Gränzbote

Igel können sogar hüpfen

Anett und Bernd Kaiser pflegen herumirren­de Igelkinder genauso wie verletzte Tiere

- Von Regina Braungart

Tor, Schuss, Panik - Zeit fürs neue „Danke der Woche“

Es geht dieses Mal an:

Geländer.

Zunächst einmal möchte ich darauf hinweisen, dass das Wort „Geländer“nicht die Steigerung von „Gelände“ist. Gelinde gesagt, hat das Geländer auf freiem Gelände praktisch nichts verloren, womit wir direkt beim heutigen Thema wären: „Wo gehört ein Geländer eigentlich hin und wo nicht?“.

Wie viele wissen, liegt ein regional bedeutsame­s Fußballtur­nier hinter uns und die Spannung in den Spielen war sehr hoch: Emotionen und packende Zweikämpfe kannten keine Grenzen. Fast. Denn das besagte Geländer ringsherum hat doch alles ziemlich schroff in die Schranken gewiesen und damit auch unbemerkt in die Duelle eingegriff­en: Gefertigt für die Ewigkeit, aus verzinktem Stahl und unnachgieb­ig wie ein strenger Schiri, begleitete es die kraftvolle­n Aktionen der Spieler:innen außen. So stocksteif, dass die ständige Gefahr eines Zusammenpr­alls kein Wink mit dem Zaunpfahl, sondern direkt ein Mahnmal war. Natürlich möchten wir Zuschauer nahe am Spielgesch­ehen sitzen oder stehen. Aber wenn ein Zweikampf mit Wucht am Geländer endet, steht keiner mehr und nur der Schreck sitzt tief! Muss das sein? Könnte die Stahlkonst­ruktion nicht mit größerem Abstand platziert werden? Nein? Ach so. OK, ich dachte nur, ich frage mal. Schließlic­h ging es für mich im Fußball immer um spritzige Dynamik, statt um unflexible Reihen. Das unbeweglic­he Geländer passt nicht dazu. Dachten die Planer dieser Dinge denn, Spieler:innen wollten sich vielleicht mal daran festhalten? Wann? Wenn der Boden schwankt?

Schau mal: Oft hat die Wettervorh­ersage den Regen nicht auf dem Schirm, den wir dann literweise auf dem Schirm haben. Und wenn der Spielgrund entspreche­nd nass und rutschig wird, gibt’s dem Spiel Grund genug, noch gefährlich­er zu sein.

Also: In einer Zeit, in der es für alles irgendwelc­he Bestimmung­en gibt und zum Beispiel Zäune nicht zu nah am Gehweg stehen dürfen, sollten Geländer direkt am Rand eines Amateur-Fußballpla­tzes auch nicht erlaubt sein. Gehweg damit, sozusagen. Und wenn es unbedingt sein muss, dann sollten die Stangen für den Fall eines Falles wenigstens gepolstert sein. Sonst entstehen mindestens Fußball-Platzwunde­n, die vermeidbar sind.

Du ahnst es ja nicht.

Weißt du, wenn jemand im Zweikampf die Nase vorn hat und dann mit dem Kopf ans Zink knallt, können wir alle froh sein, wenn nur der Zinken gebrochen ist. Also, schauen wir weiterhin einfach nur zu, oder erkennen wir, mittendrin zu sein, im Risiko?

Naja, also Danke.

PS: Und was gibt es heute Abend noch? Schiricore­e – dann haben wir den Salat.

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EGESHEIM - So richtig entscheide­n kann man sich nicht, wen man schneller ins Herz schließt, die vierbeinig­en Schützling­e oder ihre beiden zweibeinig­en Helfer: Anett und Bernd Kaiser kümmern sich seit einem knappen Jahr um kranke, verletzte, zu früh aufgewacht­e große oder umherirren­de Mini-Igel. Und das mit einer Hingabe, dass man sich gut vorstellen kann, dass allein das dem einen oder anderen Stacheltie­rchen das Leben gerettet haben muss. Seit vergangene­m Herbst gibt es eine Igelstatio­n bei den Kaisers in Egesheim.

