Wenn die Zinswelt Kopf steht
Der Immobilienerwerb auf Pump birgt aufgrund der gestiegenen Inflation neue Risiken
STUTTGART - Über Jahrhunderte wurde der, der Geld aufs Sparkonto legte, mit Zinsen belohnt. Und wer sich Geld geliehen hat, musste dafür Zinsen bezahlen. Doch seit Juni 2014 steht die Zinswelt Kopf. Auslöser für die historisch niedrigen Zinsen war die weltweite Finanzkrise im Jahr 2008 und die damit zusammenhängende Schuldenkrise im Euroraum.
Um vor allem verschuldeten Staaten der Europäischen Union (EU) die Möglichkeit zu geben, ihre schwache Wirtschaft über günstige Kredite anzukurbeln, senkte die Europäische Zentralbank (EZB) den Leitzins immer weiter ab. Bald darauf begann sie, sukzessive auch den sogenannten Einlagensatz zu reduzieren, der 2008 noch bei sage und schreibe plus 4,25 Prozent gelegen hatte. Seit 2014 ist er negativ (damals minus 0,1 Prozent) und beträgt inzwischen minus 0,5 Prozent. Daher bezeichnen ihn Kritiker oft als Negativ-, Minus- oder gar Strafzins. Darüber hinaus kauft die EZB seit Jahren in erheblichen Mengen sichere und gut rentierliche Anleihen vom Markt weg. So hat die Notenbank auch den Marktzins in einen negativen Bereich gedrückt. Kreditinstitute können mit den Kundeneinlagen kaum mehr positive Erträge erzielen. Deshalb berechnen sie ihren Kunden weitgehend Minuszinsen für ihre Bankeinlagen.
Anders sieht es für jene aus, die sich verschulden wollen, um eine Immobilie zu erwerben. Denn aufgrund des billigen Geldes kommen immer mehr Menschen erst in die Situation, sich die eigenen vier Wände leisten zu können. „Verbraucher mit überdurchschnittlichen Einkommen und den nötigen Rücklagen für das Eigenkapital können sich angesichts der günstigen Kredite nun einfacher ein Haus bauen oder eine Wohnung kaufen“, sagt HansPeter Burghof, Banken-Professor an der Uni Hohenheim. Aber die breite Masse profitiert eben nur bedingt. Es ist zwar leicht geworden, Kredite für einen Zinssatz zu unter einem Prozent zu bekommen. Aber in vielen Städten und Regionen steigen die Immobilienpreise um jährlich fünf bis zehn Prozent. „Das können sich nicht alle leisten“, sagt Burghof. Durch billige Kredite ist zwar das Schuldenmachen günstiger geworden, jedoch gilt es zu beachten, dass dieser Effekt nicht wieder von der Preissteigerung aufgezehrt wird.
Klassischerweise gestaltet sich eine Baufinanzierung aus dem Dreiklang von Eigenkapital, Bauspardarlehen und Annuitätendarlehen. Die Faustformel, wonach sich die Finanzierung auf Eigenkapital zu 20 bis 30 Prozent, Bauspardarlehen zu 20 bis 25 Prozent sowie Annuitätendarlehen
zu 50 bis 60 Prozent verteilen sollte, gilt aber zunehmend nicht mehr. Vielmehr ist der Eigenkapitalanteil bei zahlreichen Finanzierungen auf eine Größenordnung von zehn Prozent geschrumpft. Um Baufinanzierungen vor diesem Hintergrund dennoch solide zu gestalten, achten viele Banken und Sparkassen darauf, dass das Eigenkapital zumindest die Nebenkosten, die schnell ein Zehntel des Kaufpreises betragen können, abdeckt. Freilich kommt es auch vor, dass Kreditinstitute Häuslebauern die Finanzierung ihrer vier Wände ohne Eigenkapital anbieten.
So oder so werden viele Erwerber von Wohnimmobilien nach Ablauf der üblichen Zinsbindung von zehn Jahren nur wenig von ihrem Baudarlehen getilgt haben, so dass kaum eine Entschuldung stattgefunden haben wird. Verschärfend kann hinzukommen, dass sich so mancher Häuserbauer oder Wohnungskäufer aufgrund der historisch niedrigen
Zinsen ohnehin dazu hinreißen lässt, ein größeres Darlehen aufzunehmen, als er es bei einem höheren Zinsniveau getan hätte. Sollten nach zehn Jahren aber die Zinsen angezogen haben, kann es bei der Anschlussfinanzierung eng werden. „Der Kredit würde dann nach Auslaufen der Zinsbindung wesentlich teurer, was dem einen oder anderen Immobilienerwerber durchaus wirtschaftlich das Genick brechen kann“, erläutert Burghof.
Dieses Szenario ist im Grunde kein neues, dennoch haben sich in jüngster Zeit die Risiken der Baufinanzierung verschoben. Denn es ist eine neue Gefahr hinzugekommen, die sich in den vergangenen Monaten stark erhöht hat, und die lautet Teuerung. Daher gilt es zu beachten: „Aufgrund der aktuell gestiegenen Inflationsrate ist es wahrscheinlicher geworden als zuvor, dass auch die Zinsen in einem absehbaren Zeitfenster anziehen könnten“, resümiert Burghof.