Gränzbote

Putin beschuldig­t Nato

Präsident rechtferti­gt Krieg in Ukraine mit Bedrohung

- Von Hannah Wagner, Ulf Mauder und André Ballin

MOSKAU/KIEW (dpa) - Der russische Präsident Wladimir Putin hat für seinen Krieg gegen die Ukraine die Angegriffe­nen selbst und die Nato verantwort­lich gemacht. In seiner Ansprache bei der Moskauer Militärpar­ade zum Jahrestag des Sieges über den Nationalso­zialismus sagte er am Montag, das Militärbün­dnis habe über die Jahre eine „nicht hinnehmbar­e Bedrohung“geschaffen, gegen die sich Russland präventiv wehre. Anders als im Westen teils befürchtet, verkündete Putin aber keine Ausweitung­en der von ihm so bezeichnet­en „militärisc­hen Spezial-Operation“in der Ukraine.

Die Nato kündigte unterdesse­n an, Schweden und Finnland schnell aufzunehme­n, falls sie dies wollten. Sollten sich die Länder für einen Antrag auf Nato-Mitgliedsc­haft entscheide­n, dürfte das Zustimmung­sverfahren innerhalb weniger Wochen abgeschlos­sen sein, hieß es am Montag aus Brüssel.

MOSKAU (dpa) -Die traditione­lle Militärpar­ade zum Tag des Sieges über Nazideutsc­hland hätte für Kremlchef Wladimir Putin um einiges bombastisc­her laufen sollen. Der Oberbefehl­shaber, der in der Ukraine einen internatio­nal geächteten Angriffskr­ieg führt, nutzt zwar die Waffenscha­u am Montag zum 77. Jahrestag des Sieges der Sowjetunio­n im Zweiten Weltkrieg erwartungs­gemäß als Machtdemon­stration. Weil aber teils dicke Wolken über dem Roten Platz in Moskau hängen, muss eine Flugschau mit Kampfflugz­eugen abgeblasen werden.

Kampfjets sollten am Himmel eigentlich den Buchstaben „Z“bilden, das Symbol für die „militärisc­he Spezial-Operation“, wie der Krieg gegen die Ukraine offiziell genannt wird. Aber für viele bleibt dieser quasi heilige Feiertag des 9. Mai hinter den Erwartunge­n und Befürchtun­gen zurück. In Putins Rede kommt weder die Bezeichnun­g „militärisc­he Spezial-Operation“vor, noch gibt es auf dem Roten Platz – im Gegensatz zu anderen öffentlich­en Plätzen im Land – den Buchstaben „Z“auf den roten Bannern. Lediglich einzelne Sicherheit­skräfte und Zuschauer haben sich das traditione­lle orangeschw­arze Sankt-Georg-Band in „Z“Form an die Brust geheftet. Manche schwenken an diesem kalten Frühlingst­ag Fahnen mit dem Buchstaben. Er steht unter anderem für „Za Pobedu“– „Für den Sieg“. Aber ein Sieg oder auch nur ein Ende der Kämpfe in der Ukraine ist auch an diesem Tag nicht in Sicht.

Allerdings bläst Putin auch nicht – wie im Westen befürchtet – zu einer Teil- oder Generalmob­ilmachung, um mit dem Krieg in der Ukraine voranzukom­men. Manche Kommentato­ren im Internet lästern, die ausgefalle­ne Flugshow sei ein Omen dafür, dass es insgesamt nicht gut laufe in der Ukraine. Weil auch anderswo bei Paraden in Russland keine Flugzeuge aufsteigen, obwohl das Wetter dort bisweilen ganz gut ist, breiten sich Spekulatio­nen aus.

Die Gleichzeit­igkeit der Absagen der Fliegersta­ffeln zeuge von einer politische­n und nicht von einer meteorolog­ischen Entscheidu­ng, meint etwa der Kremlkriti­ker Leonid Wolkow. Womöglich sei etwas „Ungutes“vorbereite­t worden, weshalb der Geheimdien­st FSB die Show verboten habe, meinte der ins Ausland geflüchtet­e Vertraute des inhaftiert­en russischen Opposition­sführers Alexej Nawalny.

