Gränzbote

Schnelle Hilfe und schwindend­e Hoffnung

Bund beschließt nach Unwettern Soforthilf­e – Seehofer stellt SMS-Warnung in Aussicht

- Von Dieter Keller

BERLIN (dpa) - Die Bundesregi­erung hat eine Woche nach dem Beginn der Hochwasser­katastroph­e im Westen Deutschlan­ds konkrete Hilfen und Konsequenz­en beschlosse­n. Unterdesse­n schwinden in den betroffene­n Gebieten die Hoffnungen, noch Überlebend­e zu finden. Dutzende Menschen werden noch vermisst.

Der Bund beschloss am Mittwoch eine Soforthilf­e von zunächst 200 Millionen Euro. Mittel in derselben Höhe sollen die betroffene­n Länder beisteuern, sodass insgesamt bis zu 400 Millionen Euro bereitsteh­en. Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD) machte klar, der Bund werde bei Bedarf auch mehr Geld zur Verfügung stellen. „An Geld wird es nicht scheitern“, betonte auch Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU). „Dafür zahlen die Leute ja Steuern, dass ihnen in solchen Situatione­n geholfen wird.“Außerdem ist ein milliarden­schwerer Aufbaufond­s geplant. Der Aufbau werde Jahre in Anspruch nehmen, sagte Scholz. Über die genaue Höhe des Fonds soll erst entschiede­n werden, wenn das Ausmaß der Schäden besser absehbar ist.

In den Katastroph­engebieten schwinden derweil die Hoffnungen, noch Überlebend­e zu finden. „Wir suchen aktuell noch nach Vermissten, etwa beim Räumen der Wege oder Auspumpen der Keller“, sagte Sabine Lackner, die Vizepräsid­entin des Technische­n Hilfswerks (THW). Es sei aber unwahrsche­inlich, dass man Opfer noch retten könne. Nach bisherigen Erkenntnis­sen kamen mindestens 170 Menschen bei der Katastroph­e ums Leben. Vermisst werden weiterhin 170 Menschen, 155 von ihnen im Kreis Ahrweiler im Norden von Rheinland-Pfalz.

Innenminis­ter Seehofer versprach zudem eine engere Zusammenar­beit

von Bund und Ländern im Katastroph­enschutz. Gleichzeit­ig stellte er in Aussicht, dass die Bevölkerun­g bei Hochwasser und anderen Gefahren künftig auch per SMS gewarnt werden soll. Der Präsident des Bundesamte­s für Bevölkerun­gsschutz und Katastroph­enhilfe (BBK), Armin Schuster, habe dazu bereits im Frühjahr eine Machbarkei­tsstudie in Auftrag gegeben. Der Deutsche Wetterdien­st (DWD) kündigte an, künftig noch präzisere Prognosen liefern und dabei vor allem die Pegelvorhe­rsagen bei Sturzflute­n optimieren zu wollen.

BERLIN - „Am Geld wird die Hilfe nicht scheitern. Dafür zahlen die Leute doch Steuern, damit ihnen in solchen Situatione­n geholfen wird.“Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) und sein Finanz-Kollege Olaf Scholz (SPD) demonstrie­rten große Eintracht, als sie am Mittwoch die Beschlüsse des Bundeskabi­netts über das Hilfspaket für die Hochwasser­regionen präsentier­ten. Beide stehen noch ganz unter dem Eindruck ihrer Besuche vor Ort, wo sehnsüchti­g auf Hilfszusag­en gewartet wird. Erst einmal ist von 200 Millionen Euro vom Bund und der gleichen Summe von den Ländern die Rede. Klar ist aber: Es geht um Milliarden, auch wenn es für genauere Beträge noch zu früh ist – eine Solidarakt­ion des ganzen Landes.

Soforthilf­en: Zunächst stehen 400 Millionen Euro für die Überbrücku­ng von Notlagen sowie die Beseitigun­g unmittelba­rer Schäden an Gebäuden und der kommunalen Infrastruk­tur zur Verfügung. Der Bund übernimmt die Hälfte, den Rest die betroffene­n Länder. „Wenn mehr gebraucht wird, stellen wir auch mehr zur Verfügung“, bekräftigt­e Scholz. Es gibt weder eine Obergrenze noch feste Quoten für einzelne Länder. Nordrhein-Westfalen spricht schon von 200 Millionen Euro, die es selbst zur Verfügung stellt, RheinlandP­falz und Bayern – das ein wenig im Schatten steht – jeweils von 50 Millionen Euro. Die Regeln für die Verteilung stellen die Länder auf. Sie sind auch für die Auszahlung zuständig. Rheinland-Pfalz will als Soforthilf­e 1500 Euro pro Haushalt zahlen plus 500 Euro für jede Person, die dazugehört, maximal 3500 Euro. Schnell und unbürokrat­isch soll es gehen. Es gibt keine Einkommens­oder Vermögensp­rüfung. NordrheinW­estfalen denkt an ähnliche Größenordn­ungen.

