Kleider machen Leute
Niedrige Preise, unsaubere Methoden und Ausbeutung – die Produktionsbedingungen bei Kleidung sind oft undurchsichtig. Manche Unternehmen wollen es besser machen. Ein Blick auf fünf Beispiele.
RAVENSBURG - Ein neues T-Shirt landet schnell im Schrank. Der Weg vom Geschäft nach Hause ist aber nur ein Bruchteil der Strecke, die das Textilstück davor zurückgelegt hat. Wie lang dies ist, das lässt sich an den Wertschöpfungsstufen eines Kleidungsstücks zurückverfolgen.
Baumwolle wird zu Garn gesponnen und dann zu Stoffen gewebt. Die Stoffe werden gefärbt, gedruckt und zugeschnitten. Bei der Konfektionierung wird ein Kleidungsstück daraus. Oft passieren diese Schritte in unterschiedlichen Ländern und werden von vielen verschiedenen Dienstleistern ausgeführt. Das sorgt für Intransparenz. Es stellt sich die Frage: Wo kommt die Kleidung her? Und wie weit lassen sich Lieferketten einzelner Kleidungsstücke zurückverfolgen?
Kleidung ist nicht gleich Kleidung. Denn schaut man sich die Etiketten, die Marken, die Modehäuser genauer an, fällt auf: Unterschiedliche Anbieter achten unterschiedlich stark auf Produktion und Herstellung. Es gibt nachhaltige Modelabels, die kurze Lieferketten versprechen, transparent sind und das auch einhalten. Und es gibt die, die Greenwashing betreiben – also darauf abzielen, ihrer Marke einen grünen Anstrich zu verleihen, der aber nur nach außen umweltfreundlich und verantwortungsbewusst scheint.
Siegel für Textilien sollen für Transparenz sorgen, Hersteller an Regeln binden und dem Konsumenten die Lieferketten offenlegen. Bei mittlerweile über 1000 Siegeln sorgt das beim Käufer für Verwirrung. Die „Schwäbische Zeitung“hat versucht, die Lieferkette von fünf Kleidungsstücken exemplarisch zurückzuverfolgen.
Beispiel 1: Die Jeans aus dem Ravensburger Geschäft „Firle und Franz“
Lisa Frank ist Chefin von „Firle und Franz“, einem Kleidungsgeschäft für nachhaltige Mode in Ravensburg. Anders als große Modehäuser, die im Jahr bis zu 16 Kollektionen auf die Stange bringen, sind es in Franks Laden gerade einmal zwei: Sommer und Winter. „Die Mode ist zu schnelllebig geworden. Wir werden dazu angehalten, immer das Neuste zu kaufen“, sagt die Frau mit hippem Kurzhaarschnitt. Das will sie ändern.
Denn eine Hose legt einen langen Weg zurück. Die hellblaue Jeans „Nora Faded Blue“vom niederländischen Hersteller Kuyichi wurde in der Türkei hergestellt. Genauer gesagt im Süden des Landes, in der Millionenstadt Adana. Das Unternehmen Bossa habe sich auf nachhaltige Herstellung spezialisiert, sagt Kuyichi. Seine Baumwolle bekommt es über einen Händler aus Söke und dem Umland, einer Stadt an der Westküste. 1000 Kilometer nördlich in Tekirdag wird der Stoff von dem Unternehmen Dinateks zu geschnitten und genäht, die Größen gemessen und schließlich verschickt.
Das türkische Unternehmen ist, wie auch Bossa, GOTS-zertifiziert und muss somit „existenzsichernde Löhne“zahlen. Kuyichi sagt, dass man regelmäßig in die Fabriken fährt und sich die Arbeitsbedingungen anschaut. GOTS steht für Global Organic Textile Standards und gilt als Siegel für besonders fair und ökologisch hergestellte Kleidung.
Um die Qualität in allen Chargen konstant zu halten, werden Baumwollballen von verschiedenen Farmen kombiniert. Denn die Qualität der Baumwolle könne wegen unterschiedlicher Böden oder Bewässerung verschieden sein, sagt Kuyichi. „Dies macht es für uns als kleines Unternehmen derzeit nicht möglich, die Baumwolle bis auf Farmebene zurückzuverfolgen“, schreibt eine Sprecherin. Hier endet die Transparenz der Lieferkette also. Bis die Jeans über die Niederlande dann im Laden in Ravensburg landet, legt sie einen Weg von um die 5000 Kilometer zurück.
