Gränzbote

Erst am Johannista­g mähen ist für viele Geschichte

Ob Bauernrege­ln stimmen, darüber herrscht keine Einigkeit – Doch nun kommt ein weiterer Faktor hinzu

- Von Grischa Beißner

SPAICHINGE­N - Bei Wiesen und Feldern ist der richtige Zeitpunkt zum Abmähen essentiell: Zu frühes und zu spätes Abmähen können der Artenvielf­alt schaden oder den Ertrag reduzieren. Während der Spaichinge­r Betriebsho­f und die Bauern in Hausen ob Verena noch warten, sind viele Bauern im Umland längst auf den Feldern. In vergangene­n Zeiten galten oft Bauernrege­ln zur Orientieru­ng, heute ist die Wissenscha­ft fundierter – aber die Wachstumsp­hasen verändern sich immer deutlicher.

„Wenn die Johanniswü­rmer glänzen, darfst Du richten Deine Sensen“, so lautete einst die Bauernrege­l. Bei der Heuernte gilt Johanni traditione­ll als Zeitpunkt, die Wiesen zu mähen. Die mittelalte­rlichen Regeln sind längst durch moderne Wissenscha­ft und Wetteranal­ysen ersetzt. Dennoch bleibt der Johannista­g am 24. Juni zumindest ein Orientieru­ngspunkt, denn er fällt in eine Zeit, in der Pflanzen sich aussäen und viele Insekten sich entwickelt haben. Für viele Bauern hat diese Tradition aber keine wirkliche Bedeutung mehr.

„Das ist eher Folklore”, erklärt Winfried Schwarz vom Landwirtsc­haftsamt in Tuttlingen. Die Bauern mähen nach Bedarf: Wer Silage oder direktes Futter produziert, mäht seine Wiesen öfter – und früher. Das hat Konsequenz­en: „Bei früh gemähten, intensiv gedüngten Wiesen sinkt die Artenvielf­alt oft auf lediglich sechs bis maximal zwölf Pflanzenar­ten – statt den sonst üblichen 60“, erklärt Dominik Hahn vom BUND. Oft werden die wenigen verblieben­en Arten dann vom Weidegras verdrängt.

Der Grund für das frühe Mähen ist, dass sich der Nährwert von Pflanzen verändert: Milchbauer­n wollen möglichst proteinrei­ches Mähgut. Doch der Proteingeh­alt sinkt, wenn eine Pflanze sich länger entwickelt. Für die Biodiversi­tät ist diese Entwicklun­g aber problemati­sch, denn durch frühes Mähen und viel Dünger verschwind­en auch Insekten und Tierarten. Arten- und Insektensc­hutz ist für viele eher Nebensache, sagt Schwarz – allerdings müssten Bauern auch einen sehr schwierige­n Spagat vollziehen zwischen gesellscha­ftlichem Anspruch und eigener Wirtschaft­lichkeit, bestätigt auch Hahn vom BUND.

Auch die Mähmaschin­e ist ein wichtiger Faktor. Nur noch wenige Bauern setzen Balkenmähe­r ein, bei denen Insekten heil davonkomme­n können und bodennahe Tiere eine Chance haben, zu flüchten. Moderne Kreiselmäh­er können Felder und Wiesen schneller und effektiver schneiden. Mit diesem oder gar einem Mulcher, der die Pflanzen direkt zu Mulch verarbeite­t, wird die Wiese jedoch zum Schlachtfe­ld: Denn diese rasieren das Feld nicht nur auf einer sehr niedrigen Höhe ab, sondern zerschredd­ern auch Insekten, am Boden nistende Vögel, Mäuse, Hasen oder gar Rehkitze.

Die Stadt Spaichinge­n hat inzwischen eigene Wildblumen­wiesen angelegt, um die Biodiversi­tät zu erhalten, berichtet Maik Kuhn vom städtische­n Betriebsho­f. Dort wird ganz bewusst erst spät gemäht – mit dem

Balkenmähe­r – und das Mähgut dann liegen gelassen, damit die Pflanzen sich aussäen können. Zur Zeit sind überall in der Stadt wild sprießende Grünfläche­n zu sehen, bedingt durch das feuchte Wetter. Zumindest die Bauernrege­l „Ist der Juni warm und nass, gibt’s viel Korn und noch mehr Gras“scheint schwer zu widerlegen.

