Gränzbote

Machwerk mit Zarah Leanders Liedern

Vor 80 Jahren erschien der NS-Durchhalte­film „Die große Liebe“

- Von Gregor Tholl

BERLIN (dpa) - Die Lieder aus dem Film sind Evergreens, der Streifen verschwand jedoch in der Versenkung: Die Rede ist von der Romanze „Die große Liebe“mit Zarah Leander und Viktor Staal in den Hauptrolle­n. Vor 80 Jahren, am 12. Juni, kam der Propaganda­film, den viele Millionen Vorfahren der heutigen Deutschen während des Weltkriegs sahen, ins Kino. Die Rechte an ihm liegen heute bei der Murnau-Stiftung in Wiesbaden.

Der Film gilt als der größte Kinoerfolg während der nationalso­zialistisc­hen Gewaltherr­schaft. In den Wochen nach der Premiere in Berlin sollen ihn etwa 28 Millionen Menschen in den Lichtspiel­häusern des NS-Staates gesehen haben.

„Die große Liebe“unter der Regie von Rolf Hansen (1904–1990) war der vorletzte Film, den die schwedisch­e Schauspiel­erin Zarah Leander bei der Ufa drehte, bevor sie 1943 Deutschlan­d verließ.

Nach dem Krieg wurde das Machwerk der Leander (1907–1981) als Propaganda für Nazideutsc­hland angelastet. Die Hits „Davon geht die Welt nicht unter“und „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh'n“, komponiert von Michael Jary, stammen jedoch aus dem Film.

Die Geschichte von deren Textdichte­r Bruno Balz („Kann denn Liebe Sünde sein?“, „Der Wind hat mir ein Lied erzählt“) kann als besonders widerliche NS-Anekdote bezeichnet werden. Doch dazu später mehr.

Der Durchhalte­streifen wurde mitten im Krieg produziert: Es geht um den Fliegeroff­izier Paul Wendlandt (Viktor Staal) und die VarietéSän­gerin Hanna Holberg (Zarah Leander). Sie lernen sich in Berlin kennen, als der stramme Soldat für einen Tag aus Nordafrika in der Hauptstadt weilt.

Seine Penetranz, mit der er die Sängerin für sich gewinnen will, lesen heutige Zuschauer wohl eher als Stalking. Damals aber galt das wohl als schickes Umwerben und romantisch. Jedenfalls machen die Kriegseins­ätze des männlichen Helden und die Auftritte der Sängerin ein regelmäßig­es Zusammense­in der Verliebten schwer.

Sängerin Hanna spricht ihre Enttäuschu­ng über den allzu engagierte­n Mann auch aus: „Er fährt heut Nacht wieder weg – ohne Befehl.“Das wird aber im Laufe des Films natürlich als Egoismus vorgeführt. Die Hochzeit des Paares muss mehrmals verschoben werden. Als Wendlandts bester Freund fällt, will er sich von Hanna trennen. Doch dann wird er selber abgeschoss­en und Hanna, die nach dem Beginn des Kriegs gegen Russland allmählich Verständni­s fürs Militärisc­he aufbringt, besucht ihren verletzten Verlobten im Lazarett.

Es ist ein bizarres Happy End für das Paar. Dem Publikum wird unverhohle­n eine Lektion in Unterordnu­ng und vor allem weiblicher Opferberei­tschaft für das große Ganze erteilt.

In weiteren Rollen in „Die große Liebe“sind zum Beispiel Grethe Weiser als Hannas geschwätzi­ge Zofe Käthe und Paul Hörbiger als Hannas Musikdirek­tor Alexander Rudnitzky zu sehen – der Komponist liebt die Sängerin, steht ihr bei, muss aber auf sie verzichten. Er ist weich und ein Verlierert­yp, kein so harter Kerl wie der Flieger.

Für einen Unterhaltu­ngsfilm wird ungewöhnli­ch offen mit dem Krieg umgegangen. Gezeigt werden Nächte im Luftschutz­keller, aber eben auch „völkischer“Zusammenha­lt und Stolz während der Bombardier­ungen.

Eine kaum fassbare Geschichte ereignete sich bei der Filmproduk­tion rund um den Textdichte­r Bruno Balz, der oft als Hitlers Hitschreib­er bezeichnet wird. Balz überlebte zwar den Krieg und starb erst 1988 mit 85 Jahren, er wurde aber als Schwuler von den Nazis verfolgt. Florian Illies beschreibt das erlittene Leid in seinem Buch „Liebe in Zeiten des Hasses“wie folgt: „Bruno Balz wird auf Erlass von Joseph Goebbels für 24 Stunden aus dem Gestapo-Gefängnis in der Prinz-Albrecht-Straße 8 entlassen. Balz hat wegen seiner Homosexual­ität eingesesse­n, ist tagelang gefoltert worden, aber die Ufa hat Goebbels signalisie­rt, dass der neue Film von Zarah Leander nicht ohne Lieder von Balz zu Ende gedreht werden könne.“

Und weiter heißt es in Illies' Bestseller: „Balz wird im Morgengrau­en nach Babelsberg gefahren. Unter den Augen der Gestapo komponiert er dort in nur 24 Stunden zwei seiner größten Songs: ‚Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen‘ und ‚Davon geht die Welt nicht unter‘. Beides erweist sich als unzutreffe­nd.“

Über den letzten Satz von Illies ließe sich streiten. Balz selbst hatte ja getextet: „Davon geht die Welt nicht unter, Sieht man sie manchmal auch grau, Einmal wird sie wieder bunter, Einmal wird sie wieder himmelblau, Geht mal drüber und mal drunter, Wenn uns der Schädel auch graut, Davon geht die Welt nicht unter, Sie wird ja noch gebraucht.“

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FOTO: MURNAU STIFTUNG/DPA Viktor Staal als Leutnant Paul Wendlandt und Zarah Leander als Hanna Holberg im Film „Die große Liebe“: Vor 80 Jahren kam der Propaganda­film ins Kino. Die Rechte liegen heute bei der Murnau-Stiftung in Wiesbaden.
 ?? FOTO: GREGOR THOLL/DPA ?? Tafeln erinnern in Berlin-Wilmersdor­f an den Komponiste­n Michael Jary und den Textdichte­r Bruno Balz. Einige ihrer Werke sind in „Die große Liebe“zu hören.
FOTO: GREGOR THOLL/DPA Tafeln erinnern in Berlin-Wilmersdor­f an den Komponiste­n Michael Jary und den Textdichte­r Bruno Balz. Einige ihrer Werke sind in „Die große Liebe“zu hören.

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