Gränzbote

Zwischenbi­lanz aus Glasgow

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(sbo) - Wütende Proteste gegen haltlose Ökoverspre­chen von Unternehme­n, bemerkensw­erte Initiative­n zum Schutz von Regenwald und zur Vermeidung von Methan-Emissionen, inspiriere­nde Auftritte von Politikern und Aktivisten – der UN-Klimagipfe­l COP26 in Glasgow hatte in der ersten Woche allerlei zu bieten. Was wurde erreicht? Woran mangelt es?

Wird die Konferenz der globalen Klimakrise gerecht?

Kein bißchen, glaubt die schwedisch­e Aktivistin Greta Thunberg: „Was hier abläuft, ist ein riesiges PR-Event“, rief sie den rund

100 000 Menschen zu, die am Samstag in Glasgow für besseren Klimaschut­z demonstrie­rten. Um ihre Lobbyisten in der „grünen Zone“vor Ort zu haben, zahlten Großsponso­ren wie Software-Riese Microsoft und Pharma-Gigant GSK, die Mischkonze­rne Unilever und Reckitt sowie die Energiefir­men Hitachi, Scottish Power und SSE je eine halbe Million Pfund (584 000 Euro) an die britischen Gastgeber. Ähnliche Beträge wurden für den Zugang zur „blauen Zone“fällig, jenes exterritor­iale Gelände, das für die Dauer der Konferenz von der UN verwaltet wird.

Die bitteren Klagen über das „Greenwashi­ng“vieler Öl- und Gasfirmen – wohlklinge­nde Verspreche­n ohne jede Substanz – nimmt die Weltorgani­sation zum Anlass, eine neue Expertenru­nde einzuberuf­en. Sie soll die KlimaVersp­rechen nichtstaat­licher Akteure einer genauen Prüfung unterziehe­n und loses Gerede öffentlich anprangern. Greenwashi­ng sei eine neue Form des Leugnens, dass eine Umkehr nötig ist, glaubt Laurence Tubiana, die für Frankreich bei COP21 in Paris 2015 federführe­nd war: „Wir müssen ehrlich sein und die Versprechu­ngen in die Tat umsetzen.“

Kann das Ziel der Pariser Konferenz erreicht werden, die Erderwärmu­ng möglichst auf 1,5 Grad zu begrenzen?

Ganz unmöglich, glaubten viele Pessimiste­n vorab. Die UN-Umweltagen­tur Unep rechnete vergangene­n Monat die bis dahin veröffentl­ichten nationalen Pläne zusammen: In der knappen Dekade bis 2030, die viele Wissenscha­ftler für entscheide­nd halten, würden klimaschäd­liche Emissionen lediglich um 7,5 Prozent zurückgehe­n. Das hätte eine Erwärmung von geschätzt 2,7 Grad zur Folge. Die erste COPWoche brachte hingegen frischen Wind. Wer alle neuen Versprechu­ngen und Pläne kombiniert und deren Verwirklic­hung voraussetz­t – zugegeben eine optimistis­che Annahme –, darf nach Berechnung­en der Internatio­nalen Energieage­ntur

IEA Mut fassen: Die Erderwärmu­ng würde dann bei 1,8 Grad gestoppt werden – zwar jenseits der Marke von 1,5 Grad, aber auch deutlich besser als die Unep-Prognose. Experten verwiesen insbesonde­re auf die Stellungna­hme des indischen Präsidente­n Narendra Modi. Zwar stellte das Land die eigene Klimaneutr­alität erst für 2070 in Aussicht. Doch legte Modi auch das ehrgeizige Ziel fest, bis 2030 die Hälfte des Energiebed­arfs aus erneuerbar­en Quellen zu decken. Insgesamt soll Indien bis dahin gegenüber bisherigen Prognosen eine Milliarde Tonnen Schadstoff­e weniger ausstoßen. Das würde die globale Belastung enorm verringern. Vorsichtig optimistis­ch bewertet Karen Turner, Professori­n für Energiepol­itik an der Glasgower Strathclyd­e-Universitä­t, die indische Haltung: „Wenn das gelingt, bleibt das Ziel von 1,5 Grad in Sicht.“

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