Schnelle Hilfe und schwindende Hoffnung
Bund beschließt nach Unwettern Soforthilfe – Seehofer stellt SMS-Warnung in Aussicht
BERLIN (dpa) - Die Bundesregierung hat eine Woche nach dem Beginn der Hochwasserkatastrophe im Westen Deutschlands konkrete Hilfen und Konsequenzen beschlossen. Unterdessen schwinden in den betroffenen Gebieten die Hoffnungen, noch Überlebende zu finden. Dutzende Menschen werden noch vermisst.
Der Bund beschloss am Mittwoch eine Soforthilfe von zunächst 200 Millionen Euro. Mittel in derselben Höhe sollen die betroffenen Länder beisteuern, sodass insgesamt bis zu 400 Millionen Euro bereitstehen. Finanzminister Olaf Scholz (SPD) machte klar, der Bund werde bei Bedarf auch mehr Geld zur Verfügung stellen. „An Geld wird es nicht scheitern“, betonte auch Innenminister Horst Seehofer (CSU). „Dafür zahlen die Leute ja Steuern, dass ihnen in solchen Situationen geholfen wird.“Außerdem ist ein milliardenschwerer Aufbaufonds geplant. Der Aufbau werde Jahre in Anspruch nehmen, sagte Scholz. Über die genaue Höhe des Fonds soll erst entschieden werden, wenn das Ausmaß der Schäden besser absehbar ist.
In den Katastrophengebieten schwinden derweil die Hoffnungen, noch Überlebende zu finden. „Wir suchen aktuell noch nach Vermissten, etwa beim Räumen der Wege oder Auspumpen der Keller“, sagte Sabine Lackner, die Vizepräsidentin des Technischen Hilfswerks (THW). Es sei aber unwahrscheinlich, dass man Opfer noch retten könne. Nach bisherigen Erkenntnissen kamen mindestens 170 Menschen bei der Katastrophe ums Leben. Vermisst werden weiterhin 170 Menschen, 155 von ihnen im Kreis Ahrweiler im Norden von Rheinland-Pfalz.
Innenminister Seehofer versprach zudem eine engere Zusammenarbeit
von Bund und Ländern im Katastrophenschutz. Gleichzeitig stellte er in Aussicht, dass die Bevölkerung bei Hochwasser und anderen Gefahren künftig auch per SMS gewarnt werden soll. Der Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), Armin Schuster, habe dazu bereits im Frühjahr eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben. Der Deutsche Wetterdienst (DWD) kündigte an, künftig noch präzisere Prognosen liefern und dabei vor allem die Pegelvorhersagen bei Sturzfluten optimieren zu wollen.
BERLIN - „Am Geld wird die Hilfe nicht scheitern. Dafür zahlen die Leute doch Steuern, damit ihnen in solchen Situationen geholfen wird.“Innenminister Horst Seehofer (CSU) und sein Finanz-Kollege Olaf Scholz (SPD) demonstrierten große Eintracht, als sie am Mittwoch die Beschlüsse des Bundeskabinetts über das Hilfspaket für die Hochwasserregionen präsentierten. Beide stehen noch ganz unter dem Eindruck ihrer Besuche vor Ort, wo sehnsüchtig auf Hilfszusagen gewartet wird. Erst einmal ist von 200 Millionen Euro vom Bund und der gleichen Summe von den Ländern die Rede. Klar ist aber: Es geht um Milliarden, auch wenn es für genauere Beträge noch zu früh ist – eine Solidaraktion des ganzen Landes.
Soforthilfen: Zunächst stehen 400 Millionen Euro für die Überbrückung von Notlagen sowie die Beseitigung unmittelbarer Schäden an Gebäuden und der kommunalen Infrastruktur zur Verfügung. Der Bund übernimmt die Hälfte, den Rest die betroffenen Länder. „Wenn mehr gebraucht wird, stellen wir auch mehr zur Verfügung“, bekräftigte Scholz. Es gibt weder eine Obergrenze noch feste Quoten für einzelne Länder. Nordrhein-Westfalen spricht schon von 200 Millionen Euro, die es selbst zur Verfügung stellt, RheinlandPfalz und Bayern – das ein wenig im Schatten steht – jeweils von 50 Millionen Euro. Die Regeln für die Verteilung stellen die Länder auf. Sie sind auch für die Auszahlung zuständig. Rheinland-Pfalz will als Soforthilfe 1500 Euro pro Haushalt zahlen plus 500 Euro für jede Person, die dazugehört, maximal 3500 Euro. Schnell und unbürokratisch soll es gehen. Es gibt keine Einkommensoder Vermögensprüfung. NordrheinWestfalen denkt an ähnliche Größenordnungen.
