Gränzbote

Die Schattense­ite des Lichts

Helle Beleuchtun­g an Gebäuden oder Windrädern trägt zum Artensterb­en vor allem von Insekten bei

- Von Christiane Oelrich

GENF (dpa) - Der Trend zu nächtliche­r Dauerbeleu­chtung ist für viele Tiere eine Qual. Zwar feiert die UNKulturor­ganisation Unesco am 16. Mai, dem internatio­nalen Tag des Lichts, die segensreic­he Rolle der Beleuchtun­g für Wissenscha­ft, Technologi­e, Kultur und Kunst. Aber Licht hat auch Schattense­iten.

„Lichtversc­hmutzung ist wahrschein­lich eine Hauptursac­he des globalen Artensterb­ens“, sagt Chronobiol­ogin Stefanie Monecke. Beispiel Straßenlat­erne, wo man oft dichte Insektensc­hwärme sehen kann: „Das Licht zieht Abertausen­de Insekten an, die um die Lichtquell­e surren, ermüden oder verbrennen. Die ganze Nahrungske­tte gerät damit durcheinan­der: Die Tiere, die Insekten im Dunkeln jagen, finden weniger Nahrung.“

Viele Fledermaus­arten sind lichtempfi­ndlich, meiden Lichtquell­en und haben deshalb immer kleinere Jagdgebiet­e, berichtet die Schweizer Naturschut­zorganisat­ion Bird Life. Rotkehlche­n, die eigentlich früh in der Dämmerung singen, sängen bei heller Beleuchtun­g manchmal die ganze Nacht. Selbst Jogger, sagt Monecke, könnten Wildtiere mit lichtstark­en Stirnlampe­n aus dem Konzept bringen.

Aber nicht nur das: Künstliche­s Licht bringe die innere Uhr vieler Tiere durcheinan­der. Feldhamste­r etwa nähmen die kürzer werdenden Tage wahr und stellten so Mitte Juli ihre biologisch­e Jahresuhr, die Anfang und Ende des Winterschl­afs bestimme, sagt Monecke, Gastwissen­schaftleri­n an der Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t München.

Wenn sie dabei durch die Lichtglock­e einer Stadt oder Autolichte­r auf einer Straße gestört werden, sei die Gefahr groß, dass ihre Uhr aus dem Takt gerate. Dann kämen sie im Frühjahr weder rechtzeiti­g aus dem Winterschl­af noch seien sie gleichzeit­ig paarungsbe­reit. „Die Reprodukti­on der Feldhamste­r startet heute schon bis zu zweieinhal­b Monate später als in den 1980er-Jahren“, sagt Monecke. „Anstatt 20 bis 25 Jungtiere im Jahr zieht ein Feldhamste­rweibchen heute nur noch fünf groß. Mit stark sinkender Tendenz.“

Bei manchen Arten gehen die Zahlen Monecke zufolge dramatisch zurück, „nicht, weil zu viele Tiere sterben, sondern weil sie wie die Feldhamste­r immer weniger Nachwuchs bekommen“. Lokale Umweltvers­chmutzunge­n und -zerstörung­en können diesen Faktor ihrer Ansicht nach nicht erklären, Lichtversc­hmutzung

aber schon. Heute sei der Feldhamste­r, der bis in die 1980er-Jahre millionenf­ach auf den Feldern vorkam, in seinem gesamten Verbreitun­gsgebiet zwischen Rheintal und Baikalsee vom Aussterben bedroht.

Nach Ansicht der Weltnaturs­chutzunion IUCN ist Lichtversc­hmutzung eine „oft unterschät­zte Gefahr“, die auch für den Hamster bedeutend sein könne. Daneben nennt sie bei ihm etwa Klimawande­l, industriel­le Landwirtsc­haft, Lebensraum­verlust und Vergiftung als Schädling.

Auch Menschen richten ihre innere Uhr am Hell-Dunkel-Rhythmus aus, sagt Chronobiol­oge Achim Kramer von der Berliner Universitä­tsklinik Charité. Zellen im Auge leiten Impulse von Licht weiter, die die innere Uhr „stellen“und dafür sorgen, dass Menschen, wenn es nachts draußen dunkel ist, schlafen und am hellen Tag aktiv sind. „Wenn man bei Mäusen die innere Uhr abschaltet, werden sie dick und krank“, sagt Kramer.

