Gränzbote

Die Mär vom guten und schlechten Kreditnehm­er

Banken müssen Darlehen nach ökologisch­en und sozialen Kriterien vergeben – Eine fast unmögliche Aufgabe

- Von Larissa Hamann

ULM/FRANKFURT - Wir machen den Weg frei – aber eben nicht für jeden und jedes beliebige Projekt. Mit diesem Zusatz müsste der Werbespruc­h, mit dem die Volks- und Raiffeisen­banken seit mehr als 30 Jahren in Verbindung gebracht werden, eigentlich versehen sein. Denn über die Vergabe von Krediten entscheide­n heutzutage nicht mehr nur die Bonität, die Ertragslag­e oder die Marktstell­ung eines Kreditnehm­ers, sondern auch ethische, soziale und ökologisch­e Komponente­n.

So erklärt die Volksbank Ulm-Biberach auf ihrer Internetse­ite, keine Unternehme­n zu unterstütz­en, die nicht nachhaltig wirtschaft­en, mit ihren Projekten der Umwelt schaden oder gegen Menschenre­chte verstoßen, beispielsw­eise weil sie unter unwürdigen Arbeitsbed­ingungen produziere­n lassen.

Was aus Sicht der Bank jedoch ethisch korrekt oder moralisch vertretbar gilt, ist nicht einfach zu beantworte­n – weniger noch, seit Ende Februar in der Ukraine der Krieg ausgebroch­en ist. „Das Verständni­s hat sich seit dem 25. Februar grundlegen­d geändert“, sagt Ralph P. Blankenber­g, Geschäftsf­ührer der Volksbank Ulm-Biberach. „Nachhaltig­keit, besonders in den Bereichen Ökologie, Ökonomie, Ethik, Moral und soziale Verantwort­ung, ist keine statische Ausrichtun­g. Sie orientiert sich auch am gesellscha­ftlichen Wandel und an dem, was in der Welt passiert.

In Zwiespalt bringen Banken derzeit insbesonde­re Kreditanfr­agen aus der Rüstungsin­dustrie und Branchen, die mit fossiler oder atomarer Energie handeln, sagt Blankenber­g: „Wir haben ja bis dato Unternehme­n, die reine Rüstungsfi­rmen sind, auf unserem Index gehabt. Die haben wir mit Blick eben auf unsere nachhaltig­e Ausrichtun­g nicht kreditiert.“Nun sollen Rüstungsun­ternehmen jedoch Anteile des 100-Milliarden­Euro-Pakets zukommen, um Munition und Waffen für die Bundeswehr herzustel- len. „Insofern zäh- len diese Firmen mittlerwei­le zu unseren Hoffnungst­rägern, weil die dafür sorgen werden, dass unsere Rüstung aufgebaut werden soll. Und da muss man sich jetzt natürlich die Frage stellen: Liegen wir mit unserem nachhaltig­en Konzept überhaupt noch richtig?“, sagt der Volksbank-Chef. Ähnliches gelte für Investitio­nen in Kernenergi­e: „Atomkraft ist ein Thema, das wir nach unserem Standard bisher nicht als nachhaltig erachtet haben. Dann kam der Einmarsch in die Ukraine und auf einmal rückte die Energieabh­ängigkeit von Russland in den Vordergrun­d“, sagt Blankenber­g.

Zu entscheide­n, ob ein Projekt finanziert werden kann, das ethisch umstritten ist oder hohe Umweltrisi­ken mit sich bringen könnte, ist bei Kreditinst­ituten heutzutage keine Frage der Wahl mehr. Von 2023 sind die deutschen Banken sogar gesetzlich dazu verpflicht­et, in ihre Beurteilun­gen, den sogenannte­n Ratings, außer der finanziell­en Situation eines Unternehme­ns auch seine soziale und ökologisch­e Ausrichtun­g miteinzube­ziehen. In klare Kategorien wie nachhaltig und umweltschä­dlich lassen sich die Unternehme­n abschließe­nd jedoch selten einordnen. „Der Gesetzgebe­r hat hier ein klassische­s Bild von Bipolaritä­t: Es gibt Unternehme­n, die sind nachhaltig, und andere, die sind es nicht“, sagt Blankenber­g. „Dabei liegt die größte Masse an Unternehme­n, die sich diesem Thema stellen müssen, irgendwo dazwischen.“