Beispiel 2: Das weiße T-Shirt von H&M
Auch der schwedische Textilgigant wirbt verstärkt mit Nachhaltigkeit. Der Versuch, beispielhaft die Lieferkette eines T-Shirts möglichst weit zurückzuverfolgen, endet aber schnell. „Wir können das einzelne verkaufte T-Shirt bis zu dem genauen Lieferanten zurückverfolgen, der es hergestellt hat, aber diese Dokumente stellen wir nicht öffentlich zur Verfügung“, teilte eine Sprecherin des Unternehmens auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“mit. Aber: „Alle T-Shirts, die an Kunden verkauft werden, haben das korrekte Herkunftsland auf dem Etikett im Halsausschnitt.“ Auf der Homepage des Unternehmens erfährt man unter anderem, mit welchen Partnerfabriken H&M zusammenarbeitet und welche Produktstandards für die Baumwolle gelten. Für unser Beispiel heißt das, dass die Herstellung in Bangladesch stattfand, entweder bei Fakir Knitwears oder KDS Appareals, und die Baumwolle durch die Better Cotton Initiative überprüft wurde. Dieses Siegel bezieht sich nicht auf das Endprodukt, sondern kennzeichnet die Baumwolle selbst. Das Siegel umfasst Standards zu Pestizideinsatz, Wasserverbrauch, Bodenschutz, Produktqualität und sozialen Faktoren bei der Verarbeitung.
„Grundsätzlich gilt: Jeder unserer Zulieferer muss unseren Code of Conduct, das sogenannte Sustainability Commitment, unterzeichnet haben, in dem unsere Anforderungen im Hinblick auf den Schutz der Umwelt und soziale Gerechtigkeit aufgeführt sind, bevor wir überhaupt eine Geschäftsbeziehung eingehen“, teilte eine Unternehmenssprecherin mit.
Beispiel 3: Das recycelbare T-Shirt von Trigema
Das schwäbische Textilunternehmen Trigema aus Burladingen produziert vollständig in BadenWürttemberg. Die Baumwolle kommt aus der Türkei oder Griechenland. Das hält die Lieferkette kurz. „Griechenland, Türkei, Baden-Württemberg. Das ist schnell erklärt“, sagt Wolfgang Grupp junior, Sohn des Trigema-Geschäftsführers Wolfgang Grupp. Gesponnen wird das Garn in Griechenland, dann kommt es nach Burladingen. Dort finden die restlichen vier Produktionsschritte statt. „Da sind wir sehr transparent“, sagt Grupp junior. Auf der Homepage des Unternehmens findet man Videos und Bilder zur T-ShirtProduktion. Wer es sich vor Ort anschauen möchte, kann eine Betriebsbesichtigung buchen.
Seit Kurzem geht Trigema noch einen Schritt weiter und bietet seinen Kunden an, ein ausgedientes T-Shirt an die Firma zurückzuschicken. Das Angebot: Der Hersteller recycelt das T-Shirt. Weil es aus abbaubaren Materialien besteht, kann es kompostiert werden und zerfällt in seine ursprünglichen Bestandteile. Das ist Teil des Cradle-to-Cradle-Zertifikats (engl. für vom Ursprung zum Ursprung), bei dem es darum geht, keine Abfälle zu produzieren. Bislang habe noch kein Kunde ein altes T-Shirt zurückgegeben. „Ein Paket mit einem Teil zu schnüren und zu uns zu schicken, ist auch nicht gerade nachhaltig.“Man müsse das Angebot aber machen, weil das Zertifikat es voraussetzt.
Beispiel 4: Softshell-Jacke von Vaude
Auch das Tettnanger Unternehmen Vaude versucht, so viel wie möglich in Deutschland und Europa zu produzieren. Immer sei das aber nicht möglich, heißt es von dem Unternehmen auf Anfrage. Man sei Teil der Globalisierung mit überwiegender Produktion in Asien. Das könne man nicht grundsätzlich zurückdrehen. Aktuell würden rund 20 Prozent in Europa und um die 80 Prozent in Asien produziert. Zum Werteverständnis des Unternehmens gehöre es, für gute Produktionsbedingungen und faire Löhne zu sorgen – egal wo.
Die schwarze Softshell-Jacke von Vaude wird in Myanmar produziert. Die Produktreise lässt sich online nachverfolgen. In Pathein, einer Stadt im Süden des Landes, und in einer anderen Fabrik 200 Kilometer östlich in der Stadt Rangun wird der Stoff zugeschnitten, genäht, konfektioniert, die Qualität geprüft und verpackt und dann nach Deutschland verschifft.
Die politische Situation in Myanmar ist seit dem Militärputsch im Februar dieses Jahres angespannt. Vaude verurteile den Putsch, heißt es von dem Unternehmen. Vaude hat in Myanmar zwei Produktionspartner. Diese würden regelmäßig überprüft. „Wir sind uns der Risiken, die Myanmar mit sich bringt, bewusst und betreiben großen Aufwand, damit die Produktionsstätten unseren hohen Ansprüchen gerecht werden“, heißt es von dem Unternehmen.
Beispiel 5: Das T-Shirt aus Biobaumwolle von Tchibo
Beim Einzelhändler Tchibo stammen aktuell 98 Prozent der Textilien aus nachhaltiger Baumwolle. Diese Produkte können Kunden in einer der insgesamt 171 Niederlassungen in Bayern und BadenWürttemberg oder einem von 4092 Depots in verschiedenen Supermärkten erwerben. Hier wandert beispielhaft ein T-Shirt aus Biobaumwolle in den Einkaufskorb. Informationen über das Produkt bekommen Kunden unter anderem, wenn sie den QR-Code auf dem Etikett scannen. Der führt zur Homepage von Tchibo. Hier findet der Kunde zwar Informationen zu Biobaumwolle und verschiedenen Siegeln, eine detaillierte Lieferkette gibt es allerdings nicht einzusehen.
