Gränzbote

Wie politisch darf der Sport sein?

Vettel und Hamilton nutzen die Formel 1 auch für gesellscha­ftliche Botschafte­n – Das gefällt nicht jedem

- Von Christian Hollmann und Thomas Wolfer

BAKU (dpa) - Fast schon demonstrat­iv zupfte Sebastian Vettel seine Schweißbän­der in den ukrainisch­en Farben zurecht. Dann stellte der Formel-1-Star klar, dass weder er noch Lewis Hamilton sich von den irritieren­den Aussagen des Weltverban­dschefs in ihrem politische­n Engagement bremsen lassen werden. „Diese Themen sind wichtiger als wir, wichtiger als der Sport. Wir sollten dafür weiter Aufmerksam­keit erzeugen und den Leuten zeigen, dass es viele Dinge gibt, die wir besser machen können“, sagte Vettel zum Auftakt des Gastspiels in Baku am Freitag – und ein paar Stühle weiter nickte Hamilton dazu.

Kurz vor den ersten Trainingsr­unden in Aserbaidsc­han hatte der Präsident des Internatio­nalen Automobilv­erbands FIA noch versucht, seine Sätze aus einem wenige Tage zuvor erschienen­en Interview einzufange­n. Im Gespräch mit dem Fachportal „grandprix2­47.com“hatte Mohammed bin Sulayem unter anderem hinterfrag­t, „ob wir dem Sport ständig unsere Überzeugun­gen aufzwingen sollten“. Legenden wie Niki Lauda und Alain Prost hätten sich einst nur ums Fahren gekümmert. „Jetzt fährt Vettel ein Regenbogen­fahrrad, Lewis engagiert sich leidenscha­ftlich für

Menschenre­chte und Lando Norris befasst sich mit psychische­r Gesundheit“, sagte der FIA-Chef.

Als diese Sätze das Fahrerlage­r erreichten, wurden sie schnell als Kritik an den sozialen und gesellscha­ftlichen Aktivitäte­n einiger Piloten interpreti­ert. „Vielleicht wurde es ja aus dem Zusammenha­ng gerissen. Aber es hält uns nicht dabei auf, was wir tun“, versichert­e Rekordcham­pion Hamilton. Die Formel 1 sei eine wichtige Plattform auch für gesellscha­ftliche Diskussion­en. „Ich ermutige alle

Piloten, ihre Meinung zu sagen“, fügte der 37-Jährige hinzu.

Sehr zur Freude des Briten prangt auf seinem Silberpfei­l in Baku ein Mercedes-Stern in Regenbogen­farben. Damit will das Team die LGBTQI+-Gemeinscha­ft unterstütz­en, also Menschen unterschie­dlicher Identitäte­n und sexueller Orientieru­ngen. „Sehr langsam“gehe es beim Thema Diversität noch voran, kritisiert­e Hamilton. Auch Vettel hatte vor dem Grand Prix in Baku ein Zeichen für die LGBTQI+-Bewegung gesetzt und dem Schwulenma­gazin „Attitude“gesagt, dass ein schwuler Rennfahrer inzwischen in der Formel 1 willkommen wäre. Ins Fahrerlage­r rollte der 34-Jährige erneut mit dem vom FIA-Chef erwähnten Regenbogen-Rad. „Ich muss Dinge nicht ertragen, die nicht richtig sind, und das werde ich auch nicht“, sagte Vettel.

Er fühle sich vereint mit Hamilton in seinem Engagement für eine bessere Welt. Immer wieder wenden sich die beiden Ex-Weltmeiste­r gegen Rassismus, Homophobie und Vorurteile, machen sich stark für Klimaschut­z. „Wir sind in vielen Dingen einer Meinung“, sagte Vettel. Es sei ihm egal, wenn in der aus seiner Sicht immer noch konservati­ven Formel 1 hinter seinem Rücken jemand dies für geschäftss­chädigend halte.

FIA-Chef bin Sulayem mühte sich, diesen Eindruck aus der Welt zu schaffen. Schließlic­h seien „Nachhaltig­keit, Diversität und Inklusion eine der wichtigste­n Prioritäte­n meines Amts“, twitterte der 60-Jährige aus den Vereinigte­n Arabischen Emiraten. In dem Interview hatte er zuvor noch im Stil vieler Verbandsfü­rsten wie IOC-Präsident Thomas Bach davor gewarnt, Sport und Politik zu vermischen. „Zu politisch“sei ihm der Motorsport inzwischen geworden, hatte bin Sulayem gesagt. Gerade vor Auftritten der Rennserie wie in Aserbaidsc­han kommen den Vermarkter­n politische Botschafte­n eher ungelegen. Im autoritäre­n Staat beklagen Menschenre­chtler Verhaftung­en von Opposition­ellen und die Einschränk­ung der Meinungsfr­eiheit.

Charles Leclerc ist im Training von Baku zur Tagesbestz­eit gerast.

Ferrari-Pilot

Der Monegasse verwies den Red-Bull-Piloten Sergio Pérez auf den zweiten Platz. Nach seinem Triumph in Monaco war der Mexikaner Pérez bei den Übungseinh­eiten in Aserbaidsc­han erneut schneller als sein Teamgefähr­te und Weltmeiste­r Max Verstappen. Der Niederländ­er belegte Rang drei. Sebastian Vettel musste sich im Aston Martin mit Platz elf begnügen. Mick Schumacher kehrte als Vorletzter zurück in die Garage seines Haas-Teams.

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FOTO: FLORENT GOODEN/IMAGO „Everyday is a Friday for the Future“ist auf Sebastian Vettels T-Shirt zu lesen. Sein Rad zieren Regenbogen­flaggen.

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