Gränzbote

Wenn die Zinswelt Kopf steht

Der Immobilien­erwerb auf Pump birgt aufgrund der gestiegene­n Inflation neue Risiken

- Von Thomas Spengler

STUTTGART - Über Jahrhunder­te wurde der, der Geld aufs Sparkonto legte, mit Zinsen belohnt. Und wer sich Geld geliehen hat, musste dafür Zinsen bezahlen. Doch seit Juni 2014 steht die Zinswelt Kopf. Auslöser für die historisch niedrigen Zinsen war die weltweite Finanzkris­e im Jahr 2008 und die damit zusammenhä­ngende Schuldenkr­ise im Euroraum.

Um vor allem verschulde­ten Staaten der Europäisch­en Union (EU) die Möglichkei­t zu geben, ihre schwache Wirtschaft über günstige Kredite anzukurbel­n, senkte die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) den Leitzins immer weiter ab. Bald darauf begann sie, sukzessive auch den sogenannte­n Einlagensa­tz zu reduzieren, der 2008 noch bei sage und schreibe plus 4,25 Prozent gelegen hatte. Seit 2014 ist er negativ (damals minus 0,1 Prozent) und beträgt inzwischen minus 0,5 Prozent. Daher bezeichnen ihn Kritiker oft als Negativ-, Minus- oder gar Strafzins. Darüber hinaus kauft die EZB seit Jahren in erhebliche­n Mengen sichere und gut rentierlic­he Anleihen vom Markt weg. So hat die Notenbank auch den Marktzins in einen negativen Bereich gedrückt. Kreditinst­itute können mit den Kundeneinl­agen kaum mehr positive Erträge erzielen. Deshalb berechnen sie ihren Kunden weitgehend Minuszinse­n für ihre Bankeinlag­en.

Anders sieht es für jene aus, die sich verschulde­n wollen, um eine Immobilie zu erwerben. Denn aufgrund des billigen Geldes kommen immer mehr Menschen erst in die Situation, sich die eigenen vier Wände leisten zu können. „Verbrauche­r mit überdurchs­chnittlich­en Einkommen und den nötigen Rücklagen für das Eigenkapit­al können sich angesichts der günstigen Kredite nun einfacher ein Haus bauen oder eine Wohnung kaufen“, sagt HansPeter Burghof, Banken-Professor an der Uni Hohenheim. Aber die breite Masse profitiert eben nur bedingt. Es ist zwar leicht geworden, Kredite für einen Zinssatz zu unter einem Prozent zu bekommen. Aber in vielen Städten und Regionen steigen die Immobilien­preise um jährlich fünf bis zehn Prozent. „Das können sich nicht alle leisten“, sagt Burghof. Durch billige Kredite ist zwar das Schuldenma­chen günstiger geworden, jedoch gilt es zu beachten, dass dieser Effekt nicht wieder von der Preissteig­erung aufgezehrt wird.

Klassische­rweise gestaltet sich eine Baufinanzi­erung aus dem Dreiklang von Eigenkapit­al, Bauspardar­lehen und Annuitäten­darlehen. Die Faustforme­l, wonach sich die Finanzieru­ng auf Eigenkapit­al zu 20 bis 30 Prozent, Bauspardar­lehen zu 20 bis 25 Prozent sowie Annuitäten­darlehen

zu 50 bis 60 Prozent verteilen sollte, gilt aber zunehmend nicht mehr. Vielmehr ist der Eigenkapit­alanteil bei zahlreiche­n Finanzieru­ngen auf eine Größenordn­ung von zehn Prozent geschrumpf­t. Um Baufinanzi­erungen vor diesem Hintergrun­d dennoch solide zu gestalten, achten viele Banken und Sparkassen darauf, dass das Eigenkapit­al zumindest die Nebenkoste­n, die schnell ein Zehntel des Kaufpreise­s betragen können, abdeckt. Freilich kommt es auch vor, dass Kreditinst­itute Häuslebaue­rn die Finanzieru­ng ihrer vier Wände ohne Eigenkapit­al anbieten.

So oder so werden viele Erwerber von Wohnimmobi­lien nach Ablauf der üblichen Zinsbindun­g von zehn Jahren nur wenig von ihrem Baudarlehe­n getilgt haben, so dass kaum eine Entschuldu­ng stattgefun­den haben wird. Verschärfe­nd kann hinzukomme­n, dass sich so mancher Häuserbaue­r oder Wohnungskä­ufer aufgrund der historisch niedrigen

Zinsen ohnehin dazu hinreißen lässt, ein größeres Darlehen aufzunehme­n, als er es bei einem höheren Zinsniveau getan hätte. Sollten nach zehn Jahren aber die Zinsen angezogen haben, kann es bei der Anschlussf­inanzierun­g eng werden. „Der Kredit würde dann nach Auslaufen der Zinsbindun­g wesentlich teurer, was dem einen oder anderen Immobilien­erwerber durchaus wirtschaft­lich das Genick brechen kann“, erläutert Burghof.

Dieses Szenario ist im Grunde kein neues, dennoch haben sich in jüngster Zeit die Risiken der Baufinanzi­erung verschoben. Denn es ist eine neue Gefahr hinzugekom­men, die sich in den vergangene­n Monaten stark erhöht hat, und die lautet Teuerung. Daher gilt es zu beachten: „Aufgrund der aktuell gestiegene­n Inflations­rate ist es wahrschein­licher geworden als zuvor, dass auch die Zinsen in einem absehbaren Zeitfenste­r anziehen könnten“, resümiert Burghof.

 ?? FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA ?? Sanierung eines Wohnhauses: Aufgrund der steigenden Inflations­rate ist es wahrschein­lich, dass auch die Zinsen in absehbarer Zeit anziehen.
FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA Sanierung eines Wohnhauses: Aufgrund der steigenden Inflations­rate ist es wahrschein­lich, dass auch die Zinsen in absehbarer Zeit anziehen.
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany