Verfahren gegen Volksverhetzung eingestellt
Auch das Alter des angeklagten Bloggers wird von der Staatsanwaltschaft berücksichtigt
OFFENBURG/SPAICHINGEN - Vor allem wegen der Tatsache, dass die angeklagten Taten der Volksverhetzung bereits vor sechs Jahren verübt worden waren, und der Mann seither straffrei gewesen war, hat das Landgericht Offenburg das Berufungsverfahren gegen einen heute 80-jährigen Internet-Blogger vorläufig nach Paragraf 153a/Absatz 2 der Strafprozessordnung eingestellt. Absatz 2 bedeutet: Der Mann muss eine Geldauflage von 1800 Euro an den Opferentschädigungsund Wiedergutmachungsfonds des Hauses des Jugendrechts in Lahr bezahlen.
Damit ist eine Kette an abgehaltenen und abgesagten Verhandlungen vorläufig zu Ende, die mit einem Einspruch gegen einen Strafbefehl begonnen hatte. Den hatte der Angeklagte nicht akzeptiert und so landete das Verfahren zunächst beim Amtsgericht Lahr.
Der heute 80-jährige Mann hatte im Zuge der Diskussion um die Flüchtlingspolitik der Regierung nach 2015 unter anderem von „Umvolkung“geschrieben, „Hier ist nicht Kanakenland“, „importierten Gesocks“„nach Hause!“und Gemeinschaftsunterkünfte als „Verbrecherzentren“bezeichnet und gefragt, wann der Import von Kriminellen gestoppt würde.
Denkingens Bürgermeister Rudolf Wuhrer hatte die Staatsanwaltschaft Offenburg auf die Äußerungen des Bloggers hingewiesen, die dann ermittelte. Volksverhetzung ist ein Offizialdelikt, dazu braucht es keine Anzeige, der Staat muss wie bei Körperverletzung oder Tötungsdelikten von sich aus ermitteln. Der Blogger hat Verbindungen auch in die Spaichingen Politik gehabt (unter anderem Berater des damaligen Landtagsabgeordneten Leo Grimm) und das Geschehen im Landkreis Tuttlingen stetig auf seinem Blog kommentiert.
Das Amtsgericht Lahr folgte den Ausführungen des damaligen Anwalts Oliver Hirt aus Spaichingen nicht, der wie der Angeklagte den Begriff Kanakenland auf einen Landstrich in Neukaledonien und somit wertfrei verwendet wissen wollte. Der Richter verurteilte den Blogger zu 130 Tagessätzen à 30 Euro, also 3900 Euro. Außerdem wäre mit dieser Tagessatzhöhe der Mann mit Eintrag ins Bundeszentralregister vorbestraft gewesen. Der Verurteilte legte Berufung gegen das Urteil vom 14. Februar 2017 ein. Mit einem neuen Wahlanwalt, Bernhard Mussgnug, ging der Senior in das Berufungsverfahren. Dieses fand mehrfach statt, wurde unterbrochen, aufgeschoben, bis das Verfahren ganz neu aufgerollt werden musste. Ein Termin im Dezember 2021 platzte und so verhandelte das Gericht unter Richterin Gabriele Bräutigam die Sache am 12. Mai in Abwesenheit des Angeklagten.
Mussgnug hatte dort argumentiert, so schreibt er auf Anfrage dieser Zeitung, dass, wenn die Äußerungen nach Pressegesetz gewertet worden wären, sie bereits verjährt wären. Es gebe ein Fehlen der Rechtsprechung, das Internetpublikationen mit Presse gleichsetzt, das ist nicht der Fall. Diese Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei veraltet, so Mussgnug. Was die Bedeutung
der Begriffe angeht, so der Anwalt, sei es wesentlich, wie sie in einer bestimmten Gruppe auch zu verstehen sein könnten. Gesocks, Kanaken, Kanakei könne also historisch verstanden werden. Jedenfalls habe sein Mandant nie beabsichtigt, Personen herabzuwürdigen, Bevölkerungsteilen die Menschenwürde absprechen, oder zum Hass aufstacheln zu wollen, so der Rechtsanwalt. „Er verwendet aufgrund seines Alters und seiner Bildung Begriffe, die heute teilweise in einem anderen Sinn verstanden werden, ohne selbst diesen Sinn zu übernehmen oder beimessen zu wollen.“
Letztlich aber sei das Berufungsverfahren in seinem Ausgang offen gewesen, weshalb er seit Übernahme des Mandats auf eine Einstellung hingearbeitet habe, so Mussgnung. Mit der Einstellung zahlt der 80-Jährige nun deutlich weniger und gilt als nicht vorbestraft.
Auf Anfrage dieser Zeitung beim Landgericht Offenburg sagte die Pressesprecherin, dass ein Verfahren vorläufig eingestellt werden könne, wenn dem nicht das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung oder die schwere der Schuld entgegen stehe. Ein wesentlicher Grund für diese Entscheidung sei laut der vorsitzenden Richterin jedoch „der lange Zeitablauf seit der Tatverübung gewesen“. Bei einer Verfahrenseinstellung muss auch die Staatsanwaltschaft zustimmen. Das tue sie bei Volksverhetzung grundsätzlich nur im Ausnahmefall, so der Pressesprecher auf Anfrage dieser Zeitung.
„Ein solcher Fall lag hier aus Sicht der Staatsanwaltschaft vor aufgrund der Tatsache, dass die angeklagten Taten zum Zeitpunkt der Berufungsverhandlung bereits über sechs Jahre zurück lagen und der Angeklagte sich seither straffrei geführt hatte. Im Übrigen war auch das hohe Lebensalter des Angeklagten zu berücksichtigen.“Die Geldauflage entspreche in der Höhe etwa der im Fall einer Verurteilung zu erwartenden Geldstrafe, so der Sprecher der Staatsanwaltschaft.