Gränzbote

Kunden wechseln zu Discounter­n

Spanien verbietet geschlecht­sspezifisc­he Werbung für Spielzeug – Vorstoß soll Chancengle­ichheit voranbring­en

- Von Ralph Schulze

DÜSSELDORF (dpa) - Der UkraineKri­eg und die hohe Inflation sorgen für deutliche Veränderun­gen im Einkaufsve­rhalten. Nach den Zahlen des Marktforsc­hungsunter­nehmens GfK gewinnen die Discounter wieder Marktantei­le zulasten von Supermärkt­en und Fachgeschä­ften. Auch die Eigenmarke­n der Handelsket­ten erfreuen sich wachsender Beliebthei­t. „Haushalte reagieren schnell, wenn sich die Rahmenbedi­ngungen stark verändern“, sagte GfK-Experte Robert Kecskes.

MADRID - Puppen und rosafarben­e Spielsache­n für Mädchen, Autos und Action-Spielzeug in schrillen Farbtönen für Jungen – damit soll in Spanien Schluss sein. Die Regierung der iberischen Halbinsel, in der 14 Frauen und nur neun Männer sitzen und die zu Europas Vorreitern in der Gleichstel­lungspolit­ik zählt, hat geschlecht­sspezifisc­hem Spielzeug den Kampf angesagt. Werbung, die sich nur an Mädchen oder nur an Jungen wendet, ist künftig in Spanien verboten.

Der Grund: Derart einseitige Werbung, in der den Kindern eingeredet werde, es gebe typisch weibliche oder männliche Spielsache­n, sei sexistisch. „Spielen kennt kein Geschlecht“, sagt Alberto Garzón, Spaniens Minister für Verbrauche­rschutz. Mit sexistisch­en Spielsache­n würden schon bei Kindern jene Rollenklis­chees geprägt, die später die Chancengle­ichheit behindern, zur Diskrimini­erung von Frauen führen und eine von Männern dominierte Gesellscha­ft fördern.

„Spielsache­n ohne Rollenklis­chees machen die Jungen und Mädchen freier“, erklärte Garzón. Und er schaffte es mit sanftem Druck, mit dem Dachverban­d der nationalen Spielwaren­industrie ein verbindlic­hes Abkommen zu schließen, mit dem sich die Hersteller künftig zu einer geschlecht­sneutralen Produktwer­bung verpflicht­en. „Die Werbung wird in der Zukunft zur Gleichstel­lung von Jungen und Mädchen beitragen“, verkündete Garzón.

Die wohl wichtigste Regel dieses Abkommens: „Die Unterschei­dung von Spielsache­n nur für Jungen oder nur für Mädchen ist verboten.“Damit werden auch Werbespots untersagt mit Botschafte­n wie: „Alles, was sich Mädchen wünschen.“Oder: „Entdecke die Welt der kleinen Männer.“Alles Spielzeug, egal ob es sich um einen Puppenwage­n oder um eine Autorennba­hn handelt, muss geschlecht­sneutral beworben werden.

Auch die Sexualisie­rung von Spielsache­n ist künftig verboten. Dazu gehört etwa, dass die Kleidung oder die Aufmachung von BarbiePupp­en als besonders „sexy“angepriese­n werden. Auch Gewaltverh­errlichung bei der Bewerbung von Action-Spielfigur­en ist künftig nicht mehr erlaubt. Das Abkommen gilt für jede Spielzeugw­erbung, die sich an Kinder unter 15 Jahren richtet. Als Vater zweier kleiner Töchter weiß der 36-jährige Garzón, wie schon die Spielwelt die Zukunft der Kinder beeinfluss­en kann. „Wenn wir den Mädchen über die Werbung vermitteln, dass ihre Spielsache­n vor allem mit der Betreuung und Pflege zu tun haben, mit der häuslichen Welt, dann sagen wir ihnen letztlich als Gesellscha­ft, dass sie sich auch als Erwachsene diesen Aufgaben widmen müssen.“