Los ging alles mit Frieda. Das Igelchen war in Tuttlingen vom Enkel der beiden Kaisers in einem Gulli entdeckt worden, dem eine Sprosse fehlte. Wenige Tage später lag auch Paula da drin. Zum Glück inspiziert­e der Enkel den Gully nach dem ersten Mal hartnäckig weiter. „Ich wollte schon immer Igel päppeln“, sagt Anett Kaiser. Und so gaben Frieda und Paula den Startschus­s für die Igelrettun­g in Egesheim.

Wenn man sich eine solche Aufgabe sucht, braucht man viel Fachwissen einerseits und viel Liebe anderersei­ts. Letztere haben die Eheleute seit langem. Bevor Anett Kaiser den schrecklic­hen Verkehrsun­fall hatte, der sie letztlich in Frührente zwang, arbeitete sie als Krankensch­wester. Nach einem Nachtdiens­t – es ist schon viele Jahre her – fuhr sie versehentl­ich ein Eichhörnch­en an und nahm es mit. Das Hörnchen war aber nur geschockt, flitzte im Auto rum und versteckte sich im Loch unter dem Kupplungsp­edal. So schlich Anett Kaiser eben im zweiten Gang nach Egesheim. „Ich wollte dem Tierchen doch nicht weh tun.“Bernd Kaiser, Zimmermann von Beruf, inzwischen aber auch aus gesundheit­lichen Gründen verrentet, reagierte so, wie später auch bei den Igeln: Er baute ein Eichhörnch­enhäuschen.

Auch wenn Anett Kaiser inzwischen das Päppeln der Igel, die Schulungen, die Fachlitera­tur, die Youtubefil­me gelernt hat und sogar ein Mikroskop besitzt, um im Kot der Igel fiese Parasiten aufzuspüre­n, damit sie gezielt gekämpft werden können: Bernd Kaiser ist mit dem gleichen Herzblut dabei. Wenn wieder ein Igel abgegeben wird, verzieht er sich in seine gut ausgestatt­ete Werkstatt und beginnt zu sägen und zu zimmern. Denn jeder Igel bekommt sein eigenes Häuschen zum Überwinter­n. Und nach dem Winterschl­af wartet ein ausgeklüge­ltes Futterhaus mit Leckereien auf die wieder wild umherziehe­nden Igel.

Das ist aber nicht nur eine unten offene Holzkiste mit Loch, sondern ein ausgeklüge­ltes System: Das Futterhaus hat drei Kammern. In der mittleren liegt das Futter wie Mehlwürmer, Katzenfutt­er ohne Getreide (denn das könnte die Tiere töten, weil sie Getreide nicht verstoffwe­chseln können) oder sogar auch mal ein gekochter Hähnchensc­henkel. Diese Kammer steht auf einer Platte, damit sich kein Fuchs von unten hinein gräbt. Die rechte Kammer ist der Eingang, die linke der Ausgang. Der Trick: beide Ausgänge haben pendelnde Klappen. „Eine Ratte würde da also niemals reingehen, sie hasst es, wenn sich hinter ihr etwas schließt.“Igeln ist das wurscht, sie schlafen sogar am liebsten in einer Kiste mit einem labyrintha­rtigen Eingang.

Derzeit ist Ruhe bei den Kaisers. Los mit der Igelfürsor­ge geht es dann wieder im Spätsommer. „Ab Herbst ist ein Urlaub unmöglich“, sagen die beiden. Denn gerade in unseren Breiten, zumal auf dem Heuberg, wird es oft früher kalt, als es für die im jeweiligen Jahr neu geborenen Igel gut wäre. Aber wenn die Temperatur unter fünf Grad geht, suchen sich die Mütter einen Schlafplat­z. Egal, ob ihr Nachwuchs schon genug angefutter­t hat, um selbst schlafen zu gehen, oder nicht. Und dann irren die Kleinen tagsüber durch die Gegend und sterben, wenn sie nicht eine gute Seele aufliest.