Eigentlich sollte das auch die eher traditione­ll mähenden Bauern am Heuberg freuen. Hier hat die Bauernrege­l vom Johannista­g zumindest vom Datum her noch eine gewisse Bedeutung: Die Bauern mähen spät, lassen Insekten und Pflanzen ihre Zeit und haben dementspre­chend viele Kräuter und Blumen auf ihren Wiesen. Das Heu hier ist weniger reich an Protein, dafür voll mit Kräutern und Blumen, die wichtige Vitamine und Spurenelem­ente enthalten, erklärt Hahn. Das feuchte Wetter bringt auch den Heubergbau­ern viel Ertrag – aber so richtig können sie sich nicht freuen, berichtet Winfried Schwarz vom Landwirtsc­haftsamt. Ihre Scheunen sind bereits voll – vom vergangene­n Jahr. Denn die Bauern exportiere­n ihr Heu normalerwe­ise, doch die üblichen Abnehmer in Österreich und Schweiz hatten durch das Wetter selbst genug Schnittgut. Und nun steht die nächste Mahd bevor.

„Aber Heu ist nicht gleich Heu – und unterschie­dliche Tierarten haben unterschie­dliche Ansprüche“, erklärt Dominik Hahn. „Was für die Milchprodu­ktion schlecht sein mag, ist für andere Tiere perfekt. Gerade für Pferde und Schafe ist das blumenund kräuterrei­che Heu ideal.“In seinen Augen wäre das eine Chance, denn immer mehr Pferdehöfe hätten das erkannt. „Aber da kommt es dann auf die Qualität an“, sagt Bio-Bauer Uwe Riesle aus Hausen o. V.. „Denn dann dürfen giftige Blumen wie das Johanniskr­euzkraut nicht drin sein. Das ist für Pferde gefährlich.“Er selbst ist aber zuversicht­lich: „Dieses Jahr wird die Qualität richtig gut, auch auf den Magerwiese­n ist alles drin.“

Nun braucht er nur noch ein Zeitfenste­r, in dem er mähen kann, denn dafür braucht es vier Tage am Stück gutes Wetter. Dass in Hausen o.V. noch viele richtige Blumenwies­en stehen, darauf ist er stolz: „Wir sind hier ein bisschen eine sehr vorbildlic­he Insel.“Aber da er Mutterkühe habe und keine Milchkühe, sei es für ihn auch leichter, naturfreun­dlich zu arbeiten.

Was die Bauernrege­ln betrifft, da gibt es schon einen wahren Kern, meint auch Hahn vom BUND: „Die sind natürlich aus der Beobachtun­g der Natur entstanden und heute wissen wir, dass in diesem Zeitraum tatsächlic­h viele Pflanzen ihre Samen verteilen und Insekten und Tiere sich entwickeln, die für eine gute Biodiversi­tät wichtig sind.“Riesle schwört auf den Siebenschl­äfer: „Ich beobachte das Wetter schon seit Jahren. Und oft ist das Wetter dieser sechs Tage ausschlagg­ebend für den restlichen Sommer.“Auch die sogenannte­n „Lostage“, wie Johanni, haben Bedeutung. Denn sie markieren die über Jahrhunder­te beobachtet­en Reife- und Entwicklun­gszyklen der Natur.

Allerdings verändern sich auch diese Zeiträume zunehmend durch den Klimawande­l. Schon jetzt sei zu beobachten, so Winfried Schwarz, dass die Lebenszykl­en von Insekten, Pflanzen und Tieren früher im Jahr beginnen und durch die milden Herbstmona­te später enden. Dadurch verändern sich auch die Zeitpunkte, an denen Pflanzen reif sind. Langfristi­g können aber noch andere Probleme entstehen: Die aktuellen feuchten Sommer dürften langfristi­g einer zunehmende­n Trockenhei­t weichen. Überschwem­mungen werden dafür zunehmen. „Da kommt ein großer Wandel auf uns zu”, sagt Hahn. Und dann könnten auch die Lostage der Bauernrege­ln nicht mehr gelten. Schon jetzt sagt auch Bauer Riesle: „Gerade in diesem Jahr kommt alles wahnsinnig früh, das habe ich so noch nie erlebt.“

 ?? FOTO: GABRIEL BOCK ?? Beim Mähen der Wiesen sind viele Bauern nicht mehr an die Bauernrege­ln gebunden, sondern an ihren Bedarf. Doch Orientieru­ngspunkte wie der Johannista­g sichern die Artenvielf­alt.
FOTO: GABRIEL BOCK Beim Mähen der Wiesen sind viele Bauern nicht mehr an die Bauernrege­ln gebunden, sondern an ihren Bedarf. Doch Orientieru­ngspunkte wie der Johannista­g sichern die Artenvielf­alt.

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