„Lieferketten sind oft lang und kompliziert“, sagt Julia Thimm, Leiterin der Menschenrechtsabteilung von Tchibo. Auf Anfrage erklärt sie auch den Weg des Beispieloberteils: Die Baumwolle kommt aus Indien, Schneiden und Nähen übernimmt dann in diesem Fall ein Partnerbetrieb in Myanmar. Ähnlich wie bei Vaude hat der Militärputsch die Produktionsbedingungen verkompliziert. „Die gravierende politische Lage vor Ort macht unsere Bemühungen unter anderem im Bereich der Gewerkschaftsfreiheit schwieriger“, erklärt Julia Thimm. Alle Textilproduzenten im Land werden daher laut einer Stellungnahme des Unternehmens im Februar vor Geschäftsbeginn auf mögliche Verbindungen zum Militär überprüft. Ein Einkauf sei nur gestattet, wenn keine Verbindungen nachgewiesen werden können.
„Das Thema Nachhaltigkeit umfasst bei uns drei Blöcke: Produktstandards, Umweltschutz und die Einhaltung der Menschenrechte“, erläutert Thimm. Um das sicherzustellen, kooperiert Tchibo mit verschiedenen Programmen und Partnern – für diverse Projekte. Dazu gehören unter anderem Zertifizierungsstellen wie GOTS und der Grüne Knopf für Baumwollprodukte. Alle textilen Lieferanten und auch sogenannte Nassbetriebe wie beispielsweise Färbereien veröffentlicht Tchibo online.
Viele Unternehmen versuchen ihre Standards für Nachhaltigkeit, Umweltschutz und die Einhaltung von Menschenrechten über Siegel an die Kunden zu kommunizieren. Das Problem: Meistens sind nur einzelne Materialien oder Prozessschritte zertifiziert und nicht das Gesamtprodukt. In ihrer Fülle sorgen die Zertifizierungen außerdem für Verwirrung beim Kunden. Den Siegel-Dschungel beenden sollte der Grüne Knopf – ein staatliches Siegel, mit dem sich mittlerweile 78 Unternehmen in Deutschland auszeichnen. Mit dabei sind große Marken wie Jack Wolfskin und Esprit, die Handelsketten Tchibo, Aldi, Lidl und Rewe, aber auch Trigema und Vaude.
Vor zwei Jahren hat das Bundesentwicklungsministerium ihn eingeführt. Nach einer vom Ministerium beauftragten GfK-Umfrage kennen 40 Prozent der Deutschen den Grünen Knopf.
Für die Zertifizierung mit dem Grünen Knopf müssen Unternehmen 46 Sozial- und Umweltkriterien einhalten. Keine gefährlichen Chemikalien, Verbot von Zwangsund Kinderarbeit oder Einhaltung des nationalen Mindestlohns sind nur Beispiele.
Der Grüne Knopf nutzt Siegel, die es bereits auf dem Markt gibt. „Das erleichtert die Prüfung und vermeidet die Doppelarbeit“, sagt eine Sprecherin des Ministeriums. Anders als bei privaten Gütesiegeln prüft man auch, ob die bestellenden Unternehmen ihre Sorgfaltspflichten einhalten. Das ist ein Novum. Laut Ministerium machen das Prüfstellen, wie zum Beispiel TÜV Nord.
Kritiker bemängeln, beim Grünen Knopf ginge die Kontrolle nicht tief genug. Denn das Siegel beleuchtet bisher nur die Schritte „Waschen und Färben“und „Nähen und Schneiden“. Bei der Neuauflage, dem Grünen Knopf 2.0, soll sich das ändern und auch die Stufen der Faserproduktion miteinbezogen werden.
Die Probleme des Kleidermarkts lösen werden die Siegel – seien sie auch noch so glaubwürdig – nicht, das sagt jedenfalls Kai Nebel, Nachhaltigkeitsbeauftragter der Fakultät Textil & Design an der Hochschule Reutlingen. „Die wenigsten Leute kennen die Siegel oder können sie einordnen.“Für Nebel liegt das Problem hauptsächlich an den Textilmengen. „Wenn Modemarken wie H&M bei ihrer Masse fünf Prozent nachhaltiger werden, hat das mehr für die Nachhaltigkeit getan als bei vielen kleinen Labeln.“
Damit sich auf dem FashionMarkt wirklich etwas verändert, müssten sich die Ansichten ändern, sagt Nebel. „Nachhaltigkeit sollte belohnt werden. Sowohl die Unternehmen, die verantwortungsvoll produzieren und sich zertifizieren lassen, als auch der Kunde.“Denn: Nachhaltigkeit kostet Geld.