Furcht vor Totalüberwachung
EU-Kommission will Chatkontrollen im Kampf gegen sexuellen Kindesmissbrauch
BRÜSSEL - Wenn sich die Innenminister der Europäischen Union am Freitag in Luxemburg treffen, steht das brisanteste Thema der vergangenen Wochen nicht auf der Tagesordnung: der Kampf gegen sexuellen Kindesmissbrauch und die Pläne der Kommission für eine Chatkontrolle, um die Täter zu überführen. Kritiker hatten vor einer möglichen Totalüberwachung gewarnt, von Stasi 2.0 war die Rede. „Aus vielen Mitgliedstaaten gab es viel Lob“, kontert eine EU-Beamtin. Die Vehemenz der Kritik aus Deutschland erklärt sie sich damit, dass die Wahrnehmung der Diskussion auf einen Aspekt reduziert worden sei.
Derzeit werden die Täter, die den Missbrauch oft noch auf Fotos oder Videos festhalten – um diese mit anderen Pädophilen zu tauschen oder die Opfer später zu erpressen – zu einem großen Teil durch freiwillige Meldungen von Messengerdiensten wie Facebook an die amerikanische Organisation NCMEC aufgedeckt. Die Behörde leitet die Meldungen zur Strafverfolgung weiter.
Das Problem ist: Der rechtliche Rahmen für diesen Austausch läuft 2024 aus. „Durch diesen ersatzlosen Wegfall entsteht ein blinder Fleck im heute schon unzureichenden Kinderschutz“, heißt es aus Kommissionskreisen. Deswegen sollen Anbieter von Plattformen, auf denen es ein „signifikantes Risiko“der Verbreitung kinderpornografischen Materials gibt, zukünftig wirksame Präventionsstrategien vorlegen müssen. Aus der Kommission ist zu hören, sie erwarte keinesfalls, dass kein Restrisiko bestehe – ein signifikantes Risiko sollte sich aber vermeiden lassen.
Erst wenn einer Plattform das nicht durch technische Lösungen oder Selbstkontrolle gelingt, sollen Chats und Fotos überprüft werden. „Anonym, wie ein Metalldetektor“, sagt die EU-Beamtin. Falls die Chatkontrolle anschlägt, werden nicht sofort die Strafbehörden informiert, um diese nicht unnötig zu belasten und das Risiko von falschen Beschuldigungen zu verringern. Stattdessen soll ein noch zu gründendes Zentrum der EU die Vorwürfe überprüfen, wenn nötig weiterleiten und sich um die Rechte der Opfer kümmern.
Das alles sei keine anlasslose Überwachung, betont die EU-Beamtin, mit der Quellen-TKÜ „ist das nicht vergleichbar. Wir überprüfen nicht die Kommunikation eines einzelnen Nutzers.“Datenschützer hatten auch kritisiert, dass damit die sehr sichere Ende-zu-Ende-Verschlüsselung von Chats durch notwendige Hintertürchen, die dann auf allen Smartphones installiert werden müssten, ausgehebelt werden könnte. „Der Zugriff auf das Endgerät ist nicht die einzige Option, auch in diesem Bereich entwickelt sich viel“, kontert die Kommission. Schon heute überprüfe der Messengerdienst WhatsApp, der sicher verschlüsselt ist, jeden Link, bevor er verschickt wird. „Ein Sicherheitscheck für das eigene Smartphone und den Empfänger. Das wurde bisher auch nicht missbraucht.“