Affären gegen spirituellen Skorbut
Zum 30. Todestag Isaac B. Singers erscheint sein Roman „Der Scharlatan“erstmals auf Deutsch
Die englischen Übersetzungen seiner stets auf Jiddisch geschriebenen Bücher pflegte Isaac Bashevis Singer selbst akribisch zu überarbeiten. Mitunter kam es vor, wie bei seinem ersten Roman „Die Familie Moskat“(1950), dass sein Verlag ihm eine Abschrift in Rechnung stellte, weil das ursprüngliche Typoskript des Übersetzers aufgrund der vielen Verbesserungen nicht mehr lesbar war.
Auch von „Der Scharlatan“existiert eine englische Übersetzung mit handschriftlichen Korrekturen. Die wurde aber nie veröffentlicht und fand sich erst im Nachlass. Ursprünglich als Fortsetzungsroman für die Zeitung „Forward“konzipiert, wo die Geschichte zwischen Dezember 1967 und Mai 1968 in jiddischer Sprache unter dem Pseudonym Yitzhok Varshavski erschienen ist, kommt er jetzt rechtzeitig zum 30. Todestag am 24. Juli erstmals auf Deutsch heraus. Eine Sensation.
Ein neu zu entdeckender Roman des Mannes, der 1978 als bisher einziger jiddischer Schriftsteller den Nobelpreis für Literatur erhielt. Einmal mehr erzählt Isaac B. Singer darin vom moralischen Konflikt der während des Zweiten Weltkrieges emigrierten Juden, die zwischen ihrer hebräischen Tradition und der säkularisierten westlichen Welt zerrissen sind und sich aufreiben.
Im Zentrum steht Hertz Minsker, der 1940 aus Europa in die USA ausgewandert ist. Eine so wunderbare Figur, dass sie einem nicht mehr aus dem Kopf gehen will. Als Sohn eines Rabbi aufgewachsen (wie Singer selbst) ist dieser Hertz lange vom
Glauben abgefallen. Wer kann zum Allmächtigen beten, wenn der zulässt, dass Millionen anständiger Juden in Konzentrationslager deportiert werden? Seinen „spirituellen Skorbut“pflegt dieser Schnorrer und Schlemihl mit Affären zu bekämpfen. Die Jagd nach Frauen hält ihn am Leben. Von ihnen und ihren Ehegatten lässt er sich aushalten. „Ein bedeutender Mann hätte er sein können, ein fühlender Kopf unter den Juden, aber er hatte seine ganze Energie für Sünden vergeudet.“Er ist ein Hochstapler. Seine Worte sind wie Wechsel ohne Deckung. Als er im Bett seiner Geliebten Minna sein Taschentuch vergisst und deren Mann Mosche Calisher Lunte riecht, droht das gesamte Lügengebäude einzustürzen.
Der wirkliche Krieg werde zwischen Männern und Frauen geführt, schreibt Singer. „Selbst Weltkrieg und Hitlerismus waren nur ein Teil dieses Krieges zwischen den Geschlechtern.“So manchen seiner eigenen Züge hat er Hertz Minsker verliehen, was den nur umso lebendiger macht. „Der Scharlatan“ist ein lebenskluges, humoristisches Buch über den verzweifelten Versuch, die Lücke im Leben zu schließen, die die Abwesenheit Gottes hinterlassen hat.