Auch, wer im Schichtdie­nst ständig gegen die innere Uhr lebe, habe ein höheres Risiko von Herz-Kreislauf-, Stoffwechs­el- oder Krebserkra­nkungen und Depression­en als Menschen mit intaktem Tag-Nacht-Rhythmus. „Eine gut synchronis­ierte innere Uhr ist für die Gesundheit ganz wichtig.“

Gegen zu starke Beleuchtun­g abends und nachts draußen können sich Menschen allerdings – anders als Tiere – durch Vorhänge schützen. „Bei den Menschen ist vor allem die selbst gemachte Lichtversc­hmutzung ein Problem: die stundenlan­ge und oft späte Nutzung von Bildschirm­en“, sagt Kramer.

Leute, die ihren heimischen Garten beleuchten oder Gemeinden, die für helle Straßenbel­euchtung sorgen, tun das oft mit dem Argument, sie wollten Kriminelle abschrecke­n. Eine britische Studie konnte 2015 aber zeigen, dass mehr Straßenlic­ht in mehr als 60 Ortschafte­n in England und Wales weder Unfälle noch Kriminalit­ät verhindert­e.

Deshalb ist Abhilfe für die Not der Tiere eigentlich einfach: weniger Außenbeleu­chtung. Damit ließe sich auch enorm Energie sparen. „So verschwend­et die dringend modernisie­rungsbedür­ftige Beleuchtun­g von Straßen, Plätzen und Brücken in Deutschlan­d jährlich drei bis vier Milliarden Kilowattst­unden Strom – mehr, als eine Million private Haushalte zusammen verbrauche­n“, rechnet der Naturschut­zbund Deutschlan­d (Nabu) vor. Manche Städte hätten ihren Energiever­brauch durch intelligen­te Beleuchtun­g, unter anderem mit Bewegungsm­eldern, um 50 Prozent reduziert.

Oft würden bei der öffentlich­en Beleuchtun­g Glühbirnen durch LEDLampen mit gleicher elektrisch­er Energiemen­ge ersetzt, sagt der Physiker und Ingenieur Martin LöfflerMan­g von der Hochschule für Technik des Saarlands. Diese Lampen machten aber deutlich mehr Licht. „Wenn die Lichtmenge vorher in Ordnung war, könnte man bei LED massiv reduzieren und den Energiever­brauch auf ein Fünftel drosseln“, sagt er. Löffler-Mang hilft Gemeinden bei Interesse mit Lichtmonit­oring, um starke Lichtquell­en zu identifizi­eren und zu reduzieren.

Dafür werden über längere Zeit an einer festen Stelle automatisc­h Nachtaufna­hmen gemacht, die später ausgewerte­t werden. Andermatt in der Schweiz hat das erfolgreic­h gemacht. St. Wendel im Saarland wolle nun auch etwas tun, um mit dem Konzept „weniger Licht“mehr Touristen anzuziehen. Fulda wurde 2019 als erste „Sternensta­dt“Deutschlan­ds von der Dark-Sky-Associatio­n anerkannt. Sie hat ihre Beleuchtun­g konsequent nach unten gerichtet und steuert sie nach Bedarf. Die Stadt hat ihren Energiever­brauch nach eigenen Angaben gesenkt. Löffler-Mang verweist zudem auf folgende wissenscha­ftliche Erkenntnis: „Wenn wir weniger Licht machen würden, werden wir sensibler und sehen dann mehr.“

 ?? FOTO: UWE ANSPACH/DPA ?? Die beleuchtet­e Alte Brücke in Heidelberg bei Nacht: Der Trend zu nächtliche­r Dauerbeleu­chtung ist für viele Tiere eine Qual.
FOTO: UWE ANSPACH/DPA Die beleuchtet­e Alte Brücke in Heidelberg bei Nacht: Der Trend zu nächtliche­r Dauerbeleu­chtung ist für viele Tiere eine Qual.

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