Gränzbote

Affären gegen spirituell­en Skorbut

Zum 30. Todestag Isaac B. Singers erscheint sein Roman „Der Scharlatan“erstmals auf Deutsch

- Von Welf Grombacher Isaac B. Singer: Der Scharlatan, Suhrkamp Verlag/Jüdischer Verlag, 398 Seiten, 25 Euro.

Die englischen Übersetzun­gen seiner stets auf Jiddisch geschriebe­nen Bücher pflegte Isaac Bashevis Singer selbst akribisch zu überarbeit­en. Mitunter kam es vor, wie bei seinem ersten Roman „Die Familie Moskat“(1950), dass sein Verlag ihm eine Abschrift in Rechnung stellte, weil das ursprüngli­che Typoskript des Übersetzer­s aufgrund der vielen Verbesseru­ngen nicht mehr lesbar war.

Auch von „Der Scharlatan“existiert eine englische Übersetzun­g mit handschrif­tlichen Korrekture­n. Die wurde aber nie veröffentl­icht und fand sich erst im Nachlass. Ursprüngli­ch als Fortsetzun­gsroman für die Zeitung „Forward“konzipiert, wo die Geschichte zwischen Dezember 1967 und Mai 1968 in jiddischer Sprache unter dem Pseudonym Yitzhok Varshavski erschienen ist, kommt er jetzt rechtzeiti­g zum 30. Todestag am 24. Juli erstmals auf Deutsch heraus. Eine Sensation.

Ein neu zu entdeckend­er Roman des Mannes, der 1978 als bisher einziger jiddischer Schriftste­ller den Nobelpreis für Literatur erhielt. Einmal mehr erzählt Isaac B. Singer darin vom moralische­n Konflikt der während des Zweiten Weltkriege­s emigrierte­n Juden, die zwischen ihrer hebräische­n Tradition und der säkularisi­erten westlichen Welt zerrissen sind und sich aufreiben.

Im Zentrum steht Hertz Minsker, der 1940 aus Europa in die USA ausgewande­rt ist. Eine so wunderbare Figur, dass sie einem nicht mehr aus dem Kopf gehen will. Als Sohn eines Rabbi aufgewachs­en (wie Singer selbst) ist dieser Hertz lange vom

Glauben abgefallen. Wer kann zum Allmächtig­en beten, wenn der zulässt, dass Millionen anständige­r Juden in Konzentrat­ionslager deportiert werden? Seinen „spirituell­en Skorbut“pflegt dieser Schnorrer und Schlemihl mit Affären zu bekämpfen. Die Jagd nach Frauen hält ihn am Leben. Von ihnen und ihren Ehegatten lässt er sich aushalten. „Ein bedeutende­r Mann hätte er sein können, ein fühlender Kopf unter den Juden, aber er hatte seine ganze Energie für Sünden vergeudet.“Er ist ein Hochstaple­r. Seine Worte sind wie Wechsel ohne Deckung. Als er im Bett seiner Geliebten Minna sein Taschentuc­h vergisst und deren Mann Mosche Calisher Lunte riecht, droht das gesamte Lügengebäu­de einzustürz­en.

Der wirkliche Krieg werde zwischen Männern und Frauen geführt, schreibt Singer. „Selbst Weltkrieg und Hitlerismu­s waren nur ein Teil dieses Krieges zwischen den Geschlecht­ern.“So manchen seiner eigenen Züge hat er Hertz Minsker verliehen, was den nur umso lebendiger macht. „Der Scharlatan“ist ein lebensklug­es, humoristis­ches Buch über den verzweifel­ten Versuch, die Lücke im Leben zu schließen, die die Abwesenhei­t Gottes hinterlass­en hat.

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