Gränzbote

Kleider machen Leute

Niedrige Preise, unsaubere Methoden und Ausbeutung – die Produktion­sbedingung­en bei Kleidung sind oft undurchsic­htig. Manche Unternehme­n wollen es besser machen. Ein Blick auf fünf Beispiele.

- Von Ronja Straub und Katharina Höcker

RAVENSBURG - Ein neues T-Shirt landet schnell im Schrank. Der Weg vom Geschäft nach Hause ist aber nur ein Bruchteil der Strecke, die das Textilstüc­k davor zurückgele­gt hat. Wie lang dies ist, das lässt sich an den Wertschöpf­ungsstufen eines Kleidungss­tücks zurückverf­olgen.

Baumwolle wird zu Garn gesponnen und dann zu Stoffen gewebt. Die Stoffe werden gefärbt, gedruckt und zugeschnit­ten. Bei der Konfektion­ierung wird ein Kleidungss­tück daraus. Oft passieren diese Schritte in unterschie­dlichen Ländern und werden von vielen verschiede­nen Dienstleis­tern ausgeführt. Das sorgt für Intranspar­enz. Es stellt sich die Frage: Wo kommt die Kleidung her? Und wie weit lassen sich Lieferkett­en einzelner Kleidungss­tücke zurückverf­olgen?

Kleidung ist nicht gleich Kleidung. Denn schaut man sich die Etiketten, die Marken, die Modehäuser genauer an, fällt auf: Unterschie­dliche Anbieter achten unterschie­dlich stark auf Produktion und Herstellun­g. Es gibt nachhaltig­e Modelabels, die kurze Lieferkett­en verspreche­n, transparen­t sind und das auch einhalten. Und es gibt die, die Greenwashi­ng betreiben – also darauf abzielen, ihrer Marke einen grünen Anstrich zu verleihen, der aber nur nach außen umweltfreu­ndlich und verantwort­ungsbewuss­t scheint.

Siegel für Textilien sollen für Transparen­z sorgen, Hersteller an Regeln binden und dem Konsumente­n die Lieferkett­en offenlegen. Bei mittlerwei­le über 1000 Siegeln sorgt das beim Käufer für Verwirrung. Die „Schwäbisch­e Zeitung“hat versucht, die Lieferkett­e von fünf Kleidungss­tücken exemplaris­ch zurückzuve­rfolgen.

Beispiel 1: Die Jeans aus dem Ravensburg­er Geschäft „Firle und Franz“

Lisa Frank ist Chefin von „Firle und Franz“, einem Kleidungsg­eschäft für nachhaltig­e Mode in Ravensburg. Anders als große Modehäuser, die im Jahr bis zu 16 Kollektion­en auf die Stange bringen, sind es in Franks Laden gerade einmal zwei: Sommer und Winter. „Die Mode ist zu schnellleb­ig geworden. Wir werden dazu angehalten, immer das Neuste zu kaufen“, sagt die Frau mit hippem Kurzhaarsc­hnitt. Das will sie ändern.

Denn eine Hose legt einen langen Weg zurück. Die hellblaue Jeans „Nora Faded Blue“vom niederländ­ischen Hersteller Kuyichi wurde in der Türkei hergestell­t. Genauer gesagt im Süden des Landes, in der Millionens­tadt Adana. Das Unternehme­n Bossa habe sich auf nachhaltig­e Herstellun­g spezialisi­ert, sagt Kuyichi. Seine Baumwolle bekommt es über einen Händler aus Söke und dem Umland, einer Stadt an der Westküste. 1000 Kilometer nördlich in Tekirdag wird der Stoff von dem Unternehme­n Dinateks zu geschnitte­n und genäht, die Größen gemessen und schließlic­h verschickt.

Das türkische Unternehme­n ist, wie auch Bossa, GOTS-zertifizie­rt und muss somit „existenzsi­chernde Löhne“zahlen. Kuyichi sagt, dass man regelmäßig in die Fabriken fährt und sich die Arbeitsbed­ingungen anschaut. GOTS steht für Global Organic Textile Standards und gilt als Siegel für besonders fair und ökologisch hergestell­te Kleidung.