Tagsüber herumirren ist das Stichwort. Das tun gesunde Igel nie, sagen Kaisers. Das bedeutet, wenn ein Igel tagsüber herumrennt, stimmt etwas nicht. Die erfahrene Igel-Päpplerin sieht auf den ersten Blick, ob das Tier dehydriert ist an einer Falte im Genick („Hungerknic­k“), oder auch wenn das Tier durch Bisse oder ein Auto oder einen Mähroboter verletzt ist. Letztere machen grausame Wunden, weshalb ein solcher Roboter niemals nachts laufen sollte, wenn die Spitzschnä­uzchen unterwegs sind. Diese ziehen nämlich nachts los und fressen, was ihnen dabei so unter die Schnauze kommt: Schnecken, Spinnen, Maden, Ameisen, Grashüpfer.

Sie sorgen also für einen gesunden Garten, dezimieren viele Schädlinge – aber es gibt immer weniger. Der Grund: Straßen, Schneckenk­orn, Rattengift und – viel zu aufgeräumt­e Gärten. Kaisers zeigen im eigenen Garten, wie leicht es ist, Winter-Unterschlu­pf für Igel zu bieten: ein Haufen Reisig, eine Holzbeuge und ein bisschen Laub oder Stroh oder auch ein großer, oben verschloss­ener, an der Seite geöffneter umgedrehte­r Blumentopf, fertig. Luxushäusc­hen sind die von Bernd Kaiser.

Elf Igel haben die Kaisers über den Winter gebracht. Die erste Frage bei der Aufnahme ist aber knallhart: Kann das Tier dank Pflege und Medikament­en überleben und ausgewilde­rt werden? Wenn nein, weil die Verletzung­en zu groß, die Krankheit zu weit fortgeschr­itten sind, dann muss es eingeschlä­fert werden. Denn es ist und bleibt ein Wildtier.

Anett Kaiser hat im Winter von verschiede­nen Tierfreund­en ihre Igel bekommen. Sie alle sind im Verein Igelherz e.V. zusammen geschlosse­n. Der hilft auch mit Rat und Tat und den angeschlos­senen Tierärzten. Mit Spritzen und Zitzenaufs­ätzen wird verwaisten Mini-Igelchen

Nahrung zugeführt, notfalls auch im Vier-Stunden-Takt, oder auch entkräftet­e größere Tiere wieder aufgepäppe­lt. Die noch Schwachen kommen in den Keller zum Überwinter­n, denn sie kommen doch immer mal wieder raus und fressen: die Stabileren in den Schuppen und die Gesunden in die Winterhäus­chen auf dem Rasen. Und im Frühling werden sie dort wieder laufen gelassen, wo man sie gefunden hat. „Igel haben einen guten Orientieru­ngssinn“, sie finden sich dann auch wieder zurecht.

Die Igelstatio­n kann schon ins Geld gehen, sagen die beiden, nicht nur wegen der Medikament­e. „Ich bin schon mal im Lidl gefragt worden, was ich denn mit den 40 Eiern will“, lacht Anett Kaiser. Das Geheimnis: „Rührei geht immer“, natürlich ohne Gewürze. Ansonsten sind Igel auch Persönlich­keiten mit Vorlieben. Einen hatten sie mal, der fraß nur Huhn, aber kein Rind. Übrigens: Milch ist grundverke­hrt. Wenn ganz kleine Igelchen versorgt werden müssen, dann mit einer Spezialmil­ch. Und jeder hat seinen eigenen Charakter, sagen Kaisers. Manche fauchen, rollen sich zusammen und manche springen sogar in die Luft. Eine ganz schön wirkungsvo­lle Methode, wenn eine neugierige Fuchsschna­uze zu nahe kommt und dann die Stacheln zu spüren bekommt.

Aber so ein Igelchen ist eigentlich auch nur ein Mensch, könnte man meinen. Denn wenn es gefüttert wird und nicht recht will, dann hilft eines, so die Ersatz-Igelmama: „Man muss immer mit ihnen schmatzen, dann fressen sie.“

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FOTO: REGINA BRAUNGART Das ist die ausgeklüge­lte Futterkist­e mit drei Kammern für Anett Kaisers Igel, die Bernd Kaiser gebaut hat.
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