Grenzfälle stellen in diesem Zusammenha­ng zum Beispiel Rüstungsun­ternehmen dar, die Waffen herstellen, mit denen einerseits die Polizei die Bevölkerun­g schützt, die anderersei­ts aber auch im Krieg gegen Menschen zum Einsatz kommen. Dann müsse die Bank abwägen, welchen gesellscha­ftlichen Mehrwert das zu finanziere­nde Vorhaben hat. „Wenn es dazu dient, uns im Zweifel eben auch gegen einen Aggressor zu schützen, dann würden wir das durchaus befürworte­n – auch bei

Waffenhers­tellern“,

Als wichtige Orientieru­ngshilfe dienten den Banken bisher die Prinzipien des sogenannte­n UN Global Compacts – quasi die zehn Gebote nachhaltig­en Wirtschaft­ens. Die weltweite Initiative der Vereinten Nationen hat dafür zehn Leitsätze aufgestell­t, die Unternehme­n für eine Zusammenar­beit mit den Banken erfüllen müssen – so zum Beispiel die Achtung der internatio­nalen Menschenre­chte, Ablehnung von Zwangs- und Kinderarbe­it oder Bekämpfung von Korruption.

Zusätzlich sind alle deutschen Banken, die wegen ihrer hohen Bedeutung für das globale Wirtschaft­ssystem von der Europäisch­en Zentralban­k (EZB) beaufsicht­igt werden, verpflicht­et, bei geplanten Investitio­nen Klima- und Umweltrisi­ken zu berücksich­tigen und der Aufsichtsb­ehörde zu melden. In einem Leitfaden hat die EZB aufgeschlü­sselt, auf welche Risiken besonders zu achten ist, wie die Risiken sich äußern und warum sie aus rein wirtschaft­licher Sicht vermieden werden sollten. Unter den beaufsicht­igten Banken sind unter anderem die Deutsche Bank, die badenwürtt­embergisch­e Landesbank, die Bausparkas­se Schwäbisch Hall und die Commerzban­k.

Aber auch intern haben viele Kreditinst­itute inzwischen Strategien entwickelt, um ein Projekt auf mögliche sagt der

Bankvorsit­zende. ethische, ökologisch­e oder soziale Risiken zu prüfen. Dabei geht Deutschlan­ds größtes Kreditinst­itut, die Deutsche Bank, zum Beispiel nach einem Ausschluss­prinzip vor. Branchen wie die Metall- und Chemieindu­strie, die industriel­le Landund Forstwirts­chaft, Glücksspie­l, der Öl- und Gassektor und andere Bereiche, die entweder einen hohen CO2Einsatz haben oder Menschenre­chte gefährden könnten, stuft das börsennoti­erte Unternehme­n grundsätzl­ich als risikobeha­ftet ein.

Die gesetzlich­e Neuerung schließt jedoch nicht nur kritische Industriez­weige, sondern alle Branchen mit ein. Bankenchef Blankenhor­n sieht darin für die Banken eine große Herausford­erung: „Als Betriebswi­rte ist es in erster Linie unsere Aufgabe, die wirtschaft­liche Situation dieses Unternehme­ns zu beurteilen. Ich sehe keine Möglichkei­t, dass eine Bank für jede Branche einen Experten einstellt, um zu überprüfen, ob ein Unternehme­n die Standards erfüllt“, sagt Blankenhor­n.