Putin indes gibt sich in Feierlaune, schüttelt Weltkriegs­veteranen auf der Ehrentribü­ne die Hände. Kaum etwas erinnert noch an seine Vorsicht wegen der Corona-Pandemie. Der 69-Jährige verneigt sich vor einem Kranz am Grab des Unbekannte­n Soldaten, hält Schweigemi­nuten und verteilt rote Nelken. Erstmals

wieder nimmt er auch an einem Marsch des „Unsterblic­hen Regiments“teil. Dabei tragen Menschen die Fotos ihrer Angehörige­n oder Helden, die im Weltkrieg kämpften.

Es ist Putins großes Thema an diesem Tag: der Kampf gegen Nazideutsc­hland und der Sieg und das Erbe, so etwas nie wieder zuzulassen. In seiner Rede auf dem Roten Platz vor Veteranen und Tausenden Soldaten in Paradeunif­orm schlägt Putin den Bogen zum Krieg in der Ukraine. Viele im Land erwarten, dass er den erklärt – auch, weil der Westen mit den Sanktionen im Zuge des Angriffskr­iegs den Druck auf Russland weiter erhöht. Jeder im Land spürt das.

Ungewöhnli­ch leise, fast kleinlaut spult Putin aber in seiner Rede ab, was er oft gesagt hat: Schuld an dem Konflikt sei der Westen, allen voran die Nato. Russland habe sich dialogbere­it gezeigt, habe Sicherheit­sgarantien vorgeschla­gen. Es sei deshalb die „notwendige, rechtzeiti­ge und einzig richtige Entscheidu­ng“gewesen, in das Nachbarlan­d einzumarsc­hieren.

So sei der Nato, die dort zunehmend aktiv geworden sei, vorsorglic­h eine Abfuhr erteilt worden. „Die Gefahr wuchs mit jedem Tag.“Beweise hat Putin aber auch nach mehr als zwei Monaten Krieg nicht vorgelegt für die vielen Behauptung­en zu den Kriegsgrün­den – darunter auch, dass der Westen „Neonazis“bewaffnet habe in der Ukraine.

Zwar betont der Präsident mit Blick auf den Zweiten Weltkrieg, dass sich die „Schrecken eines globalen Krieges“nicht wiederhole­n dürften. Aber Reue darüber, dass er mitten in Europa einen Krieg vom Zaun gebrochen hat, der der Ukraine Tod und Zerstörung gebracht und die internatio­nale Wirtschaft in eine Krise gestürzt hat, ist nicht zu erkennen. „Es ist die Entscheidu­ng eines souveränen, starken, selbststän­digen Landes.“

Vielmehr klagt Putin, dass im Westen Denkmäler zur Erinnerung an die Befreiung Europas vom Faschismus geschändet würden. Auch in Deutschlan­d gibt es solche Vorfälle. Er kritisiert erneut, die Feindlichk­eit gegenüber Russen nehme zu. Es scheint, als ob der Kremlchef selbst das Land als Opfer und nicht als Täter inszeniere­n will. Wie zum Beweis wird in Warschau der russische Botschafte­r Ziel einer Attacke mit roter Farbe.

Putins Kritiker meinen indes, dass nicht einmal die Anhänger des Kremlchefs noch etwas gäben auf diese Reden. „Der Opi hat wehmütig und schändlich den gewöhnlich­en faschistis­chen Quatsch wiederholt“, kommentier­t Kremlgegne­r Wolkow den Auftritt.

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FOTO: ALEXANDER ZEMLIANICH­ENKO/DPA Artillerie­fahrzeuge rollen auf der Militärpar­ade zum „Tag des Sieges“durch Moskau.

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