Premier auf Abruf
Die Vertrauensabstimmung über den Regierungschef hat eine tiefe Spaltung der britischen Regierungspartei offenbart. Dabei geht es kaum um Inhaltliches, sondern vor allem um Boris Johnson. Der galt früher als charismatischer Wahlsieger – einer, der gesellschaftliche Gruppen ansprechen und von sich überzeugen kann, die den Konservativen normalerweise verschlossen bleiben. Bestes Beispiel dafür waren seine beiden Wahlsiege in der Hauptstadt London, die traditionell den Sozialdemokraten zuneigt. Auch der Sieg bei der Unterhauswahl 2019 ging auf sein persönliches Konto.
Die Regierungsrealität hat viele Konservative unterschiedlicher ideologischer Prägung nun aber tief enttäuscht. Johnson und sein überwiegend mit mediokren Jasagern besetztes Kabinett haben bis auf den EU-Austritt kaum etwas zu Wege gebracht. Dauernd werden einmal beschlossene Entscheidungen umgestoßen. Hinterbänkler müssen hirnrissige Vorhaben unterstützen, die zwei Tage später kassiert werden. Die britische Politik spiegelt den Chef wider, der sich einst selbst als „Einkaufswagen mit schiefen Rädern“charakterisierte.
In der Corona-Pandemie kamen die zahlreichen Lockdown-Partys hinzu. Johnson verbitterte das Land mit albernen Ausflüchten, ließ jede Führungskraft vermissen. Genug davon, fanden nun zwei Fünftel seiner Fraktionsmitglieder, von denen viele dem Chef das Mandat verdanken.
Nach der harten Kritik an der Saufkultur in der Downing Street hätte sich Johnson reumütig und gesprächsbereit zeigen können. Dass er dies ausdrücklich nicht tat, hat auch viele von denen verstört, die ihm für den Brexit dankbar sind. Auch nach der Vertrauensabstimmung macht der Premierminister scheinbar unbeirrt einfach weiter, und das Kabinett nickt dazu. Wie lang das noch gutgehen kann? Am Horizont stehen zwei Nachwahlen, beide Bezirke dürften die Torys verlieren. Spätestens dann wird die Diskussion wieder aufleben, die das knappe Votum vom Montag nur überdeckt. Boris Johnsons Tage im höchsten Regierungsamt der Insel sind gezählt.