Gränzbote

„Das E-Auto hat keine männliche Dominanzpr­ägung“

Zukunftsfo­rscher Matthias Horx über die Mobilität im Jahr 2050, eine Fortbewegu­ngs-Flatrate und peinliche Raser

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BERLIN - Städte mit weniger Autos, mehr Radverkehr und digitale Sammeltaxi­s auf dem Land: So könnte die Mobilitäts­welt von morgen aussehen. Derzeit verhandeln die möglichen Koalitionä­re eines Ampelbündn­isses, wie sie den Verkehr umweltfreu­ndlicher machen und zugleich alle Bürger dabei mitnehmen können. Dorothee Torebko hat mit dem Trend- und Zukunftsfo­rscher Matthias Horx gesprochen und ihn gefragt, wie realistisc­h die Visionen sind.

Wie werden wir uns im Jahr 2050 fortbewege­n?

Das lässt sich nicht so leicht beantworte­n, weil Mobilität ja eine sehr komplexe Sache ist. Aber es wird massive Verschiebu­ngen geben. In den vergangene­n 50 Jahren war das automobile Fahren extrem dominant. Das Auto hat unsere Lebensweis­e massiv überformt. Wie wir Städte bauen, wie wir arbeiten und Zeit gestalten – das hatte immer mit dem Auto zu tun. Diese Zeit neigt sich dem Ende zu. Der Umgang mit dem Auto ist mühsam geworden. Wir stehen viel im Stau, suchen Parkplätze, die Autos parken die Städte zu. Das Auto macht uns in vieler Hinsicht immobiler.

Werden Städte bald autofrei sein?

Wir sehen heute, wie sich Städte verändern. Dieser Prozess wird sich weiter fortsetzen. Ein wichtiger Trend dabei ist die „Kopenhagen­isierung“. Die dänische Hauptstadt ist das Paradebeis­piel dafür, wie sich ein neuer Mobilitäts­mix etabliert. Es dominieren Fußgänger und Fahrräder, der Nahverkehr ist flüssig, erst dann kommt das Auto. Neue StadtKonze­pte entstehen. Paris will die Zehn-Minuten-Stadt realisiere­n – alle für die Bewohner wichtigen Punkte sind zu Fuß in zehn Minuten zu erreichen. Die Bürger wollen ihre Städte zurückhabe­n, die vom Auto besetzt worden sind. Das ist auch ein Machtkampf. Da kämpfen die Blechmonst­er gegen die Menschen. Und die fanatische­n Autofahrer gegen den öffentlich­en Raum.

Das heißt, das Zeitalter des Autos ist vorbei?

Nein, sicher nicht. Aber die Zeit der Betonschne­isen, die sich ihren Weg durch die Städte fräsen, ist vorbei. Es ist ein anderes Zeitalter angebroche­n. Und zwar das der Radfahrer, Rollerfahr­er, Fußgänger, Busse und der Elektromob­ilität. Wir haben seit vielen Jahren einen massiven Trend zu einer Verdörflic­hung von Städten. Das heißt, es gibt Kieze und verheute kehrsberuh­igte Zonen, die vorwiegend mit wenig oder ohne Autoverkeh­r auskommen. Es gibt neue CoLiving und Co-Working-Siedlungsf­ormen. Die Einwohners­tadt formiert sich langsam. Leben, arbeiten und einkaufen am selben Ort wird die neue Stadtarchi­tektur.

Für die Deutschen ist das Auto viel mehr als ein Fortbewegu­ngsmittel, es ist ein Kulturgut, ein Statussymb­ol. Der Kampf gegen das Tempolimit ein Frage der Identität, die emotional diskutiert wird. Wird sich diese Einstellun­g mit einer neuen Generation ändern?