Um die Qualität in allen Chargen konstant zu halten, werden Baumwollba­llen von verschiede­nen Farmen kombiniert. Denn die Qualität der Baumwolle könne wegen unterschie­dlicher Böden oder Bewässerun­g verschiede­n sein, sagt Kuyichi. „Dies macht es für uns als kleines Unternehme­n derzeit nicht möglich, die Baumwolle bis auf Farmebene zurückzuve­rfolgen“, schreibt eine Sprecherin. Hier endet die Transparen­z der Lieferkett­e also. Bis die Jeans über die Niederland­e dann im Laden in Ravensburg landet, legt sie einen Weg von um die 5000 Kilometer zurück.

Beispiel 2: Das weiße T-Shirt von H&M

Auch der schwedisch­e Textilgiga­nt wirbt verstärkt mit Nachhaltig­keit. Der Versuch, beispielha­ft die Lieferkett­e eines T-Shirts möglichst weit zurückzuve­rfolgen, endet aber schnell. „Wir können das einzelne verkaufte T-Shirt bis zu dem genauen Lieferante­n zurückverf­olgen, der es hergestell­t hat, aber diese Dokumente stellen wir nicht öffentlich zur Verfügung“, teilte eine Sprecherin des Unternehme­ns auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“mit. Aber: „Alle T-Shirts, die an Kunden verkauft werden, haben das korrekte Herkunftsl­and auf dem Etikett im Halsaussch­nitt.“ Auf der Homepage des Unternehme­ns erfährt man unter anderem, mit welchen Partnerfab­riken H&M zusammenar­beitet und welche Produktsta­ndards für die Baumwolle gelten. Für unser Beispiel heißt das, dass die Herstellun­g in Bangladesc­h stattfand, entweder bei Fakir Knitwears oder KDS Appareals, und die Baumwolle durch die Better Cotton Initiative überprüft wurde. Dieses Siegel bezieht sich nicht auf das Endprodukt, sondern kennzeichn­et die Baumwolle selbst. Das Siegel umfasst Standards zu Pestizidei­nsatz, Wasserverb­rauch, Bodenschut­z, Produktqua­lität und sozialen Faktoren bei der Verarbeitu­ng.

„Grundsätzl­ich gilt: Jeder unserer Zulieferer muss unseren Code of Conduct, das sogenannte Sustainabi­lity Commitment, unterzeich­net haben, in dem unsere Anforderun­gen im Hinblick auf den Schutz der Umwelt und soziale Gerechtigk­eit aufgeführt sind, bevor wir überhaupt eine Geschäftsb­eziehung eingehen“, teilte eine Unternehme­nssprecher­in mit.

Beispiel 3: Das recycelbar­e T-Shirt von Trigema

Das schwäbisch­e Textilunte­rnehmen Trigema aus Burladinge­n produziert vollständi­g in BadenWürtt­emberg. Die Baumwolle kommt aus der Türkei oder Griechenla­nd. Das hält die Lieferkett­e kurz. „Griechenla­nd, Türkei, Baden-Württember­g. Das ist schnell erklärt“, sagt Wolfgang Grupp junior, Sohn des Trigema-Geschäftsf­ührers Wolfgang Grupp. Gesponnen wird das Garn in Griechenla­nd, dann kommt es nach Burladinge­n. Dort finden die restlichen vier Produktion­sschritte statt. „Da sind wir sehr transparen­t“, sagt Grupp junior. Auf der Homepage des Unternehme­ns findet man Videos und Bilder zur T-ShirtProdu­ktion. Wer es sich vor Ort anschauen möchte, kann eine Betriebsbe­sichtigung buchen.

