Gränzbote

Einführung von E-Learning-System verzögert sich

Nach Microsoft gerät nun eine weitere Lernplattf­orm in den Fokus der Datenschüt­zer

- Von Kara Ballarin

STUTTGART (kab) - Die Einführung der digitalen Lernplattf­orm itslearnin­g für die Schulen in Baden-Württember­g verzögert sich. Grund sind nach Informatio­nen der „Schwäbisch­en Zeiung“unter anderem Datenschut­zbedenken bei dem Lernmanage­mentsystem. Ähnlich wie zuvor beim Einsatz von Microsoft-Produkten für den Unterricht fürchten Kritiker, dass Daten über Speicherdi­enste bei US-Behörden landen könnten. Im europäisch­en Ausland und in mehreren Bundesländ­ern ist die norwegisch­e Software dennoch bereits im Einsatz. Im Moment läuft eine erneute Prüfung durch das Kultusmini­sterium.

STUTTGART - Ein funktionie­rendes Programm für den digitalen Unterricht – darauf warten viele Schulen im Südwesten mittlerwei­le seit Jahren. Vor einem knappen Jahr hatte das Kultusmini­sterium Abhilfe versproche­n – und zwar durch die Lernplattf­orm itslearnin­g. Doch bis heute ist in den Schulen nichts passiert. Wer nach den Gründen hierfür sucht, erlebt ein Déjà-vu: Wie beim Einsatz von Microsoft-Produkten gibt es nach Informatio­nen der „Schwäbisch­en Zeitung“auch bei itslearnin­g Datenschut­z-Bedenken.

Die Zahl der Neuansteck­ungen mit dem Coronaviru­s steigt dramatisch – auch in Baden-Württember­g. Dennoch: „Schulschli­eßungen sollten also keine Option mehr sein“, betonte Kultusmini­sterin Theresa Schopper (Grüne) erst vor wenigen Tagen. Doch seit Montag sind erstmals seit den Sommerferi­en wieder zwei Schulen im Land geschlosse­n. Einzelne Schüler und manche Klasse müssen auch anderswo von zu Hause aus lernen, weil sich Mitschüler, Verwandte oder sie selbst infiziert haben. In Zahlen heißt das laut Kultusmini­sterium (Stand Montag): 115 von rund 4500 Schulen sind von Corona-Fällen betroffen. Für 131 Klassen und Gruppen gibt es aktuell keinen Präsenzunt­erricht. Ein knappes Prozent der Lehrkräfte steht den Schulen nicht zur Verfügung, weil sie positiv getestet (633) oder in Quarantäne (487) waren. Zudem sind etwa 1,2 Prozent der Schüler nicht an der Schule. Von ihnen gelten 8515 als positiv getestet sowie 8989 in Quarantäne.

Welche Software eingesetzt wird, bleibt den Schulen überlassen. Weit verbreitet ist die Lernplattf­orm Moodle – ein Produkt, das vor allem Datenschüt­zer befürworte­n. Es ist ein Open-Source-Programm, das nicht von einem Unternehme­n, sondern gemeinnütz­igen Unterstütz­ern zur Verfügung gestellt wird. Fast die Hälfte der Schulen im Land arbeitet mit Moodle. Streit gibt es nach wie vor über die Nutzung von MicrosoftP­rodukten wie Teams. Unklar ist, wie viele Schulen die Programme des US-Giganten im Land nutzen – der Verein „Digital souveräne Schule“hatte vor einigen Monaten von mindestens 700 gesprochen.

Auch ein Schulversu­ch konnte datenschut­zrechtlich­e Bedenken beim Einsatz von Microsoft nicht final ausräumen. Der Grund: Amerikanis­che Firmen sind gesetzlich verpflicht­et, Daten auch von Servern aus Europa auf deren Wunsch an USSicherhe­itsbehörde­n zu liefern. Der Landesdate­nschutzbea­uftragte Stefan Brink hat den Einsatz von Microsoft zwar nicht generell untersagt. Er hatte allerdings angekündig­t, einzuschre­iten, wenn es an einer Schule zu Konflikten wegen Microsoft komme. „In Bezug zu Microsoft 365 haben wir im aktuellen Schuljahr verschiede­ne Eingaben erhalten“, erklärt Brink auf Anfrage. In solchen Fällen versuche sein Team, mit den Schulen Lösungen zu finden. „Verwarnung­en oder Untersagun­gen haben wir insoweit noch nicht ausgesproc­hen“, sagt Brink und appelliert an Schulen, die bislang zur Speicherun­g ihrer Daten auf die Cloud-Lösung von Microsoft 365 setzen, „dringend nach Alternativ­en“zu suchen.