Rettungskosten: Früher war es üblich, dass der Bund für den Einsatz von Technischem Hilfswerk, Bundeswehr und Bundespolizei den Kommunen eine Rechnung schickte. Das sorgte bei den Bürgermeistern für viel böses Blut, erinnert sich Seehofer noch gut aus seiner Zeit als bayerischer Ministerpräsident. Darauf verzichtet der Bund jetzt grundsätzlich. Immerhin hat er 8000 Helfer ins Einsatzgebiet geschickt.
Wiederaufbau: Bei Bundesstraßen, Eisenbahnschienen und anderem, bei dem der Bund Eigentümer ist, muss er die Reparatur oder den Neubau alleine bezahlen. Schon das dürfte Milliarden kosten. Am übrigen Wiederaufbau, der erst einmal Sache der Länder ist, will er sich „im erforderlichen Umfang“finanziell beteiligen, also die Hälfte der Kosten schultern. Bis Ende Juli sollen genauere Summen feststehen und mit den 16 Ministerpräsidenten besprochen werden. Dabei setzt Scholz auf Tempo: Wegen der beschlossenen Gesetze zur Planungsbeschleunigung sei kein neues zeitaufwändiges Planfeststellungsverfahren nötig, um Brücken oder Häuser wiederaufzubauen.
Der Finanzminister kann auf die Erfahrungen früherer Hochwasser zurückgreifen. Zuletzt waren 2013 gleich elf Bundesländer betroffen, am stärksten Bayern und Ostdeutschland. Dieser Fall zeigt auch, wie langwierig die Sache sein kann: Die Abrechnung ist immer noch nicht abgeschlossen. Ursprünglich hatte der Bund diesen Sonderfonds mit acht Milliarden Euro ausgestattet. Doch so viel war nicht nötig; 1,8 Milliarden Euro wurden inzwischen wieder an den Bundeshaushalt zurücküberwiesen. Scholz betonte, aus diesen Beträgen lasse sich nicht ableiten, wie viel er diesmal zur Verfügung stellen müsse.
Unternehmen: Damit der Betrieb rasch weiterlaufen kann, soll es neben Sofort- und Aufbauhilfen auch Mittel zur Überbrückung von Umsatzausfällen geben. Es gehe um die Sicherheit, dass niemand seine Existenz verliere, betonte Scholz. Genaueres ist offen. Von der pauschalen Hilfe von 10 000 Euro je Betrieb, die Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) ins Gespräch gebracht hatte, ist aber nicht mehr die Rede.
Wohngebäude: Eigentlich hatten die Ministerpräsidenten schon 2017 beschlossen, dass die Länder für Flut- oder Hagelschäden nur noch dann einstehen, wenn die Eigentümer keine Versicherung gegen Elementarschäden bekamen. Tatsächlich hat sich aber nur gut ein Drittel in Rheinland-Pfalz und knapp die
Hälfte in Nordrhein-Westfalen gegen Elementarschäden abgesichert. Letztlich läuft alles darauf hinaus, dass der Staat jetzt doch wieder einspringt. „Wer betroffen ist, kann nichts dafür“, meinte Scholz. Zahlungen der Versicherung werden angerechnet. Es gibt aber keine Prämien zurück.
Versicherungspflicht: Daher gibt es wieder Forderungen nach einer Versicherungspflicht zumindest für Wohngebäude gegen Elementarschäden wie Starkregen und Hagel. Beschließen müssten das die Bundesländer. Auch darüber will der Bund jetzt mit ihnen verhandeln. Wer in Passau direkt an der Donau wohne, werde keine Versicherung finden, betonte Seehofer – die Sache ist nicht so einfach, wie sie klingt.
Zukünftige Absicherung: „Wir müssen damit rechnen, dass uns solche Ereignisse häufiger erreichen“, ist für Scholz klar. Daher will der Bund mit den Ländern über den künftigen Umgang mit Großschäden und ihre finanzielle Beteiligung diskutieren. Ob ein dauerhafter Hilfsfonds eingerichtet wird, ist offen.