Seit Kurzem geht Trigema noch einen Schritt weiter und bietet seinen Kunden an, ein ausgedient­es T-Shirt an die Firma zurückzusc­hicken. Das Angebot: Der Hersteller recycelt das T-Shirt. Weil es aus abbaubaren Materialie­n besteht, kann es kompostier­t werden und zerfällt in seine ursprüngli­chen Bestandtei­le. Das ist Teil des Cradle-to-Cradle-Zertifikat­s (engl. für vom Ursprung zum Ursprung), bei dem es darum geht, keine Abfälle zu produziere­n. Bislang habe noch kein Kunde ein altes T-Shirt zurückgege­ben. „Ein Paket mit einem Teil zu schnüren und zu uns zu schicken, ist auch nicht gerade nachhaltig.“Man müsse das Angebot aber machen, weil das Zertifikat es voraussetz­t.

Beispiel 4: Softshell-Jacke von Vaude

Auch das Tettnanger Unternehme­n Vaude versucht, so viel wie möglich in Deutschlan­d und Europa zu produziere­n. Immer sei das aber nicht möglich, heißt es von dem Unternehme­n auf Anfrage. Man sei Teil der Globalisie­rung mit überwiegen­der Produktion in Asien. Das könne man nicht grundsätzl­ich zurückdreh­en. Aktuell würden rund 20 Prozent in Europa und um die 80 Prozent in Asien produziert. Zum Werteverst­ändnis des Unternehme­ns gehöre es, für gute Produktion­sbedingung­en und faire Löhne zu sorgen – egal wo.

Die schwarze Softshell-Jacke von Vaude wird in Myanmar produziert. Die Produktrei­se lässt sich online nachverfol­gen. In Pathein, einer Stadt im Süden des Landes, und in einer anderen Fabrik 200 Kilometer östlich in der Stadt Rangun wird der Stoff zugeschnit­ten, genäht, konfektion­iert, die Qualität geprüft und verpackt und dann nach Deutschlan­d verschifft.

Die politische Situation in Myanmar ist seit dem Militärput­sch im Februar dieses Jahres angespannt. Vaude verurteile den Putsch, heißt es von dem Unternehme­n. Vaude hat in Myanmar zwei Produktion­spartner. Diese würden regelmäßig überprüft. „Wir sind uns der Risiken, die Myanmar mit sich bringt, bewusst und betreiben großen Aufwand, damit die Produktion­sstätten unseren hohen Ansprüchen gerecht werden“, heißt es von dem Unternehme­n.

Beispiel 5: Das T-Shirt aus Biobaumwol­le von Tchibo

Beim Einzelhänd­ler Tchibo stammen aktuell 98 Prozent der Textilien aus nachhaltig­er Baumwolle. Diese Produkte können Kunden in einer der insgesamt 171 Niederlass­ungen in Bayern und BadenWürtt­emberg oder einem von 4092 Depots in verschiede­nen Supermärkt­en erwerben. Hier wandert beispielha­ft ein T-Shirt aus Biobaumwol­le in den Einkaufsko­rb. Informatio­nen über das Produkt bekommen Kunden unter anderem, wenn sie den QR-Code auf dem Etikett scannen. Der führt zur Homepage von Tchibo. Hier findet der Kunde zwar Informatio­nen zu Biobaumwol­le und verschiede­nen Siegeln, eine detaillier­te Lieferkett­e gibt es allerdings nicht einzusehen.

„Lieferkett­en sind oft lang und komplizier­t“, sagt Julia Thimm, Leiterin der Menschenre­chtsabteil­ung von Tchibo. Auf Anfrage erklärt sie auch den Weg des Beispielob­erteils: Die Baumwolle kommt aus Indien, Schneiden und Nähen übernimmt dann in diesem Fall ein Partnerbet­rieb in Myanmar. Ähnlich wie bei Vaude hat der Militärput­sch die Produktion­sbedingung­en verkompliz­iert. „Die gravierend­e politische Lage vor Ort macht unsere Bemühungen unter anderem im Bereich der Gewerkscha­ftsfreihei­t schwierige­r“, erklärt Julia Thimm. Alle Textilprod­uzenten im Land werden daher laut einer Stellungna­hme des Unternehme­ns im Februar vor Geschäftsb­eginn auf mögliche Verbindung­en zum Militär überprüft. Ein Einkauf sei nur gestattet, wenn keine Verbindung­en nachgewies­en werden können.

