswahl erneut für die CDU im Rhein-Sieg-Kreis an, einem nordrhein-westfälischen Landkreis an der Grenze zu Rheinland-Pfalz. Wie ist die Situation bei Ihnen zu Hause?
Die Lage ist in zwei Gemeinden von neun, die meinen Wahlkreis bilden, verheerend. In der Stadt Rheinbach, wo ich aufgewachsen bin, und in der Gemeinde Swisttal hat die Naturkatastrophe voll zugeschlagen. Zehn Menschen sind gestorben, Brücken, Straßen und Häuser wurden zerstört. Auf den Straßen liegen Berge von Mobiliar, verschlammte Tische und Stühle, Einrichtungsgegenstände, die jetzt Müll sind. Die Menschen sind verzweifelt wegen des Verlusts ihrer Habseligkeiten und der Basis ihrer wirtschaftlichen Existenz. Viele Ladeninhaber hatten nach den schwierigen Pandemiemonaten gut gefüllte Lager im Keller, das ist jetzt alles kaputt. Es hat mich wirklich mitgenommen, das zu sehen.
Wie sehr wurde die Infrastruktur in den betroffenen Gebieten zurückgeworfen?
Die gesamte Flutkatastrophe hat Milliardenschäden angerichtet, das ist eine Katastrophe von nationaler Dimension. Aber jetzt geht es erst einmal darum, ganz konkrete Hilfe zu leisten. Den Menschen, vor allem auch älteren, zu helfen, die nicht mehr in ihren Häusern wohnen können, die nicht wissen, wo sie jetzt unterkommen sollen. Auch Hauseigentümer, die ihr Haus nicht versichert haben oder nicht versichern konnten, hoffen auf Hilfe. Viele Gewerbetreibende und Geschäftsinhaber stehen vor der Frage, ob sie überhaupt wieder anfangen sollen. Wir müssen uns fragen, wie wir die zerstörte Infrastruktur anders aufbauen können, damit das nicht wieder so passiert. Was die Menschen brauchen, sind Soforthilfen und Solidarität. Deshalb bin ich froh, dass das Bundeskabinett am Mittwoch den Weg dafür frei gemacht hat, und auch die Bundesländer dazu bereit sind.
Welche Auswirkungen wird die Hochwasserkatastrophe auf die Bundestagswahl und das Wahlergebnis haben?
Das ist schwer einzuschätzen. Auf der einen Seite sehen die Menschen, dass die Hilfe und die Koordination der Hilfe zwischen Feuerwehr, Technischem Hilfswerk, Polizei, Land, Bund und Bundeswehr sehr gut funktioniert haben. Das ist ein starkes Erlebnis der Solidarität. Auf der anderen Seite stehen Frustration und auch eine gewisse Perspektivlosigkeit. Das könnte natürlich politische Folgen haben.
Wie wirkt in dieser Situation der Auftritt des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Armin Laschet, der bei einer Rede von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Gelächter ausbrach?
Er hat sich für diesen persönlichen Fehler mehrfach entschuldigt. Diese Entschuldigung war nötig und richtig, aber für mich ist es damit dann auch erledigt.
Teilen Sie die Kritik, dass die Bevölkerung in den Hochwassergebieten zu spät gewarnt wurde?
Das müssen wir völlig vorbehaltlos, sorgfältig und auch zügig untersuchen und gegebenenfalls Schlussfolgerungen ziehen. Aber nicht nur die Hochwasserkatastrophe, sondern auch die Corona-Pandemie hat uns gezeigt, dass wir den Schutz der Bevölkerung anders organisieren müssen in der nächsten Bundesregierung. Wir brauchen eine ressortübergreifende Krisenvorschau und Krisenprävention. Derzeit haben wir eine Organisation in den Ministerien wie zu Adenauers Zeiten. Auch wissenschaftliche Expertise muss besser eingebunden werden. Wie wir aufgestellt sind, ist nicht mehr angemessen in Anbetracht der Komplexität und der neuen Qualität von Gefahrenlagen, die uns national und international herausfordern.
Sehen Sie auch im Föderalismus ein Hindernis, um schnell und angemessen auf Krisen reagieren zu können?
Nein. Ich sehe keinen empirischen Beleg dafür, dass ein zentralistisches
System effizienter ist. Aber wir müssen den Föderalismus besser organisieren. Dazu gehört eine bessere Kommunikation zwischen und auf den verschiedenen Entscheidungsebenen. Es gibt Bereiche im Föderalismus, die nicht gut funktionieren, beispielsweise der Bildungsbereich. Aber ich bleibe generell ein Föderalist und ein Befürworter davon, so viel Verantwortung wie möglich auf den unteren Ebenen anzusiedeln.
Blicken wir ein paar Jahre zurück: Sie waren Bundesumweltminister, als in Japan ein Tsunami das Atomkraftwerk Fukushima zum Schmelzen brachte. Werden die Überschwemmungen in Deutschland ähnliche Auswirkungen auf die Klimapolitik haben wie damals Fukushima auf die Energiepolitik?
