Gränzbote

Premier auf Abruf

- Von Sebastian Borger politik@schwaebisc­he.de

Die Vertrauens­abstimmung über den Regierungs­chef hat eine tiefe Spaltung der britischen Regierungs­partei offenbart. Dabei geht es kaum um Inhaltlich­es, sondern vor allem um Boris Johnson. Der galt früher als charismati­scher Wahlsieger – einer, der gesellscha­ftliche Gruppen ansprechen und von sich überzeugen kann, die den Konservati­ven normalerwe­ise verschloss­en bleiben. Bestes Beispiel dafür waren seine beiden Wahlsiege in der Hauptstadt London, die traditione­ll den Sozialdemo­kraten zuneigt. Auch der Sieg bei der Unterhausw­ahl 2019 ging auf sein persönlich­es Konto.

Die Regierungs­realität hat viele Konservati­ve unterschie­dlicher ideologisc­her Prägung nun aber tief enttäuscht. Johnson und sein überwiegen­d mit mediokren Jasagern besetztes Kabinett haben bis auf den EU-Austritt kaum etwas zu Wege gebracht. Dauernd werden einmal beschlosse­ne Entscheidu­ngen umgestoßen. Hinterbänk­ler müssen hirnrissig­e Vorhaben unterstütz­en, die zwei Tage später kassiert werden. Die britische Politik spiegelt den Chef wider, der sich einst selbst als „Einkaufswa­gen mit schiefen Rädern“charakteri­sierte.

In der Corona-Pandemie kamen die zahlreiche­n Lockdown-Partys hinzu. Johnson verbittert­e das Land mit albernen Ausflüchte­n, ließ jede Führungskr­aft vermissen. Genug davon, fanden nun zwei Fünftel seiner Fraktionsm­itglieder, von denen viele dem Chef das Mandat verdanken.

Nach der harten Kritik an der Saufkultur in der Downing Street hätte sich Johnson reumütig und gesprächsb­ereit zeigen können. Dass er dies ausdrückli­ch nicht tat, hat auch viele von denen verstört, die ihm für den Brexit dankbar sind. Auch nach der Vertrauens­abstimmung macht der Premiermin­ister scheinbar unbeirrt einfach weiter, und das Kabinett nickt dazu. Wie lang das noch gutgehen kann? Am Horizont stehen zwei Nachwahlen, beide Bezirke dürften die Torys verlieren. Spätestens dann wird die Diskussion wieder aufleben, die das knappe Votum vom Montag nur überdeckt. Boris Johnsons Tage im höchsten Regierungs­amt der Insel sind gezählt.

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