Der „Klopfer“von Kraftstein
Serie „Archivfundstücke“: Wie eine spezielle „Pumpe“1902 das Hofgut von der Quelle im Ursental versorgte
MÜHLHEIM - Wanderern war das unheimliche Geräusch bekannt, wenn sie auf der hohen KraftsteinHeide zwischen Mühlheim, Mahlstetten und Rietheim-Weilheim in der Nähe des Hofgutes Kraftstein unterwegs waren: ein Klopfen, ein dumpfer Knall, der sich regelmäßig wiederholte. In der Umgebung war das akustische Phänomen nur als „der Klopfer“bekannt. Dahinter steckte nicht weniger als eine technische Sensation, die das abgelegene Hofgut Kraftstein von der tiefer gelegenen Ursental-Quelle mit Wasser versorgte.
Für die Burg und das Hofgut Kraftstein war die unterhalb der heutigen Ruine gelegene Quelle in der Ursentalhalde von großer Bedeutung, da in der Umgebung sonst nicht an Frischwasser zu gelangen war. Neben zwei „Dachbrunnen“, die nur beschränkte Mengen an Wasser liefern konnten, musste das Gesinde des Guts das Wasser mit Pferdefuhrwerken
aus der rund 400 Meter entfernten, allerdings 68 Meter tiefer gelegenen Quelle herbeischaffen; eine beschwerliche und gefährliche Arbeit, vor allem im Winter.
Als 1902 für Nendingen und Stetten eine gemeinsame Wasserversorgung errichtet werden sollte, nahm die damalige Pächterin des Hofes, die Witwe Cäcilia Leibinger, dies zum Anlass, bei der Stadt Mühlheim vorzusprechen, um für das Hofgut Kraftstein eine probatere
Lösung für die Wasserversorgung zu finden. Die Stadt wandte sich an das „Königliche Bauamt für das Wasserversorgungswesen“in Stuttgart, das wiederum den Baurat Karl Ehmann und „Vater der Albwasserversorgung“mit der Lösung des Problems auf Kraftstein beauftragte.
Ehmann hatte sich vor 140 Jahr einen
Archivfundstücke Namen gemacht, weil er auf der Schwäbischen Alb als jahrhundertelanges Wassernotstandsgebiet mit der Unterstützung der württembergischen Landesregierung die Idee verwirklichte, das Wasser mit Pumpensystemen auf die Hoffläche zu befördern. Eben jener Baurat machte den Vorschlag, eine hydraulische Widderanlage an der Ursental-Quelle zu errichten, die das Wasserproblem auf Kraftstein lösen sollte.
Bei der sogenannten Widderanlage wird das Wasser ohne zusätzliche Energiequelle, lediglich mit der eigenen Wasserkraft der Quelle, über Druckleitungen in die Höhe gepumpt – vielmehr geschossen, was auch das knallende Klopfen der Vorrichtung erklärt, das weither hörbar war. Der hydraulische Widder ist die weiterentwickelte und automatisierte Pulsation Engine von John Whitehurst aus dem Jahre 1772. Diese ergänzte der Franzose Joseph Michel Montgolfier 1796 durch ein sich selbsttätig wieder verschließendes Ventil. In seiner Patentschrift soll
Montgolfier geschrieben haben, dass beim Schließen des Ventils eine Kraft „wie der Stoß eines Widders“entstehe. So jedenfalls soll der hydraulische Widder an seinen Namen gekommen sein.
Unterhalb der Ursentalquelle wurden hernach zwei hydraulische Widder gebaut, die mit Hilfe der Quellschüttung binnen 24 Stunden rund 2300 Liter Wasser bis zum Reservoir oberhalb des Hofes Kraftstein
pumpte. Die Baukosten betrugen 5000 Mark; eine gut angelegte Investition, die das Leben auf dem Hofgut wesentlich erleichterte. Bis 1961 verrichteten die Widder ihren Dienst und versorgten das Hofgut mit Frischwasser. Dann ersetzte eine elektrische Pumpe die Widderanlagen, die stillgelegt wurden. Seit 1992 erhält das Hofgut seine Wasserversorgung von der Gemeinde Mahlstetten. Überreste der Widder sind noch heute im Ursental zu besichtigen.