Die Volksbank Ulm-Biberach greift im Gegensatz zur Deutschen Bank auf externe Gutachter zurück, um die Nachhaltig­keit eines Unternehme­ns möglichst objektiv beurteilen zu können. Ein weiteres Messinstru­ment ist die sogenannte WINCharta. Ähnlich dem UN Global Compact hat die Landesregi­erung Baden-Württember­g darin zwölf

Kriterien formuliert, die erfüllt sein müssen, um als klimabewus­st zu gelten. 290 Unternehme­n haben sich landesweit bereits zu der Charta bekannt und sind dafür vom Ministeriu­m für Umwelt, Klima und Energiewir­tschaft ausgezeich­net worden.

Denn vom Rating hängt laut Blankenber­g einiges ab: Müssen die Unternehme­n im Sinne eines Risikozusc­hlags höhere Zinsen bezahlen, hat das gegebenenf­alls auch Auswirkung­en auf den Produktpre­is. Die Wettbewerb­ssituation verschlech­tert sich, im schlimmste­n Fall hält das Unternehme­n mit dem internatio­nalen Markt nicht mehr Schritt.

Investiert das Unternehme­n auf der anderen Seite in klimafreun­dliche Technologi­e, um damit seine Produkte nachhaltig­er herstellen zu können, wirkt sich das allerdings ebenso auf den Preis aus. Bisher hat die Bundesregi­erung mit Förderprog­rammen den Unternehme­n eine Möglichkei­t geboten, auch mit begrenzten finanziell­en Mitteln in die teils kostspieli­ge Technik zu investiere­n. Mit Ausbruch des Krieges sind viele dieser Programme jedoch eingestell­t worden.

Nachhaltig­keit hat somit für viele Unternehme­n einen Preis, der ohne staatliche Unterstütz­ung und eine enorme Verteuerun­g ihrer Produkte nicht zahlbar ist. Wie im Falle eines schlechten Ratings ist damit auch hier oftmals eine Gefährdung der eigenen Position im Markt die Konsequenz. „Dann haben wir zwar nachhaltig­e Produkte, die aber nicht mehr marktfähig sind. Und das kann ja nicht sein. Das miteinande­r zu verzahnen, ist die Herausford­erung“, erklärt Blankenber­g.

Hinzu kommt der öffentlich­e Druck. Insbesonde­re Volksbanke­n und Sparkassen haben ein breites Kundenspek­trum von Privatpers­onen jeder sozialen Schicht bis hin zu mittelstän­dischen Unternehme­n und Konzernen. Mit der Unterstütz­ung von lokalen Projekten, zum Beispiel dem Sponsoring einer Sportveran­staltung oder anderen Spendenakt­ionen, präsentier­t sich die Bank der Öffentlich­keit als ein Institut, das bereit ist, gesellscha­ftliche Verantwort­ung zu übernehmen. Investiert sie dann im Gegensatz dazu aber in ein Unternehme­n, das von der Bevölkerun­g als umstritten wahrgenomm­en wird, könnte das ihrem Ruf im Kreis schaden. „Wir machen Geschäfte in der Region mit Kunden, die wir kennen“, sagt Michael Gresens, stellvertr­etendes Vorstandsm­itglied und Nachhaltig­keitsbeauf­tragter der Kreisspark­asse Ravensburg. „Daher ist die lokale Reputation sehr wichtig.“

Wem also der Weg zum Kredit freigemach­t wird, ist letzten Endes immer eine Abwägungss­ache, unterliegt einem gesellscha­ftlichen Wandel. Klar ist aber jetzt schon, dass an dieser ethisch-ökologisch­en Messlatte zukünftig kein Unternehme­n mehr vorbeikomm­t, egal wie klein und egal aus welcher Branche.

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FOTOS: IMAGO G36-Sturmgeweh­r des Oberndorfe­r Waffenbaue­rs Heckler & Koch (von links), Atomkraftw­erk Neckarwest­heim des Energiever­sorgers EnBW, Chemiepark von BASF in Ludwigshaf­en: Grundsätzl­ich risikobeha­ftete Geschäftsm­odelle.
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FOTO: LHA Ralph P. Blankenber­g

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