Ausflug ins 17. Jahrhundert
Neues Globe Theater aus Potsdam zeigt in der Stadthalle die Komödie „Die Streiche des Scapin“
TUTTLINGEN - Fulminanter Schlusspunkt der Theatersaison 2021/22 in der Stadthalle: Das Neue Globe Theater aus Potsdam gastierte mit der Komödie „Die Streiche des Scapin“und entführte rund 250 Besucher mitten ins 17. Jahrhundert.
400 Jahre ist es her, dass Jean-Baptiste Poquelin in Paris zur Welt kam. Nach dem Jurastudium wurde er unter dem Alias „Molière“Schauspieler, Regisseur und Theaterdichter – und zu einem französischen Nationalhelden. Vor genau vier Jahren inszenierte Kai Frederic Schrickel, einer der Mitbegründer des Globe, Molières 351 Jahre alte „Fouberies“des durchtriebenen Dieners Scapin. Raffiniert hatte der Regisseur die „Streiche“in ein weiteres Werk Molières gewickelt. Beim „Stegreifspiel von Versailles“von anno 1663 erlebt der Zuschauer hautnah, vor welchen Problemen ein Theaterimpresario damals stand – und vermutlich auch heute noch steht: enormer Zeitdruck, maulende Schauspieler, knappe Finanzen und „Druck von oben“.
Der 32-jährige Kilian Löttger schlüpft in die Rolle Molières, der sich gezwungen sieht, wartendes Publikum zu unterhalten. Doch ach, sein neues Stück ist nicht fertig. Kurzerhand bestimmt der Chef der Truppe, dass die „Streiche“aufgeführt werden. Flugs wird der Gönner der Truppe, Marquis de la Thorillière, verpflichtet. Dierk Prawdzik trägt das mit Fassung und interpretiert sowohl den Marquis als dann auch im Hauptstück den jungen Léandre stoisch. Auch wenn sich die Perücke mal selbständig macht. Sein Hauptproblem: Er braucht dringend Geld, 500 Louis d’or fordern Zigeuner für Zerbinetta, in die sich Léandre verliebt hat, während sein Vater Géronte (Schrickel spielt diese Rolle selbst) auf Geschäftsreise war. Der Diener Sylvestre (Alexander Jaschik) hat das nicht verhindern können. Zerbinetta wird überzeugend dargestellt von Schauspielerin Petra Wolf, die auch noch eine Amme und eine schier verzweifelnde Souffleuse spielt.
Ganz ähnlich ist die Lage im Haus von Argante, einem reichen Geschäftsfreund Gérontes. Andreas Erfurt mimt den alten Geizkragen, dessen Sohn Oktave (Laurenz Wiegand) in Abwesenheit des Herrn Papa gar geheiratet hat: Giacinta, bildhübsch, aber mittellos, wird von Anja Lemmermann mit Liebreiz dargestellt. Oktave schlottern die Knie, er fleht den Hausdiener Scapin um Hilfe an. Die Titelrolle spielt ebenfalls Kilian Löttger, mit Witz und Körpereinsatz.
Zum Ende der Farce hatte Molière arg tief in die Zufallskiste gegriffen: Die beiden Bräute entpuppen sich als Töchter von Argante (als Kleinkind von Zigeunern entführt) und Géronte (auf Reisen in Bella Italia gezeugt). Doch das störte das Tuttlinger Publikum nicht im Geringsten. Es goutierte auch diese überraschende Wendung, applaudierte minutenlang kräftig.