Gränzbote

Ein Jahr Bienenrett­ung

Naturschüt­zer und Landwirte stehen trotz mancher Kritik zu gefundenem Kompromiss

- Von Kara Ballarin

Genau vor einem Jahr hat der Stuttgarte­r Landtag einen Kompromiss zum Volksbegeh­ren „Rettet die Bienen“verabschie­det: das Biodiversi­tätsstärku­ngsgesetz. Die darin verankerte­n Ziele sind ambitionie­rt – so sollen etwa deutlich weniger Pestizide auf den Feldern landen und der Öko-Anteil in der Landwirtsc­haft steigen. Was seitdem passiert ist und ob Landwirte, Naturschut­z verbände und die Politik auch heute noch zum Kompromiss stehen.

STUTTGART - Das Volksbegeh­ren „Rettet die Bienen“hatte 2019 BadenWürtt­emberg gespalten: Naturschüt­zer verfolgten damit Ziele, die zum Teil selbst in den eigenen Reihen als realitätsf­ern galten. Landwirte auf der anderen Seite fühlten sich beim Artenschut­z zu Unrecht an den Pranger gestellt. Unter diesem Druck hat die grün-schwarze Landesregi­erung einen Kompromiss­vorschlag erarbeitet, gemeinsam mit den widerstrei­tenden Gruppen. Der Stuttgarte­r Landtag hat das Biodiversi­tätsstärku­ngsgesetz, das daraus hervorging, an diesem Donnerstag vor einem Jahr verabschie­det. Was hat sich seitdem getan? Eine erste Bilanz:

Gesetz statt Volksbegeh­ren

Die Initiatore­n des Volksbegeh­rens stehen dazu, die Unterschri­ftensammlu­ng für das Volksbegeh­ren gestoppt zu haben. „Wir haben so eine stärkere Polarisier­ung verhindert“, sagt etwa Tobias Miltenberg­er, Geschäftsf­ührer von proBiene und Initiator des Volksbegeh­rens. „Wir haben ein europaweit einzigarti­ges Artenschut­zgesetz bewirkt, das schon Nachahmer findet.“Dass der Druck von der Straße auf die Politik wichtig gewesen sei, betonen alle Unterstütz­er. „Das Volksbegeh­ren war notwendig um die Akteure überhaupt an einen Tisch zu bekommen und ernsthaft Lösungen zu suchen“, sagt etwa Nabu-Landeschef Johannes Enssle.

Weniger Pestizide

In Naturschut­zgebieten, wo auch Ackerbau betrieben wird, gilt ab 2022 ein Pestizidve­rbot. Hier sehen Landwirte große Probleme. Der Badische Landwirtsc­haftliche Hauptverba­nd (BLHV) etwa pocht auf versproche­ne Ausnahmen. Die aktuelle Wetterlage zeige: „Wo im Weinbau keine Pflanzensc­hutzmittel eingesetzt werden, drohen infolge von Mehltauinf­ektionen Totalausfä­lle“, erklärt ein Sprecher. Auch Elisabeth Roth, Umweltrefe­rentin des Landesbaue­rnverbands (LBV), pocht darauf, dass die Behörden vor Ort Ausnahmen gewähren, „die den Obst-, Wein- und Ackerbauer­n Perpektive­n bieten“.

Bis 2030 sollen landesweit 40 bis 50 Prozent weniger chemisch-synthetisc­he Pflanzensc­hutzmittel auf den Äckern und Feldern landen. Auf welchem Basiswert die Reduktion beruht, soll im Herbst feststehen, erklärt ein Sprecher von Agrarminis­ter Peter Hauk (CDU). Die Daten hierfür stammten aus Statistike­n sowie aus einem „Zusammensp­iel von Verkaufsda­ten und repräsenta­tiven Erhebungen einzelner Betriebe“, wie das Umweltmini­sterium erklärt. Ein Netzwerk an Betrieben, die konkrete Daten liefern, sei noch im Aufbau, so Hauks Sprecher. Um wetterbedi­ngte Schwankung­en beim Pestizidei­nsatz auszugleic­hen, soll ein Durchschni­ttswert der Jahre 2016 bis 2020 die Basis bilden. Die Ziele sollen 2023 und 2027 überprüft werden.

