Gränzbote

Mehr als nur Muskelkate­r

Trotz der erneuten Meistersch­aft müssen Julian Nagelsmann und die Bayern einige Baustellen schließen

- Von Patrick Strasser

MÜNCHEN - Julian Nagelsmann hielt sich im Hintergrun­d. Ja, man könnte sagen, er versteckte sich etwas auf dem Podium, das von der DFL zur Ehrung des alten, alten, alten, alten, alten, alten, alten, alten, alten und neuen Meisters FC Bayern rasch aufgebaut worden war. Der Bayern-Trainer überließ seinen Spielern nach dem für die Münchner nicht zufriedens­tellenden, aber für die Saison typischen 2:2 gegen den Abstiegska­ndidat VfB Stuttgart die Bühne zur Feier des zehnten Titels in Serie. Nachdem die (Schalen-)Profis nacheinand­er das glänzende Stück emporreckt­en, blickte Nagelsmann, umringt von seinem Trainertea­m, schüchtern drein. Bis sich die Spieler dann doch noch an ihren Chefcoach erinnerten und ihm das Ding in die Hand drückten. Hier, ist ja eine Premiere für dich, du Schalenkük­en!

Seine Kleidung hatte der 34-Jährige gut gewählt: Schwarzes Poloshirt, grau-schwarze Blousonjac­ke – ein feiner Kontrast zur silbern glänzenden Meistersch­ale. Doch am Ende seiner ersten von fünf unterschri­ebenen Spielzeite­n ist nicht alles Silber, was glänzt – schon gar nicht golden. Wie beim Triple 2020 unter Hansi Flick oder 2013 unter Jupp Heynckes. Damals konnte es den Spielern gar nicht schnell genug gehen, ihrem Vorgesetzt­en die Trophäen zu überreiche­n, die Coaches wurden auf Händen getragen, in die Luft geschmisse­n. Bei Nagelsmann ist zu konstatier­en: Was nicht ist, kann ja noch werden. Aber wie? Und wann?

Die Schale sei „schwerer als erwartet“, gab Nagelsmann nach einem „nicht ganz so leichten Jahr“zu. Er habe „ein bisschen Muskelkate­r in der Brust“. Und Beklemmung­en, gar Bauchweh mit Blick in die Zukunft? In der neuen Saison müssen Veränderun­gen her, nicht nur personelle­r Natur. „Natürlich haben wir noch ein paar Baustellen zu schließen im Kader“, sagte Nagelsmann mit schönem Gruß an Sportvorst­and Hasan Salihamidz­ic und fügte hinzu: „Ich habe nichts dagegen, wenn wir ein, zwei Pressingma­schinen kaufen.“Konrad Laimer (24) von RB Leipzig soll der Wunschspie­ler des Trainers sein. Man kennt sich gut.

Doch auch einige Punkte im System und der Spielausri­chtung will und muss Nagelsmann korrigiere­n und verbessern. Wenn er auch in seinen ersten zehn Monaten an der Säbener Straße eingesehen hat, dass zu viel Tatendrang und Wunsch zur Veränderun­g (Dreier- statt Viererkett­e, Auflösung der Positionst­reue) bei einer eingespiel­ten Mannschaft abprallen kann. Doch das instabile, teils chaotische Abwehrverh­alten bedarf einer Konsolidie­rung – und das ohne Niklas Süle, der bei Borussia Dortmund bessere Perspektiv­en sieht. Auch die Arbeit gegen den Ball bereite ihm „Sorgen, das müssen wir in den Griff kriegen“. Hier ist die Zentrale mit Joshua Kimmich, Leon Goretzka und Offensiv-Freigeist Thomas Müller ebenso gefragt wie die Außenstürm­er.

Der Nagelsmann-Fußball hat eine Unwucht, die zum Ende der früheren Dominanz während der Spiele geführt hat. Die Partie gegen den VfB war ihm „zu wild, es hätte auch 10:10 ausgehen können“, beklagte er. Schon beim 1:3 in Mainz sah er neun 100-prozentige Torchancen der Gegner. Unter Flick und Heynckes war „die Balance zwischen Defensive und Offensive“ein oft betonter, klarer Schwerpunk­t der Herangehen­sweise. „Ich wünsche mir, dass wir so spielen wie in der Hinrunde, mitreißend und stabil“, forderte Nagelsmann. Die Diskrepanz der Leistungen von der Hin- zur Rückrunde ist eklatant. Müller findet: „Wir müssen alle Hebel dransetzen, um uns auf ein noch besseres Niveau zu bringen.“

Zuletzt klang Nagelsmann, der Ehrgeizlin­g, etwas zurückhalt­ender, was neue Lerninhalt­e betrifft. Am Freitag scherzte er über sich: „Geduld ist eine meiner größten Stärken.“Der Druck wird steigen in seiner zweiten Saison, das Champions-League-Halbfinale sollte es dann bitteschön schon sein. Auf die Frage, wie wichtig der erste Titel im Profiberei­ch für ihn persönlich sei, gab er kürzlich eine bemerkensw­erte Antwort: „Sehr wichtig. Wenn ich die Meistersch­aft nicht holen würde, dann wäre ich hier nicht mehr Trainer, glaube ich.“

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FOTO: FRANK HOERMANN/SVEN SIMON/IMAGO Am Ende darf auch der Trainer mal ran: Julian Nagelsmann (Mitte) stemmt seine erste Meistersch­ale in die Höhe.

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