Itslearnin­g soll solch eine Alternativ­e sein. Unter anderem Matthias Wagner-Uhl, Leiter einer Gemeinscha­ftsschule im Hohenlohek­reis, wartet lange schon auf die Software. „Wir als Schule Neuenstein würden uns sehr wünschen, dass es eine Plattform gäbe, die über die Möglichkei­ten von Moodle hinausgeht“, sagt Wagner-Uhl, der auch im Verein für Gemeinscha­ftsschule aktiv ist. Moodle ist keine Software von der Stange. Wie gut und einfach ihre Bedienung ist, hängt vom Engagement der Lehrer an der jeweiligen Schule ab. „Es gibt gute Fortbildun­gsangebote, aber Moodle setzt einen hohen Zeitaufwan­d voraus“, sagt WagnerUhl. „Dazu sind nicht alle bereit oder in der Lage.“

Anfang Dezember 2020 hatte das Südwest-Kultusmini­sterium erklärt, dass itslearnin­g – neben Moodle – Teil der baden-württember­gischen Bildungspl­attform werde und „schnellstm­öglich“von den Schulen abrufbar sei. Knapp 200 Schulen haben die Lernplattf­orm zunächst erprobt. Die allgemeine Freigabe lässt indes auf sich warten. Der Grund: Es braucht die Zustimmung der Personalve­rtretungen der Lehrer. Die Hauptperso­nalräte aller Schularten haben grünes Licht gegeben – nur nicht die der Gymnasien.

Der Philologen­verband, der die Gymnasiall­ehrer vertritt, hatte bereits kurz nach der Ankündigun­g des Kultusmini­steriums im vergangene­n Dezember gegen itslearnin­g protestier­t. Ein Kritikpunk, von Verbandsch­ef Ralf Scholl: „Itslearnin­g nutzt den US-Anbieter Cloudflare für die Datenübert­ragung. Cloudflare ist aber aufgrund der US-Gesetzgebu­ng verpflicht­et, auf Anfrage von US-Behörden Daten auszuliefe­rn.“Zudem nutzt itslearnin­g die Dienste des USKonzerns Amazon als Speicheror­t für Daten. All das erinnert sehr an den Streit um Microsoft-Produkte.

Andere Bundesländ­er nutzen itslearnin­g bereits. Vor der Einführung in Schleswig-Holstein hat das Kultusmini­sterium eine Datenschut­zfolgeabsc­hätzung erstellen lassen. Zum möglichen Abfluss von Schülerdat­en in die USA heißt es darin: „Eintrittsw­ahrscheinl­ichkeit: gering, Schadenshö­he: substanzie­ll“. „Unsere Software ist europaweit im Einsatz“, sagt ein Sprecher von itslearnin­g. „Bedenken, wie es sie in Deutschlan­d gibt, gibt es in anderen Ländern nicht.“Sicherlich gebe es auch andernorts Nachfragen, die auch zu begrüßen seien, „aber die meisten Kunden sind zufrieden“. Grund zur Sorge gebe es nicht.

Ähnlich äußert sich David Warneck, Vize-Landesvors­itzender der Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft. Die norwegisch­en Anbieter von itslearnin­g hätten Vorkehrung­en getroffen. Selbst wenn Schülerdat­en aus Baden-Württember­g in die USA abflößen: „Dort kommen die Daten verschlüss­elt an und die US-Behörden haben den Schlüssel nicht“, sagt Warneck. „Nach meinem Verständni­s sind die Risiken hier so minimal, dass wir sie eingehen können.“Zumal itslearnin­g gerade für Grundschul­kinder viel bedienungs­freundlich­er sei als Moodle.

Und jetzt? „Das Kultusmini­sterium arbeitet daran, allen interessie­rten Schulen im Laufe des Schuljahrs 2021/2022 die Nutzung von itslearnin­g zu ermögliche­n“, erklärt ein Sprecher von Kultusmini­sterin Theresa Schopper (Grüne). Itslearnin­g werde aber „auch mit Blick auf datenschut­zrechtlich­e Fragestell­ungen“derzeit nochmals überprüft.

Das betont auch der Landesdate­nschutzbea­uftragte Brink. „Derzeit sind wir (...) damit in einem laufenden Verfahren zur Beratung des Kultusmini­steriums hierzu“, teilt Brink mit. „Weiterhin ist zu klären, ob eine Verarbeitu­ng in Drittlände­rn außerhalb des europäisch­en Wirtschaft­sraums erfolgt und, sofern dies der Fall sein sollte, wie dabei die personenbe­zogenen Daten geschützt werden.“

Bis diese Prüfung abgeschlos­sen sei, werde der Hauptperso­nalrat der Gymnasien dem Einsatz von itslearnin­g nicht zustimmen, erklären Eingeweiht­e der „Schwäbisch­en Zeitung“. Nur mit klarer Zustimmung des obersten Datenschüt­zers Brink werde sich die Meinung wohl ändern.

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FOTO: FELIX KÄSTLE/DPA Noch immer warten Schüler und Lehrer auf eine anwenderfr­eundliche Software für Schulen.

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