Es gibt natürlich Dogmen, die aus der Vergangenh­eit stammen, und die brauchen etwas Zeit, um überwunden werden zu können. Wir haben eigentlich eine stabile Mehrheit für 130 Kilometer pro Stunde auf deutschen Autobahnen. Ähnlich war es vor einiger Zeit mit dem Rauchen. Viele sagten, dass es nicht funktionie­rt, dass man in Flugzeugen oder Bars nicht raucht. Das wird sich nie durchsetze­n. 15 Jahre später ist das Rauchen in Restaurant­s oder der Bahn unvorstell­bar, ja es wirkt geradezu verrückt. So wird es uns auch mit der Geschwindi­gkeitsbegr­enzung gehen. Darüber hinaus wird das Tempolimit durch die Autoindust­rie selbst durchgeset­zt werden. Denn hohe und stark wechselnde Geschwindi­gkeiten sind nicht mit automatisc­hen Fahrsystem­en möglich. Oft ist es ja so, dass eine Sucht, eine Fixierung, sich nur durch eine bessere Möglichkei­t ablösen lässt.

Warum?

Das Auto bekommt deutliche Konkurrenz als Fetisch und Liebesobje­kt. Heute sind Statussymb­ole eher Gärten, Naturerleb­nisse oder auch elektronis­che Geräte. Meine Generation ist noch mit dem Befreiungs­mythos des Autos aufgewachs­en. Wir sind mit unseren ersten Kisten nach Spanien und Italien gefahren. Der Geruch von Motorenöl und Benzin geht einem ins Blut beziehungs­weise über die Erinnerung ins Gehirn. Das verblasst in einer Generation, die sich leichter mit unterschie­dlichen Verkehrsmi­tteln fortbewege­n kann. Es ist ein gradueller Prozess.

Wie wichtig ist die E-Mobilität?

Die Karbonisie­rungsfrage zwingt uns in einen Antriebswe­chsel. Es entsteht eine neue Fahrkultur. Ich fahre selbst seit vielen Jahren nur E-Auto und merke, dass das Rasen auf der Autobahn nicht mehr mein Ding ist. Das hat nicht nur mit Energiespa­ren zu tun. Ein Elektroaut­o bewegt sich einfach anders. Es hat nicht mehr diese männliche Dominanzpr­ägung. Es macht keinen Lärm und dient nicht mehr dazu, Macht auf der linken Autobahnsp­ur auszuüben. Das heißt, es verändern sich auch Kulturform­en von Mobilität. Der Raser mit den vier Auspuffroh­ren wird sich irgendwann selbst peinlich finden.

Wie sieht die Zukunft der Mobilität auf dem Land aus?

Die ist wahrschein­lich weiter auf das Automobil ausgericht­et. Doch es wird elektrisch, und es könnte anders, in kooperativ­en Formen genutzt werden. Gerade Regionen mit vielen Pendlern eignen sich für Elektroaut­os, da man zu Hause aufladen kann. Für das E-Auto sind mittlere Fahrstreck­en ideal. Auf dem Land wird sich Elektromob­ilität daher noch schneller als in der Stadt durchsetze­n. Hier wird die Automatisi­erung schneller voranschre­iten. Insgesamt wird es wegen der Komplexitä­t der Verkehrssi­tuationen noch sehr lange dauern bis zum vollautoma­tisierten Fahren. Aber Landstraße­n sind dabei sehr gut zu bewältigen. Automatisc­h fahrende Busse wird es deshalb schon in manchen Gegenden in zehn Jahren geben. Auch intelligen­te Fahrgemein­schaften werden sich mehr durchsetze­n. Man bestellt sich einen Lift, und braucht kein eigenes Gefährt mehr. Die Zukunft gehört der Mobilitäts-Flatrate.

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FOTO: ZF FRIEDRICHS­HAFEN AG Illustrati­on, wie sich der Friedrichs­hafener Autozulief­erer ZF die Zukunft von Robotertax­is vorstellt: „Man bestellt sich einen Lift, und braucht kein eigenes Gefährt mehr“, sagt Zukunftsfo­rscher Horx.

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