„Menschen müssen sich anständig streiten können“
Gabriele Krone-Schmalz spricht über ihr neues Buch „Respekt geht anders“
SPAICHINGEN - Die bekannte Journalistin und Historikerin Gabriele Krone-Schmalz stellt ihr neues Buch „Respekt geht anders – Betrachtungen über ein zerstrittenes Land“am Donnerstag in Spaichingen vor. Wir haben uns vorab mit ihr unterhalten.
Frau Krone-Schmalz, ist dieses Buch eine Brand- oder Wutrede?
In gewisser Weise ist es das wohl. Aber es geht darüber hinaus. Ich mach’ mir ernsthaft Sorgen. Ein demokratisches System kann auf Dauer nur funktionieren, wenn Menschen in der Lage sind, sich – in doppeltem Sinne – anständig zu streiten. Und wenn sie dann auch noch gut informiert sind, dann ist die Chance groß, durch konstruktiven Streit gute Ergebnisse für die Gesellschaft zu erzielen.
Sie beschreiben einander gegenüberstehende Pole, wen meinen Sie genau?
Die polarisierenden Auseinandersetzungen finden ja auf allen möglichen Gebieten statt. Sei es in der Außenpolitik – entweder man ist ein Transatlantiker oder ein Russlandfreund – oder auf dem Gebiet der Gender-Diskussion. Man kann für Gleichberechtigung kämpfen, ohne jedes Wort mit einem Sternchen zu versehen. Oder beim Thema Migration – man kann eine offene Einwanderungspolitik fordern, ohne die Kontrolle über die eigenen Grenzen aufgeben zu wollen. Und so weiter.
An wen richten Sie Ihre Appelle?
Ich denke, dass sich viele darin wiederfinden, die genau wie ich versuchen, von der Polarisierung runterzukommen. Und die können dann die konkreten Beispiele und Analysen als Argumentationshilfe nutzen, wenn es um die Darstellung ihrer eigenen Befindlichkeit geht. Und ich würde mir wünschen, dass sich der eine oder andere „erwischt“fühlt und darüber nachdenkt, ob er oder sie sich nicht auch anders, respektvoller verhalten kann, ohne seine Überzeugungen zu verleugnen.
Ich persönlich habe den Eindruck, dass die Stimmungslage einer polarisierten Debatte vor allem davon abhängt, ob man sich in facebook etc. bewegt, oder nicht, weil im wirklichen Leben Vernunft und Freundlichkeit nach wie vor vorherrschen.
Ich treffe im wirklichen Leben auch auf viele zugewandte, verständnisvolle Menschen, die sich darüber beklagen, dass die Kluft zwischen veröffentlichter und öffentlicher Meinung so groß ist. Und man kann ja nahezu täglich beobachten, dass Medien eine große Rolle dabei spielen, Kontroversen aufzublasen, Meinungsgegner aufeinander zu hetzen. Und das hinterlässt irgendwann Spuren. Und was die sogenannten sozialen Medien betrifft. Ich habe neulich jemand sagen hören: „Wir leben in einem Zeitalter, wo weltweit Menschen über Suchfunktionen nur Bestätigung ihrer eigenen Meinung suchen.“Das ist das Problem. Dadurch
verkümmert die Fähigkeit, sich vorstellen zu können, dass andere Meinungen auch ihre Berechtigung haben. Und das friedliche Zusammenleben in einer Gesellschaft funktioniert nun mal nur, wenn man sich über Kompromisse annähert und nicht, wenn sich polarisierende Gruppen unversöhnlich gegenüberstehen.
Was sagen Sie aber zu gezielten Manipulationsversuchen, die inzwischen gut belegt sind, und deren Folgen mit dem Sturm aufs Kapitol zum Beispiel oder Amokläufen oder islamistischen Anschlägen ja für jeden sichtbar werden lässt? Gibt es keine Grenze zwischen Wahrheit und Lüge oder soll auch als Meinung diskutiert werden, was Fakt ist? Wo würden Sie die Grenze ziehen?
Ich glaube, man muss sich von der Vorstellung verabschieden, für den respektvollen Umgang miteinander eine genaue Gebrauchsanweisung vorlegen zu können, nach der man sich Punkt für Punkt richten kann und immer die Sicherheit hat, auf der „richtigen“, moralisch einwandfreien Seite zu stehen. Das Fatale: manchmal hat man gar nicht die Wahl zwischen richtig und falsch, sondern nur zwischen falsch und falsch. Unser Bildungssystem muss dafür sorgen, dass junge Menschen in die Lage versetzt werden, abzuwägen und eigenverantwortlich zu entscheiden. Und dazu gehört umfassende Information aus glaubwürdigen Kanälen. Und dafür braucht man gut ausgebildete Journalisten.
