Putin beschuldigt Nato
Präsident rechtfertigt Krieg in Ukraine mit Bedrohung
MOSKAU/KIEW (dpa) - Der russische Präsident Wladimir Putin hat für seinen Krieg gegen die Ukraine die Angegriffenen selbst und die Nato verantwortlich gemacht. In seiner Ansprache bei der Moskauer Militärparade zum Jahrestag des Sieges über den Nationalsozialismus sagte er am Montag, das Militärbündnis habe über die Jahre eine „nicht hinnehmbare Bedrohung“geschaffen, gegen die sich Russland präventiv wehre. Anders als im Westen teils befürchtet, verkündete Putin aber keine Ausweitungen der von ihm so bezeichneten „militärischen Spezial-Operation“in der Ukraine.
Die Nato kündigte unterdessen an, Schweden und Finnland schnell aufzunehmen, falls sie dies wollten. Sollten sich die Länder für einen Antrag auf Nato-Mitgliedschaft entscheiden, dürfte das Zustimmungsverfahren innerhalb weniger Wochen abgeschlossen sein, hieß es am Montag aus Brüssel.
MOSKAU (dpa) -Die traditionelle Militärparade zum Tag des Sieges über Nazideutschland hätte für Kremlchef Wladimir Putin um einiges bombastischer laufen sollen. Der Oberbefehlshaber, der in der Ukraine einen international geächteten Angriffskrieg führt, nutzt zwar die Waffenschau am Montag zum 77. Jahrestag des Sieges der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg erwartungsgemäß als Machtdemonstration. Weil aber teils dicke Wolken über dem Roten Platz in Moskau hängen, muss eine Flugschau mit Kampfflugzeugen abgeblasen werden.
Kampfjets sollten am Himmel eigentlich den Buchstaben „Z“bilden, das Symbol für die „militärische Spezial-Operation“, wie der Krieg gegen die Ukraine offiziell genannt wird. Aber für viele bleibt dieser quasi heilige Feiertag des 9. Mai hinter den Erwartungen und Befürchtungen zurück. In Putins Rede kommt weder die Bezeichnung „militärische Spezial-Operation“vor, noch gibt es auf dem Roten Platz – im Gegensatz zu anderen öffentlichen Plätzen im Land – den Buchstaben „Z“auf den roten Bannern. Lediglich einzelne Sicherheitskräfte und Zuschauer haben sich das traditionelle orangeschwarze Sankt-Georg-Band in „Z“Form an die Brust geheftet. Manche schwenken an diesem kalten Frühlingstag Fahnen mit dem Buchstaben. Er steht unter anderem für „Za Pobedu“– „Für den Sieg“. Aber ein Sieg oder auch nur ein Ende der Kämpfe in der Ukraine ist auch an diesem Tag nicht in Sicht.
Allerdings bläst Putin auch nicht – wie im Westen befürchtet – zu einer Teil- oder Generalmobilmachung, um mit dem Krieg in der Ukraine voranzukommen. Manche Kommentatoren im Internet lästern, die ausgefallene Flugshow sei ein Omen dafür, dass es insgesamt nicht gut laufe in der Ukraine. Weil auch anderswo bei Paraden in Russland keine Flugzeuge aufsteigen, obwohl das Wetter dort bisweilen ganz gut ist, breiten sich Spekulationen aus.
Die Gleichzeitigkeit der Absagen der Fliegerstaffeln zeuge von einer politischen und nicht von einer meteorologischen Entscheidung, meint etwa der Kremlkritiker Leonid Wolkow. Womöglich sei etwas „Ungutes“vorbereitet worden, weshalb der Geheimdienst FSB die Show verboten habe, meinte der ins Ausland geflüchtete Vertraute des inhaftierten russischen Oppositionsführers Alexej Nawalny.
Putin indes gibt sich in Feierlaune, schüttelt Weltkriegsveteranen auf der Ehrentribüne die Hände. Kaum etwas erinnert noch an seine Vorsicht wegen der Corona-Pandemie. Der 69-Jährige verneigt sich vor einem Kranz am Grab des Unbekannten Soldaten, hält Schweigeminuten und verteilt rote Nelken. Erstmals
wieder nimmt er auch an einem Marsch des „Unsterblichen Regiments“teil. Dabei tragen Menschen die Fotos ihrer Angehörigen oder Helden, die im Weltkrieg kämpften.
Es ist Putins großes Thema an diesem Tag: der Kampf gegen Nazideutschland und der Sieg und das Erbe, so etwas nie wieder zuzulassen. In seiner Rede auf dem Roten Platz vor Veteranen und Tausenden Soldaten in Paradeuniform schlägt Putin den Bogen zum Krieg in der Ukraine. Viele im Land erwarten, dass er den erklärt – auch, weil der Westen mit den Sanktionen im Zuge des Angriffskriegs den Druck auf Russland weiter erhöht. Jeder im Land spürt das.
Ungewöhnlich leise, fast kleinlaut spult Putin aber in seiner Rede ab, was er oft gesagt hat: Schuld an dem Konflikt sei der Westen, allen voran die Nato. Russland habe sich dialogbereit gezeigt, habe Sicherheitsgarantien vorgeschlagen. Es sei deshalb die „notwendige, rechtzeitige und einzig richtige Entscheidung“gewesen, in das Nachbarland einzumarschieren.
So sei der Nato, die dort zunehmend aktiv geworden sei, vorsorglich eine Abfuhr erteilt worden. „Die Gefahr wuchs mit jedem Tag.“Beweise hat Putin aber auch nach mehr als zwei Monaten Krieg nicht vorgelegt für die vielen Behauptungen zu den Kriegsgründen – darunter auch, dass der Westen „Neonazis“bewaffnet habe in der Ukraine.
Zwar betont der Präsident mit Blick auf den Zweiten Weltkrieg, dass sich die „Schrecken eines globalen Krieges“nicht wiederholen dürften. Aber Reue darüber, dass er mitten in Europa einen Krieg vom Zaun gebrochen hat, der der Ukraine Tod und Zerstörung gebracht und die internationale Wirtschaft in eine Krise gestürzt hat, ist nicht zu erkennen. „Es ist die Entscheidung eines souveränen, starken, selbstständigen Landes.“
Vielmehr klagt Putin, dass im Westen Denkmäler zur Erinnerung an die Befreiung Europas vom Faschismus geschändet würden. Auch in Deutschland gibt es solche Vorfälle. Er kritisiert erneut, die Feindlichkeit gegenüber Russen nehme zu. Es scheint, als ob der Kremlchef selbst das Land als Opfer und nicht als Täter inszenieren will. Wie zum Beweis wird in Warschau der russische Botschafter Ziel einer Attacke mit roter Farbe.
Putins Kritiker meinen indes, dass nicht einmal die Anhänger des Kremlchefs noch etwas gäben auf diese Reden. „Der Opi hat wehmütig und schändlich den gewöhnlichen faschistischen Quatsch wiederholt“, kommentiert Kremlgegner Wolkow den Auftritt.