Gränzbote

Eine Schule unter Schock

Entsetzen und stille Trauer in Bad Arolsen nach der Amoktat von Berlin – Erinnerung­en an den Fall Volkmarsen

- Von Nicole Schippers und Sabrina Szameitat

BAD AROLSEN/BERLIN (dpa) - Es ist sehr ruhig vor der Kaulbach-Schule in Bad Arolsen am Donnerstag­morgen. Einen Tag nach der Autoattack­e in Berlin auf eine Gruppe aus Schülern und Lehrern der Schule, deren Klassenfah­rt in die Hauptstadt ein so schlimmes Ende nahm, findet der Unterricht wie gewohnt statt. Ein ganz normaler Tag ist es dennoch nicht: Vor dem gelb-weißen Gebäude der Real- und Hauptschul­e im Ortskern der nordhessis­chen Kommune liegen ein paar Kerzen und Blumen in Gedenken an die getötete Lehrerin und die Verletzten. Außerdem sind Polizisten auf dem Schulgelän­de.

Die Schüler und ihre Lehrer aus der 16 000 Einwohner zählenden Kleinstadt waren am Mittwochvo­rmittag in der Nähe der Berliner Gedächtnis­kirche zu Fuß unterwegs, als das Auto in die Gruppe fuhr. Eine Lehrerin stirbt, ihr Kollege wird schwer verletzt. Auch Schülerinn­en und Schüler werden verletzt. Der Autofahrer – ein 29 Jahre alter, in Berlin lebender Deutsch-Armenier – wird gefasst. Er soll psychische Probleme gehabt haben.

Am nächsten Morgen strömen die Schüler der Kaulbach-Schule meist still und beinahe andächtig in die Schule. „Es ist wichtig, dass die Schulgemei­nde zur Ruhe kommt und das Geschehene verarbeite­t“, sagt die Sprecherin des Schulträge­rs, des Landkreise­s Waldeck-Frankenber­g, Ann-Kathrin Heimbuchne­r. Es sei daher zunächst einmal keine Stellungna­hme seitens der Schule geplant. Auch die Internetse­ite der Schule ist offline.

„Es ist traurig“, sagt eine erschütter­te Passantin. Sie ist eine der wenigen in Bad Arolsen, die sich an diesem Morgen überhaupt äußern wollen. Die meisten winken schon aus der Ferne ab. Die Tat bringe die Erinnerung­en an die Amokfahrt in Volkmarsen zurück, berichtet die Frau. Im Jahr 2020 war dort ein Mann vorsätzlic­h mit seinem Auto in den Rosenmonta­gszug der nur knapp zehn Kilometer entfernten Kleinstadt gefahren und hatte dabei mehr als 80 Menschen teils schwer verletzt, darunter zahlreiche Kinder.

„Da haben wir damals Leute gekannt. Vielleicht kennen wir hier auch welche“, sagt ihr Mann. Wieder habe es unschuldig­e Menschen getroffen. „Das ist nicht zu begreifen.“Die Taten machten ihnen Angst, sagen beide. „Besonders jetzt, wo auch die Feste wieder anfangen.“Sie habe Sorge, dass solche Taten in Zukunft häufiger vorkommen, meint die Frau. „Man hat so ein Gefühl.“

Auch in Berlin weckt die Todesfahrt schlimme Erinnerung­en, so etwa beim 60-jährigen Egbert Schmidt. Nach eigenen Angaben war er kurz vor Weihnachte­n 2016 auf dem Weihnachts­markt in unmittelba­rer Nähe und leistete Erste Hilfe, als ein islamistis­cher Attentäter mit einem Lkw in die Menschenme­nge auf dem Breitschei­dplatz fuhr. Am Donnerstag steht Schmidt auf dem Gehweg, wo das Auto am Mittwoch die Schülergru­ppe erfasst hatte. „Das ist wie ein Déjá-vu“, sagt er. „Als ich die Meldung las und die Gedächtnis­kirche eingeblend­et war, dachte ich: Nee, schon wieder?“

Der Verkehr rund um den Tatort läuft inzwischen wieder. Passanten und Touristen gehen den Ku'damm entlang, auch über die gelben Kreise, wo das Auto am Vortag die Klasse und ihre Lehrer erfasst hatte. An zwei Fußgängera­mpeln sind Blumen und Kerzen als Zeichen der Trauer abgelegt.

In Bad Arolsen treffen Hessens Ministerpr­äsident Boris Rhein und Kultusmini­ster Alexander Lorz (beide CDU) am späteren Vormittag in schwarzen Limousinen an der Schule ein, um Schülern und Kollegium ihr Mitgefühl auszusprec­hen. „Es ist für uns ein ganz schwerer Tag, und wir haben ganz schwere Herzen“, sagt Rhein. Er sei fassungslo­s. Dass es eine Schülergru­ppe getroffen habe, die aus Freude nach Berlin gekommen sei, mache das Geschehen umso tragischer. „Unser Mitgefühl ist bei allen Beteiligte­n, die diese Bilder nie aus dem Kopf bekommen werden“, sagt Lorz.

Das Verhalten des Kollegiums und der Schulleitu­ng beschreibt Rhein als besonnen und souverän. Das gebe der gesamten Schulgemei­nde Halt und Stabilität. „Wenn sie in die Gesichter der Kolleginne­n und Kollegen und der Schülerinn­en und Schülern schauen, fällt das allen noch sehr schwer.“Die getötete Lehrerin sei „ein ganz wichtiger Anker der Schulgemei­nde“gewesen. Ganz Bad Arolsen sei schwer getroffen, schildern Landrat Jürgen van der Horst und Bürgermeis­ter Marko Lambion (beide parteilos).

Sieben Schüler und ein Lehrer werden Rhein zufolge aktuell noch in verschiede­nen Berliner Kliniken behandelt. Die anderen 17 Schüler seien bereits in die Region zurückgeke­hrt. Eine größere Gruppe sei in der Nacht mit einem Bus angekommen.

 ?? FOTO: SWEN PFÖRTNER/DPA ?? Kerzen und gebastelte Blumen liegen vor einer Stele an der Haupt- und Realschule Kaulbach-Schule im nordhessis­chen Bad Arolsen. Bei dem tödlichen Auto-Vorfall nahe der Berliner Gedächtnis­kirche sind nach derzeitige­m Kenntnisst­and der Polizei neben der getöteten Lehrerin aus dieser Schule 14 Menschen verletzt worden.
FOTO: SWEN PFÖRTNER/DPA Kerzen und gebastelte Blumen liegen vor einer Stele an der Haupt- und Realschule Kaulbach-Schule im nordhessis­chen Bad Arolsen. Bei dem tödlichen Auto-Vorfall nahe der Berliner Gedächtnis­kirche sind nach derzeitige­m Kenntnisst­and der Polizei neben der getöteten Lehrerin aus dieser Schule 14 Menschen verletzt worden.

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