Braucht ihrer Meinung nach jede Debatte nicht ein Mindestmaß an Fachwissen? Oder anders gefragt: Ärgert Sie manchmal, wie hierzulande über Russland gesprochen wird? Sie waren lange dort als Korrespondentin.
Das sind jetzt zwei sehr unterschiedliche Dinge. Ich denke, jeder Bürger hat das Recht sich an Debatten zu beteiligen, auch ohne Experte auf dem Gebiet zu sein. Es wäre nur wünschenswert, wenn er oder sie dann Argumenten in der Debatte zugänglich wäre, also nicht borniert auf dem eigenen Standpunkt besteht.
In der Berichterstattung, unabhängig von Russland, ist es ganz etwas anderes. Da erwarte ich natürlich nicht nur Fachwissen, sondern vor allem immer auch einen Perspektivwechsel, der nötig ist, um das zu verstehen, im Sinne von begreifen, was da berichtet wird. Alles immer nur durch die eigene Brille zu betrachten, ganz gleich, wo in der Welt es sich abspielt, funktioniert nicht. Und wenn dann auch noch moralisiert wird, ohne den Erfahrungshintergrund anderer Gesellschaften zu berücksichtigen, dann werden unnötige Mauern aufgebaut. Moral, so wichtig sie ist, ersetzt keine politische Analyse. Es fällt mir schwer, meine Wahrnehmung von Russland in zwei Sätze zu packen, nicht nur weil Russland zum Zerreißen widersprüchlich ist. Nach meinem Eindruck kursieren auf jedem Fall im Westen ziemlich viele Illusionen darüber, was die Mehrheit der Menschen in Russland will. Meine These lautet jedenfalls: Wenn der politische Westen Russland in der ersten Amtszeit Putins respektvoller behandelt hätte, dann hätte sich die russische Gesellschaft anders entwickelt, freier und offener. Denn eine Gesellschaft, die sich eingebettet fühlt statt umzingelt kann sich freier entwickeln.
Das zweierlei Maß kritisieren Sie dabei auch. Zum Beispiel?
Da gibt es viele Beispiele. Dieses Messen mit zweierlei Maß ist ja keine neue Sache, das hat es ja sogar schon unter Gorbatschow gegeben, den wir mehr mochten als Putin. Als Gorbatschow von einer fünfjährigen Übergangsfrist sprach, die man braucht, um die Sowjetunion umzustrukturieren (mehr Selbständigkeit für die Republiken und ähnliches), da nannte man das eine besonders infame Form der Hinhaltetaktik. Dabei gesteht sich die EU für wesentlich unkompliziertere Dinge wesentlich mehr Zeit zu. Und wir haben zehn Jahre gebraucht, um den Regierungssitz von Bonn nach Berlin zu verlegen…
Beobachten Sie die Debatte um „Cancel Culture“? Und geht Ihr Buch eigentlich in diese Richtung?
Ich habe ja einige Beispiele von Cancel Culture auch in meinem Buch beschrieben und konnte manche Dinge selbst kaum glauben. Natürlich erschreckt mich diese inquisitorische Bevormundung durch Menschen, die offenbar ganz genau zu wissen glauben, was richtig ist ohne einen Funken von Selbstzweifel. Und da erfordert es Mut von jedem einzelnen, sich dagegen zu stellen und es nicht einfach laufen zu lassen. Wir sind in diesem Land zu Recht stolz auf unsere Freiheit. Die dürfen wir uns nicht von selbsternannten Sittenwächtern nehmen lassen.
Was würden Sie vorschlagen, um eine bessere Debattenkultur hinzubekommen, ohne alles beliebig zu machen und Erkenntnisse und kulturelle Errungenschaften vergangener Generationen insgesamt infrage zu stellen, etwa der Konsens, wie Wissenschaft funktioniert?
Wieso beliebig? In einer Debattenkultur, in einer Streitkultur geht es darum, dass Argumente auf den Tisch kommen, denen die jeweilige Gegenseite mal bis zum Schluss zuhört und abwägt, ob da vielleicht was Brauchbares dabei ist. Zur Streitkultur gehört das Verlangen, andere zu überzeugen, aber eben auch die Bereitschaft sich überzeugen zu lassen.