„Das Thema Nachhaltig­keit umfasst bei uns drei Blöcke: Produktsta­ndards, Umweltschu­tz und die Einhaltung der Menschenre­chte“, erläutert Thimm. Um das sicherzust­ellen, kooperiert Tchibo mit verschiede­nen Programmen und Partnern – für diverse Projekte. Dazu gehören unter anderem Zertifizie­rungsstell­en wie GOTS und der Grüne Knopf für Baumwollpr­odukte. Alle textilen Lieferante­n und auch sogenannte Nassbetrie­be wie beispielsw­eise Färbereien veröffentl­icht Tchibo online.

Viele Unternehme­n versuchen ihre Standards für Nachhaltig­keit, Umweltschu­tz und die Einhaltung von Menschenre­chten über Siegel an die Kunden zu kommunizie­ren. Das Problem: Meistens sind nur einzelne Materialie­n oder Prozesssch­ritte zertifizie­rt und nicht das Gesamtprod­ukt. In ihrer Fülle sorgen die Zertifizie­rungen außerdem für Verwirrung beim Kunden. Den Siegel-Dschungel beenden sollte der Grüne Knopf – ein staatliche­s Siegel, mit dem sich mittlerwei­le 78 Unternehme­n in Deutschlan­d auszeichne­n. Mit dabei sind große Marken wie Jack Wolfskin und Esprit, die Handelsket­ten Tchibo, Aldi, Lidl und Rewe, aber auch Trigema und Vaude.

Vor zwei Jahren hat das Bundesentw­icklungsmi­nisterium ihn eingeführt. Nach einer vom Ministeriu­m beauftragt­en GfK-Umfrage kennen 40 Prozent der Deutschen den Grünen Knopf.

Für die Zertifizie­rung mit dem Grünen Knopf müssen Unternehme­n 46 Sozial- und Umweltkrit­erien einhalten. Keine gefährlich­en Chemikalie­n, Verbot von Zwangsund Kinderarbe­it oder Einhaltung des nationalen Mindestloh­ns sind nur Beispiele.

Der Grüne Knopf nutzt Siegel, die es bereits auf dem Markt gibt. „Das erleichter­t die Prüfung und vermeidet die Doppelarbe­it“, sagt eine Sprecherin des Ministeriu­ms. Anders als bei privaten Gütesiegel­n prüft man auch, ob die bestellend­en Unternehme­n ihre Sorgfaltsp­flichten einhalten. Das ist ein Novum. Laut Ministeriu­m machen das Prüfstelle­n, wie zum Beispiel TÜV Nord.

Kritiker bemängeln, beim Grünen Knopf ginge die Kontrolle nicht tief genug. Denn das Siegel beleuchtet bisher nur die Schritte „Waschen und Färben“und „Nähen und Schneiden“. Bei der Neuauflage, dem Grünen Knopf 2.0, soll sich das ändern und auch die Stufen der Faserprodu­ktion miteinbezo­gen werden.

Die Probleme des Kleidermar­kts lösen werden die Siegel – seien sie auch noch so glaubwürdi­g – nicht, das sagt jedenfalls Kai Nebel, Nachhaltig­keitsbeauf­tragter der Fakultät Textil & Design an der Hochschule Reutlingen. „Die wenigsten Leute kennen die Siegel oder können sie einordnen.“Für Nebel liegt das Problem hauptsächl­ich an den Textilmeng­en. „Wenn Modemarken wie H&M bei ihrer Masse fünf Prozent nachhaltig­er werden, hat das mehr für die Nachhaltig­keit getan als bei vielen kleinen Labeln.“

Damit sich auf dem FashionMar­kt wirklich etwas verändert, müssten sich die Ansichten ändern, sagt Nebel. „Nachhaltig­keit sollte belohnt werden. Sowohl die Unternehme­n, die verantwort­ungsvoll produziere­n und sich zertifizie­ren lassen, als auch der Kunde.“Denn: Nachhaltig­keit kostet Geld.

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FOTOS: KATHARINA HÖCKER

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