Das können Sie so nicht vergleichen. Das Fukushima-Erlebnis hat die politische Lage damals völlig verändert, weil es zuvor in Deutschland keinen politischen Konsens gab. Kernenergie ja oder nein war damals ein echtes Kampfthema. Das ist jetzt anders, weil ambitionierter Klimaschutz als Ziel in Deutschland spätestens seit dem Klimaurteil bereits Konsens ist. Die grundsätzliche Entscheidung, in der Klimapolitik schneller und engagierter voranzugehen, ist also getroffen. Was wir jetzt erleben, erfordert Anpassung und Prävention in der Infrastruktur und den politischen Streit um die Frage, wie wir unser Klimaziel, als erstes Industrieland bis 2045 klimaneutral zu werden, erreichen wollen.
Nordrhein-Westfalen ist eher Bremser in der Klimapolitik, selbst innerhalb der CDU.
Das ist ein Streit der Vergangenheit. Wir haben jetzt den gesellschaftlichen Konsens, dass dieses Land als erfolgreiches Wirtschaftsland klimaneutral werden will. Die neue politische Frage ist: Wer kann das am besten?
Und wer kann es am besten? Die CDU?
Ja. Das ist eine riesige Aufgabe, die ein Höchstmaß an Kompetenz und Courage erfordert. Ohne diese Courage und Führungsbereitschaft werden wir unsere klimapolitischen Ziele nicht erreichen. Es gibt keine Blaupause dafür, wie es zu schaffen ist, von 40 Prozent Kohlendioxideinsparung auf 100 Prozent Reduktion zu kommen. Das ist eine so kolossale Aufgabe, dass die Sorge begründet ist, die Politik könne davor zurückschrecken, wenn sie nur im Zeithorizont der nächsten Landtagswahl denkt. Aber die Lage ist so ernst, dass das keine Option ist. Wir sollten uns daran erinnern, was in der ersten Welle der Corona-Pandemie geholfen hat: Ehrlichkeit, wissenschaftliche Beratung, verständliche Erklärungen und Transparenz. Mit Halbwahrheiten und mangelndem Mut sind wir verloren.
Aber wenn die Grünen sagen, dass Klimapolitik mit Einschränkungen und höheren Kosten beispielsweise für Sprit verbunden ist, dann nutzt die Union das für den Wahlkampf.
Weil die Grünen die falsche Methodik haben. Sie sind immer noch in ihrem alten Denken gefangen, dass Klimaschutz den Menschen irgendwie Schmerzen verursachen muss. Höhere Preise und eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage erzeugen aber nicht die notwendigen Innovationen. Das ist kein Konzept. Wir müssen die Gesellschaft gewinnen und sie von unserem klimapolitischen Weg überzeugen. Auch soziale Härten infolge der Klimapolitik müssen ausgeglichen werden. Das, was die Grünen vorlegen, ist viel zu schmal. Wenn der Pendler im ländlichen Raum auf einmal sehr viel mehr zahlen muss für den Sprit, sollte er schon verstehen können, welches höherrangige Ziel damit verbunden ist. Und es braucht auch einen Ausgleich für seine Mehrausgaben. Da ist noch viel Arbeit zu leisten.
Welchen Beitrag würden Sie denn gerne leisten, falls die Union den nächsten Kanzler stellen sollte?
Ich kann sagen, dass ich mich gerne einbringen würde. Alles Weitere sehen wir nach der Wahl.
In den vergangenen eineinhalb Jahren hat die Corona-Pandemie unseren Blickwinkel auf das Geschehen in Deutschland verengt. Profitieren davon Staaten wie China und Russland im Wettstreit mit der westlichen Welt?
Das trifft vor allem für China zu. China hat die Pandemie systematisch und konsequent genutzt, um nachzuweisen, dass sein System dem freiheitlichen westlichen überlegen ist. Das Land ist dazu übergegangen, ganz offensiv Pandemiediplomatie zu betreiben, etwa durch Maskenund Impfstofflieferungen, die aber geknüpft wurde an politische Dankbarkeitserwartungen. Dabei ist der chinesische Impfstoff viel schwächer in der Wirkung und nach Erkenntnissen der USA gegen die Delta-Variante weitgehend wirkungslos.
Was will Deutschland dem entgegensetzen?
Unsere Aufgabe besteht darin, unsere Schwächen, die sich unter dem Brennglas der Pandemie deutlich gezeigt haben, zu bilanzieren und abzustellen. An erster Stelle müssen wir unseren digitalen Rückstand angehen, aber auch staatliche Missstände im Krisenmanagement. Klar ist, dass der Wettbewerb schärfer und stärker wird, und wir uns viel konsequenter darauf einstellen müssen. Wir leben zu sehr von den Erfolgen der Vergangenheit und nehmen diese neue Realität noch zu wenig wahr.