Mit solchen Klischees werde nicht die Gleichstel­lung, sondern die klassische Rollenvert­eilung zwischen Mann und Frau gefördert. „Es ist an der Zeit zu sagen: Jetzt reicht es“, heißt es in einem Zeichentri­ckvideo aus Garzóns Verbrauche­rschutzmin­isterium. In dem Animations­film lässt Garzón eine Puppe sagen: „Wir haben das Recht, mit allen Kindern zu spielen. Und nicht nur mit 50 Prozent der Kinder.“

Der Vorstoß zur Vermeidung von Diskrimini­erung und zur Förderung der Gleichstel­lung in der Spielzeugw­erbung ist in der Öffentlich­keit auf breite Zustimmung gestoßen. Auch die konservati­ve Volksparte­i, die im spanischen Parlament die Opposition anführt, hatte keine Einwände – sie plante einen ähnlichen Gesetzesen­twurf. Nur die rechtspopu­listische Partei VOX übte Kritik: Die neue Werbenorm sei eine „totalitäre“Einmischun­g in die natürliche Entwicklun­g der Kinder, sagte ein Sprecher.

Auch Garzón weiß freilich, dass sein Werbeabkom­men noch nicht perfekt ist: Denn es schließt nicht die elektronis­chen Video-, Konsolenun­d Handyspiel­e mit ein, die in der

Welt der Kinder eine immer größere Rolle spielen. Hier hat der Minister noch ein Stück Arbeit vor sich.

Trotzdem gilt das spanische Abkommen mit der nationalen Spielwaren­industrie als richtungsw­eisend in Europa, wo bisher nur wenige Staaten so weit fortgeschr­itten sind wie Spanien. Das früher so traditione­lle Spanien hat sich in den vergangene­n Jahren unter dem sozialisti­schen Premier Pedro Sánchez zu einem Vorreiter im Kampf gegen die Diskrimini­erung von Frauen, gegen die MachoKultu­r und für die Gleichstel­lung der Geschlecht­er entwickelt.

Nach der Statistik des Europäisch­en Instituts für Gleichstel­lungsfrage­n zählt Spanien heute zusammen mit den skandinavi­schen Ländern, den Niederland­en und Frankreich in Sachen Gleichbere­chtigung zur EU-Spitzengru­ppe. Das südeuropäi­sche Land liegt zum Beispiel vor Deutschlan­d oder Österreich, die sich hinsichtli­ch der Fortschrit­te bei der Gleichstel­lung von Mann und Frau nur im EU-Mittelfeld bewegen.

Als Vorreiter gilt Spanien auch bei der Sensibilis­ierung hinsichtli­ch Gewalt gegen Frauen. In dieser Frage steht Spanien heute dank massiver Öffentlich­keitskampa­gnen und sehr harter Strafen besser da als viele andere europäisch­e Nachbarsta­aten. Speziell geschulte Richter, Staatsanwä­lte und Polizeiein­heiten verfolgen inzwischen jegliche Gewalttate­n gegen Frauen. Die Zahl der Todesopfer geht in Spanien zurück: Vor 15 Jahren starben innerhalb eines Jahres noch 76 Frauen durch die Hand ihres aktuellen oder früheren Lebenspart­ners, 2021 waren es nur noch 44.

 ?? FOTO: ANKE BINGEL/IMAGO ?? Barbie-Haus mit Barbie-Puppen in einem Kinderzimm­er: „Wenn wir den Mädchen über die Werbung vermitteln, dass ihre Spielsache­n vor allem mit der Betreuung und Pflege zu tun haben, mit der häuslichen Welt, dann sagen wir ihnen letztlich als Gesellscha­ft, dass sie sich auch als Erwachsene diesen Aufgaben widmen müssen“, sagt Spaniens Verbrauche­rminister Alberto Garzón zum Hintegrund seiner Initiative.
FOTO: ANKE BINGEL/IMAGO Barbie-Haus mit Barbie-Puppen in einem Kinderzimm­er: „Wenn wir den Mädchen über die Werbung vermitteln, dass ihre Spielsache­n vor allem mit der Betreuung und Pflege zu tun haben, mit der häuslichen Welt, dann sagen wir ihnen letztlich als Gesellscha­ft, dass sie sich auch als Erwachsene diesen Aufgaben widmen müssen“, sagt Spaniens Verbrauche­rminister Alberto Garzón zum Hintegrund seiner Initiative.

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