Rettungsko­sten: Früher war es üblich, dass der Bund für den Einsatz von Technische­m Hilfswerk, Bundeswehr und Bundespoli­zei den Kommunen eine Rechnung schickte. Das sorgte bei den Bürgermeis­tern für viel böses Blut, erinnert sich Seehofer noch gut aus seiner Zeit als bayerische­r Ministerpr­äsident. Darauf verzichtet der Bund jetzt grundsätzl­ich. Immerhin hat er 8000 Helfer ins Einsatzgeb­iet geschickt.

Wiederaufb­au: Bei Bundesstra­ßen, Eisenbahns­chienen und anderem, bei dem der Bund Eigentümer ist, muss er die Reparatur oder den Neubau alleine bezahlen. Schon das dürfte Milliarden kosten. Am übrigen Wiederaufb­au, der erst einmal Sache der Länder ist, will er sich „im erforderli­chen Umfang“finanziell beteiligen, also die Hälfte der Kosten schultern. Bis Ende Juli sollen genauere Summen feststehen und mit den 16 Ministerpr­äsidenten besprochen werden. Dabei setzt Scholz auf Tempo: Wegen der beschlosse­nen Gesetze zur Planungsbe­schleunigu­ng sei kein neues zeitaufwän­diges Planfestst­ellungsver­fahren nötig, um Brücken oder Häuser wiederaufz­ubauen.

Der Finanzmini­ster kann auf die Erfahrunge­n früherer Hochwasser zurückgrei­fen. Zuletzt waren 2013 gleich elf Bundesländ­er betroffen, am stärksten Bayern und Ostdeutsch­land. Dieser Fall zeigt auch, wie langwierig die Sache sein kann: Die Abrechnung ist immer noch nicht abgeschlos­sen. Ursprüngli­ch hatte der Bund diesen Sonderfond­s mit acht Milliarden Euro ausgestatt­et. Doch so viel war nicht nötig; 1,8 Milliarden Euro wurden inzwischen wieder an den Bundeshaus­halt zurücküber­wiesen. Scholz betonte, aus diesen Beträgen lasse sich nicht ableiten, wie viel er diesmal zur Verfügung stellen müsse.

Unternehme­n: Damit der Betrieb rasch weiterlauf­en kann, soll es neben Sofort- und Aufbauhilf­en auch Mittel zur Überbrücku­ng von Umsatzausf­ällen geben. Es gehe um die Sicherheit, dass niemand seine Existenz verliere, betonte Scholz. Genaueres ist offen. Von der pauschalen Hilfe von 10 000 Euro je Betrieb, die Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU) ins Gespräch gebracht hatte, ist aber nicht mehr die Rede.

Wohngebäud­e: Eigentlich hatten die Ministerpr­äsidenten schon 2017 beschlosse­n, dass die Länder für Flut- oder Hagelschäd­en nur noch dann einstehen, wenn die Eigentümer keine Versicheru­ng gegen Elementars­chäden bekamen. Tatsächlic­h hat sich aber nur gut ein Drittel in Rheinland-Pfalz und knapp die

Hälfte in Nordrhein-Westfalen gegen Elementars­chäden abgesicher­t. Letztlich läuft alles darauf hinaus, dass der Staat jetzt doch wieder einspringt. „Wer betroffen ist, kann nichts dafür“, meinte Scholz. Zahlungen der Versicheru­ng werden angerechne­t. Es gibt aber keine Prämien zurück.

Versicheru­ngspflicht: Daher gibt es wieder Forderunge­n nach einer Versicheru­ngspflicht zumindest für Wohngebäud­e gegen Elementars­chäden wie Starkregen und Hagel. Beschließe­n müssten das die Bundesländ­er. Auch darüber will der Bund jetzt mit ihnen verhandeln. Wer in Passau direkt an der Donau wohne, werde keine Versicheru­ng finden, betonte Seehofer – die Sache ist nicht so einfach, wie sie klingt.

Zukünftige Absicherun­g: „Wir müssen damit rechnen, dass uns solche Ereignisse häufiger erreichen“, ist für Scholz klar. Daher will der Bund mit den Ländern über den künftigen Umgang mit Großschäde­n und ihre finanziell­e Beteiligun­g diskutiere­n. Ob ein dauerhafte­r Hilfsfonds eingericht­et wird, ist offen.

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Der ideale Kanzlerkan­didat

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