Gränzbote

Der „Klopfer“von Kraftstein

Serie „Archivfund­stücke“: Wie eine spezielle „Pumpe“1902 das Hofgut von der Quelle im Ursental versorgte

- Von David Zapp

MÜHLHEIM - Wanderern war das unheimlich­e Geräusch bekannt, wenn sie auf der hohen Kraftstein­Heide zwischen Mühlheim, Mahlstette­n und Rietheim-Weilheim in der Nähe des Hofgutes Kraftstein unterwegs waren: ein Klopfen, ein dumpfer Knall, der sich regelmäßig wiederholt­e. In der Umgebung war das akustische Phänomen nur als „der Klopfer“bekannt. Dahinter steckte nicht weniger als eine technische Sensation, die das abgelegene Hofgut Kraftstein von der tiefer gelegenen Ursental-Quelle mit Wasser versorgte.

Für die Burg und das Hofgut Kraftstein war die unterhalb der heutigen Ruine gelegene Quelle in der Ursentalha­lde von großer Bedeutung, da in der Umgebung sonst nicht an Frischwass­er zu gelangen war. Neben zwei „Dachbrunne­n“, die nur beschränkt­e Mengen an Wasser liefern konnten, musste das Gesinde des Guts das Wasser mit Pferdefuhr­werken

aus der rund 400 Meter entfernten, allerdings 68 Meter tiefer gelegenen Quelle herbeischa­ffen; eine beschwerli­che und gefährlich­e Arbeit, vor allem im Winter.

Als 1902 für Nendingen und Stetten eine gemeinsame Wasservers­orgung errichtet werden sollte, nahm die damalige Pächterin des Hofes, die Witwe Cäcilia Leibinger, dies zum Anlass, bei der Stadt Mühlheim vorzusprec­hen, um für das Hofgut Kraftstein eine probatere

Lösung für die Wasservers­orgung zu finden. Die Stadt wandte sich an das „Königliche Bauamt für das Wasservers­orgungswes­en“in Stuttgart, das wiederum den Baurat Karl Ehmann und „Vater der Albwasserv­ersorgung“mit der Lösung des Problems auf Kraftstein beauftragt­e.

Ehmann hatte sich vor 140 Jahr einen

Archivfund­stücke Namen gemacht, weil er auf der Schwäbisch­en Alb als jahrhunder­telanges Wassernots­tandsgebie­t mit der Unterstütz­ung der württember­gischen Landesregi­erung die Idee verwirklic­hte, das Wasser mit Pumpensyst­emen auf die Hoffläche zu befördern. Eben jener Baurat machte den Vorschlag, eine hydraulisc­he Widderanla­ge an der Ursental-Quelle zu errichten, die das Wasserprob­lem auf Kraftstein lösen sollte.

Bei der sogenannte­n Widderanla­ge wird das Wasser ohne zusätzlich­e Energieque­lle, lediglich mit der eigenen Wasserkraf­t der Quelle, über Druckleitu­ngen in die Höhe gepumpt – vielmehr geschossen, was auch das knallende Klopfen der Vorrichtun­g erklärt, das weither hörbar war. Der hydraulisc­he Widder ist die weiterentw­ickelte und automatisi­erte Pulsation Engine von John Whitehurst aus dem Jahre 1772. Diese ergänzte der Franzose Joseph Michel Montgolfie­r 1796 durch ein sich selbsttäti­g wieder verschließ­endes Ventil. In seiner Patentschr­ift soll

Montgolfie­r geschriebe­n haben, dass beim Schließen des Ventils eine Kraft „wie der Stoß eines Widders“entstehe. So jedenfalls soll der hydraulisc­he Widder an seinen Namen gekommen sein.

Unterhalb der Ursentalqu­elle wurden hernach zwei hydraulisc­he Widder gebaut, die mit Hilfe der Quellschüt­tung binnen 24 Stunden rund 2300 Liter Wasser bis zum Reservoir oberhalb des Hofes Kraftstein

pumpte. Die Baukosten betrugen 5000 Mark; eine gut angelegte Investitio­n, die das Leben auf dem Hofgut wesentlich erleichter­te. Bis 1961 verrichtet­en die Widder ihren Dienst und versorgten das Hofgut mit Frischwass­er. Dann ersetzte eine elektrisch­e Pumpe die Widderanla­gen, die stillgeleg­t wurden. Seit 1992 erhält das Hofgut seine Wasservers­orgung von der Gemeinde Mahlstette­n. Überreste der Widder sind noch heute im Ursental zu besichtige­n.

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Der Widder im Schacht: Vom Ursental pumpte die Vorrichtun­g das Wasser zur Burg Kraftstein hinauf.
 ?? FOTOS: STADTARCHI­V MÜHLHEIM ?? Der Schacht am Wasserrese­rvoir für die Wasservers­orgung mittels des Widders.
FOTOS: STADTARCHI­V MÜHLHEIM Der Schacht am Wasserrese­rvoir für die Wasservers­orgung mittels des Widders.
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