Mehr Ökolandbau

Der Anteil der ökologisch bewirtscha­fteten Flächen steigt seit Jahren und soll bis 2030 auf 30 bis 40 Prozent wachsen. Aktuell liegt er laut Agrarminis­terium bei 13,7 Prozent. Dass das Statistisc­he Landesamt nur von zwölf Prozent spricht, liege an der geringeren Datenlage der Behörde, so ein Sprecher Hauks. Das Gesetz ist insgesamt mit 60 Millionen Euro für zwei

Jahre unterfütte­rt – über zwei Drittel davon verfügt das Agrarminis­terium. Ein beträchtli­cher Anteil fließe in den Ausbau des Öko-Landbaus.

Biotopverb­und

Der größte Batzen der 20 Millionen, die das Umweltmini­sterium verantwort­et, fließe in den Ausbau eines Biotopverb­unds, so ein Sprecher von Ministerin Thekla Walker (Grüne). Auf 15 Prozent der Landesfläc­he sollen bis 2030 Lebensräum­e von Tieren und Pflanzen verbunden werden – beim Offenland liege der Wert aktuell bei knapp neun Prozent, so Walkers Sprecher. Für den Ausbau seien landesweit 35 Biotopverb­undsbotsch­after für fünf Jahre angestellt und die Förderung des Landes für Planung und Umsetzung vor Ort aufgestock­t worden. Der Nabu fordert, diese Stellen zu entfristen. Der BUND pocht auf konkrete Verpflicht­ungen für einzelne Kommunen. „Uns erreichen immer wieder Meldungen, dass Kommunen neue Baugebiete auf Flächen ausweisen, die essenziell für die Erfüllung des Biotopverb­unds wären“, so eine Sprecherin. Beim Ausbau des Biotopverb­unds seien kooperativ­e Lösungen zwischen Naturschut­z und Landwirtsc­haft vor Ort entscheide­nd, betonen die Bauernverb­ände – schließlic­h ließen sich Flächen nicht vermehren. Gleiches gelte für Refugialfl­ächen, also Rückzugsrä­ume für Tiere, die zehn Prozent der Landwirtsc­haftsfläch­en umfassen sollen.

Sorge und Kritik

„Bei unseren Gruppen im Land staut sich gegenüber den Kommunen ein ziemlicher Unmut auf“, erklärt NabuLandes­chef Enssle. Beim Schutz von Streuobstw­iesen müsse etwa nachgeschä­rft werden, fordert er. „Es bestätigt leider die traurige Erfahrung, dass von kommunaler Seite immer alles ausgereizt wird, was geht, wenn man ihr gesetzlich­en Ermessenss­pielraum gibt.“Wie der Nabu kritisiert auch der BUND, dass viel zu viele Schlösser und Burgen ihre Fassaden dank Ausnahmege­nehmigung beleuchtet­en – mit „tödlichen Folgen“für Insekten. Auch würde das Verbot von Schottergä­rten nicht vollzogen, kritisiert Enssle. Bis zuletzt hatten Umwelt- und Wohnbaumin­isterium darüber gestritten, ob das Verbot nur für neue oder auch für bestehende Gärten gelte. Umweltmini­sterin Walker sagt nun, dass sie darauf hofft, dass alte Schottergä­rten auf freiwillig­er Basis weichen. Der BLHV sieht viele weitere Baustellen – etwa bei Klimaschut­z und Tierwohl. „Es ist nicht erkennbar, dass all diese Dinge praktikabe­l und finanziell verträglic­h gestemmt werden können“, vor allem, wenn für Importe weniger strikte Kriterien gelten, so ein Sprecher.

Bekenntnis zum Gesetz

Nach wie vor stehen alle Beteiligte­n nach eigener Aussage zum Biodiversi­tätsstärku­ngsgesetz. „Natürlich gibt es Dinge, bei denen man sich noch mehr wünscht“, sagt Nabu-Landeschef Enssle. „Aber jetzt kommt es erstmal auf die Umsetzung an.“Das betont auch Tobias Miltenberg­er von proBiene: „Unsere größte Sorge ist, dass die richtigen Ziele nun nicht mit den richtigen Finanzmitt­eln unterlegt werden.“Am Natur- und Artenschut­z dürfe nicht gespart werden, sagt er und fordert Zwischenst­ände dazu, wie weit welche Ziele bereits erreicht sind. „Wir brauchen eine Art Arten schutz barometer .“

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FOTO: CARSTEN REHDER/DPA Genau vor einem Jahr hat der Stuttgarte­r Landtag Regelungen für mehr Artenschut­z beschlosse­n.

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